Ermittlungen gegen Netzpolitik.org: Mehrere Ministerien wussten Bescheid

Die Bundesregierung wusste schon seit Monaten von den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Netzpolitik.org(öffnet im neuen Fenster) . Justizminister Heiko Maas soll dem Generalbundesanwalt Harald Range frühzeitig davon abgeraten haben. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), verteidigte am Wochenende die Anzeige gegen die Betreiber des Blogs.
Ein solches Ermittlungsverfahren könne nicht ohne das Wissen der Bundesregierung eingeleitet werden, hatte Markus Beckedahl, Gründer von Netzpolitik.org, schon vor einigen Tagen vermutet . Justizminister Maas soll seit Mai informiert gewesen sein: Die Bundesanwaltschaft habe das Ermittlungsverfahren am 13. Mai eingeleitet. Zwei Wochen später, am 27. Mai, habe sie das Justizministerium darüber informiert, berichtet die Süddeutsche Zeitung(öffnet im neuen Fenster) .
Diverse Ministerien wussten Bescheid
Neben dem Justizministerium sollen auch weitere Ministerien davon gewusst haben. Spitzenbeamte seien Details ebenso bekannt gewesen wie Ranges Absicht, gegen Beckedahl und Netzpolitik-Blogger André Meister zu ermitteln. Wegen des Angriffs auf die Website der Bundesanwaltschaft sind Teile der Seite abgeschaltet und die Pressemitteilung ist nicht online abrufbar.
Range selbst wiederum behauptet, nicht gegen die beiden ermittelt zu haben. Er habe "bereits bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens am 13. Mai 2015" angewiesen, erklärte er in einer Pressemitteilung vom 2. August, "dass mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV namentlich genannten Journalisten ergriffen werden." Stattdessen habe er entscheiden, "dass zur Wahrung und Sicherung der Objektivität der Ermittlungen ein externes Gutachten zur Beurteilung des Vorliegens eines Staatsgeheimnisses eingeholt werden soll."
Der Gutachter macht Ferien
Das Gutachten sei am 19. Juni in Auftrag gegeben worden. Um ein solches Gutachten einholen zu können, muss ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Der Experte, der das Gutachten erstellen soll, ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung derzeit im Urlaub.
Die Bundesanwaltschaft hatte nach der Strafanzeige des Verfassungsschutzes zunächst einen Prüfvorgang angelegt, um zu klären, ob sie zuständig ist: Die Bundesanwaltschaft ermittelt nur, wenn es bei dem Geheimnisverrat um ein Staatsgeheimnis nach Paragraph 93 Strafgesetzbuch(öffnet im neuen Fenster) geht. "Nach kritischer Prüfung" habe die Bundesanwaltschaft "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine möglicherweise strafbare öffentliche Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses gesehen" und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das richte sich "auch gegen die bislang unbekannten, ihr Dienstgeheimnis verletzenden Geheimnisträger" .
Maas will eine schnelle Einstellung
Justizminister Maas will am Freitag dieser Woche eine Stellungnahme zu dem Verfahren abgeben. Diese soll dann Range zugestellt werden. Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR wird es darin heißen, dass es sich nicht um Landesverrat handelt. Maas wolle "den Fall nicht durch den Sommer schleppen" , schreibt die Süddeutsche Zeitung. Es wird ohnehin erwartet, dass das Verfahren eingestellt wird. Am Freitag hatte Range erklärt, es werde vorerst nicht weiter ermittelt .
Verfassungsschutz-Präsident Maaßen hingegen hat die Anzeige am Wochenende noch einmal gerechtfertigt. "Um die weitere Arbeitsfähigkeit meines Hauses im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus sicherzustellen, war es notwendig, gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten des BfV juristisch vorzugehen" , sagte er der Bild am Sonntag.
Nachtrag vom 3. August 2015, 13:30 Uhr
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière haben sich in der Debatte um den Vorwurf des Landesverrats gegen Netzpolitik.org geäußert. Beide hielten ihn für zweifelhaft, berichtet die ARD-Nachrichtensendung Tagesschau(öffnet im neuen Fenster) .
Der Bundesregierung komme es darauf an, "in der Sache eine Klärung herbeizuführen" , sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Wenn es um Pressefreiheit gehe, sollten Behörden eine "besonders sensible Abwägung" vornehmen.



