EQC vorgestellt: Daimlers Elektroauto für den progressiven Luxus

Knapp zwei Wochen vor Audi hat der Autokonzern Daimler sein erstes elektrisches SUV vorgestellt. Doch anders als das Konkurrenzfahrzeug der Ingolstädter ist der neue EQC noch nicht bei den Händlern zu kaufen: Während der neue E-Tron seit Anfang der Woche im Brüsseler Audi-Werk produziert wird(öffnet im neuen Fenster) , soll der EQC erst Mitte 2019 vom Fabrikband in Bremen rollen. Bei der Vorstellung des neuen Modells am Dienstag in Stockholm ließen sich viele Übereinstimmungen zwischen beiden Elektroautos feststellen - dabei liegt Daimler nicht gerade vorn.
Viereinhalb Jahre Entwicklungszeit hat Daimler in den EQC gesteckt. Das Crossover-SUV ist das erste Modell der EQ-Reihe, die der Konzern neben den Reihen AMG, Maybach und der Kernmarke Mercedes-Benz etablieren will. EQ soll dabei für "Electric Intelligence" stehen und "progressiven Luxus" signalisieren. Was auf den ersten Blick wie eine contradictio in adiecto(öffnet im neuen Fenster) klingt, bedeutet für die Marketing-Abteilung: Mit dem kompletten Mobilitätspaket und einem neuen Design sollen neue Käuferschichten gewonnen werden. Einen Verkaufspreis nennt Daimler aber noch nicht.
Gut 400 Kilometer realistische Reichweite
Dass die Wahl beim ersten Elektromodell auf ein SUV fiel, hat nach Angaben der Entwickler einen ganz praktischen Grund: Der Fahrzeugtyp bietet genügend Platz, um bei Batterie und Antriebsstrang keine großen Kompromisse machen zu müssen. Wohl kein Zufall, dass sich die Konzepte von E-Tron und EQC sehr ähneln. Beide haben eine Art Akku-Doppelbett , das die Batteriezellen aufnimmt.

Mit einer Nettokapazität von 80 Kilowattstunden (kWh, brutto 85 kWh) soll das Auto eine Reichweite von 450 Kilometern nach NEFZ erreichen. Den Entwicklern zufolge bleibt eine realistische Reichweite von etwas mehr als 400 km (WLTP) übrig. Daimler gibt einen Durchschnittsverbrauch von 22,2 kWh pro 100 km an. Da dieser Wert die Ladeverluste von mehr als zehn Prozent miteinbezieht, liegt der tatsächliche Verbrauch beim Fahren bei unter 20 kWh, so dass die 400 km auch rechnerisch möglich wären. Optionen für andere Akkugrößen sind derzeit nicht geplant.
Kein besonders schnelles Laden möglich
Was erstaunt: Der EQC lässt sich maximal nur mit einer Leistung von 110 kW laden. Damit dauert ein Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent der Kapazität etwa 40 Minuten. Audi wirbt hingegen damit, dass sich der E-Tron mit bis zu 150 kW laden lässt, so dass der Ladevorgang um zehn Minuten kürzer ausfällt. Selbst ein aktueller Tesla lässt sich mit bis zu 125 kW laden. Daimler begründet die niedrigere Leistung damit, dass großer Wert auf Zuverlässigkeit gelegt werde. Höhere Ladeleistungen würden die Zellen stärker belasten und schneller zu Ausfällen führen.














Auch beim Wechselstromladen liegen Audi und Tesla vorn. Während der E-Tron dreiphasiges Laden mit bis zu 22 kW ermöglicht, beschränkt sich Daimler auf zweiphasiges Laden mit bis zu 7,4 kW. In Städten wie Berlin, wo viele öffentliche Ladesäulen nur Wechselstrom anbieten, dauert ein Ladevorgang damit deutlich länger. Langfristig hofft Daimler darauf, dass sich in Städten Gleichstromladesäulen mit 50 kW durchsetzen, während an Autobahnraststätten mit mehr als 100 kW geladen werden kann.
Wie viele andere Elektroautohersteller bietet Daimler eine Lösung für das Wechselstromladen an, die auf allen Märkten weltweit funktionieren soll. Dafür gibt es in den Testlaboren sogar eine Datenbank, mit der sich alle Stromnetze der Welt simulieren lassen. Da in den USA und Asien nur einphasig geladen wird, gibt es im EQC keinen dreiphasigen On-Board-Lader.
Komplexe Leistungsregelung für zwei Motoren
Zwei Asynchronmotoren in Front und Heck erreichen zusammen eine Antriebsleistung von 300 kW (408 PS). Damit beschleunigt der EQC in 5,1 Sekunden von null auf 100 km/h. Ebenso wie Audi haben auch die Daimler-Ingenieure ein ausgeklügeltes Batterie- und Leistungsmanagement entwickelt. Dieses soll auf der einen Seite die Leistung der Elektromotoren passend zu jeder Fahrsituation optimal auf die Straße bringen. Auf der anderen Seite soll die Energie möglichst sparsam genutzt und rekuperiert werden, um die Reichweite zu erhöhen.

Die beiden Asynchronmotoren sind daher nicht identisch, sondern unterscheiden sich in ihren Kennlinien. "Die vordere E-Maschine ist für den schwachen bis mittleren Lastbereich auf bestmögliche Effizienz ausgerichtet, die hintere bestimmt die Dynamik" , heißt es in der Pressemitteilung(öffnet im neuen Fenster) . In ihrer Leistung sollen sie sich hingegen kaum unterscheiden. Das maximale Drehmoment beider Elektromotoren beträgt 765 Newtonmeter.














Der Fahrer kann zwischen fünf Fahrprogrammen wählen: Comfort, Eco, Max Range, Sport und einem individuell anpassbaren Programm. Darüber hinaus gibt es fünf Rekuperationsstufen. Mit der höchsten Stufe D--, die bis zu 180 kW Rekuperationsleistung ermöglicht, soll sich das Auto in den meisten Situationen nur mit dem Gaspedal bedienen lassen. Wobei das Gaspedal bei einem Elektroauto nun "Fahrpedal" heißt.
Eco-Assistent gibt Fahrempfehlungen
Doch das Pedal kann noch mehr als nur beschleunigen und bremsen. Im sogenannten Eco-Modus erhält der Fahrer ein haptisches Signal, wenn das Auto der Meinung ist, dass in einer Situation nicht mehr beschleunigt, sondern besser "gesegelt" werden sollte. Der Eco-Assistent wertet dazu den Streckenverlauf mit Kurven, Kreuzungen, Kreisverkehren und Gefällen aus und bezieht Geschwindigkeitsbegrenzungen sowie den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen mit ein.
"Innerhalb der Systemgrenzen regelt der Eco-Assistent den Schub situationsgerecht, sobald der Fahrer den Fuß vom Fahrpedal nimmt" , heißt es weiter. Damit er seinen Ökoassistenten versteht und sich nicht zu sehr gegängelt fühlt, werden dem Fahrer im Display die Gründe für die Empfehlungen angezeigt. Damit wird möglichst effizient zwischen Segeln und Rekuperation gewechselt, um beispielsweise Tempolimits einzuhalten und den Schwung aus einem Gefälle gut mitzunehmen. Auch der Mildhybrid der S-Klasse verfügt bereits über einen solchen Eco-Modus .
Neues Infotainment-System MBUX
Was die Assistenzsysteme wie Abstandsregeltempomat oder Spurhalteassistent betrifft, bewegt sich der EQC ohnehin auf dem Niveau der S-Klasse. Das gilt auch für das Sensorpaket, das beispielsweise eine Stereo- und eine Monokamera in der Windschutzscheibe umfasst. Die Innenausstattung ist eher C-Klasse-Niveau, während sich das Infotainment-System MBUX (Mercedes-Benz User Experience) an der neuen A-Klasse orientiert. Das gilt beispielsweise für die verbesserte Sprachsteuerung Linguatronic, die lernfähig sein soll. Zudem erkennt das System nun, ob der Fahrer oder Beifahrer gesprochen hat und führt die Befehle entsprechend aus, beispielsweise beim Einschalten der Sitzheizung.
Das digitale Kombiinstrument und das sogenannte Media-Display haben beide eine serienmäßige Größe von 2 x 10,25 Zoll. Sie befinden sich beide hinter einer gemeinsamen, durchgängigen Glasfläche, wobei das rechte Media-Display berührungsempfindlich ist. In der Mittelkonsole befindet sich als weitere Bedienmöglichkeit für viele Fahrzeugfunktionen ein Touchpad.
Das Gesamtpaket als Verkaufsargument
Bei all diesen Werten liegt Daimler nicht unbedingt vorn, was die Elektromobilität betrifft. Sowohl bei Reichweite, Ladeleistung oder Beschleunigung ist die Konkurrenz von Tesla oder Audi derzeit um einiges voraus. Firmenchef Dieter Zetzsche blieb daher bei der Präsentation in Stockholm nichts anderes übrig, als auf das "Gesamtpaket" zu verweisen. Schließlich sei der EQC ein "echter Mercedes" , was beispielsweise Sicherheitsaspekte oder Komfort betreffe. Zetzsche bezeichnete den Start der neuen EQ-Serie als "Beginn einer neuen Ära" und als "Meilenstein" , vergleichbar mit dem Verkauf der früheren Partnerfirma Chrysler oder dem Start der S-Klasse im Jahr 1972.
Zu dem Gesamtpaket gehört selbstverständlich eine Vernetzung über die App Mercedes Me, mit der sich der Ladezustand überwachen und das Auto vorklimatisieren lässt. Über die App will Mercedes auch den Ladevorgang erleichtern. Mit Hilfe des Dienstes Mercedes me Charge sollen die Fahrer bei mehr als 200 Ladestationenbetreibern in Europa laden und bezahlen können. Das gilt auch für das Netz von Ionity, an dessen Aufbau sich Daimler zusammen mit BMW und Audi beteiligt.
Kein induktives Laden geplant
Auffällig am Fahrgestell sind zwei Stahlrohre, die in die Fahrgastzelle hineinragen und dem Aufprallschutz dienen sollen. Die Elektromotoren wiederum sind über Gummilager zweifach gegenüber Hilfsrahmen und Karosserie entkoppelt. Der ohnehin geräuscharme Elektroantrieb soll damit im Innenraum noch leiser werden, wenn er mit bis zu 13.000 Umdrehungen pro Minute rotiert.
Verabschiedet hat sich Daimler hingegen vorerst vom induktiven Laden. Während BMW seit einigen Monaten eine solche Lösung für den 530e anbietet , soll das berührungslose Laden weder für die Plugin-Hybride der Mercedes S-Klasse noch für den EQC kommen. Vor einem Jahr hatte Daimler noch ein solches System angekündigt, das zusammen mit Bosch entwickelt werden sollte . Die Entwickler wollen nach eigenen Angaben noch abwarten, bis es Ladeleistungen im Bericht 7 kW oder mehr gibt.
Was ist progressiver Luxus?
Wie sieht nach Vorstellung des Unternehmens daher der typische EQC-Käufer aus? Steht die Kernmarke Mercedes für den "modernen Luxus" und ein Maybach für den "ultimativen Luxus" , soll sich die EQ-Serie durch "progressiven Luxus" auszeichnen. "Dieser entsteht durch das Zusammenspiel einer bislang unbekannten Schönheit, dem bewussten Aufeinandertreffen digitaler und analoger Elemente sowie dem nahtlosen ineinander Übergehen von intuitivem und physischem Design" , heißt es ziemlich verschwurbelt in der Pressemitteilung(öffnet im neuen Fenster) . Als Beispiele für das neue Mercedes-Design stehen der neu gestaltete Kühlergrill und der Innenraum in einer "avantgardistischen Elektro-Ästhetik" . Dabei soll der Lamellenkragen der Instrumententafel an die Kühlrippen eines Hi-Fi-Verstärkers erinnern.














Daimler will darüber hinaus eine spezielle "EQ Community" aufbauen, die mit Veranstaltungen wie "EQ Dinner" oder "EQ Night" gelockt werden sollen. Dort sollen "inspirierende Persönlichkeiten mit der Marke in Kontakt kommen und sich mit Gleichgesinnten über die Mobilität von morgen austauschen können" . Daneben will Mercedes ein Online-Forum für die Nutzer aufbauen(öffnet im neuen Fenster) .
Flexible Produktion nach Bedarf
Eher praktischer Luxus ist hingegen die Möglichkeit, eine Anhängerkupplung anbauen zu lassen. Diese sind bei Elektroautos, wenn man nicht gerade ein Tesla Model X besitzt, eher Mangelware. Mit dem EQC lassen sich daher auch mal der Pferdetransporter und der Wohnwagen anhängen, was für die Zielgruppe sicherlich ein größeres Kaufargument als der Lamellenkragen an der Instrumententafel sein dürfte.

Ob die neue EQ-Serie ebenso erfolgreich wie die S-Klasse wird, steht aber noch nicht fest. Daimler hat sich daher eine möglichst flexible Produktionsstrategie ausgedacht. Zunächst soll der EQC im Werk Bremen vom Band laufen. Allerdings nur nach Bedarf, so dass die Elektroautos nicht massenweise auf Halde produziert werden. Mit der flexiblen Produktion sollen aber lange Lieferzeiten, wie derzeit bei Elektroautos üblich , der Vergangenheit angehören. Auch die Batterien stammen aus der Eigenproduktion. Dazu wurden von der Firmentochter Deutsche Accumotive im sächsischen Kamenz die erforderlichen Kapazitäten aufgebaut. Die Zellen wiederum kommen von asiatischen Herstellern, wobei Daimler keinen konkreten Lieferanten nennen wollte.
Ein weiteres Werk ist in der chinesischen Hauptstadt Peking geplant, wo schon jetzt jährlich 400.000 Mercedes-Autos produziert werden. An seiner Strategie, bis 2022 alle Mercedes-Modelle mindestens in einer elektrifizierten Variante anzubieten, hält das Unternehmen fest. Auch dabei spielt der EQC eine wichtige Rolle. Denn die nun entwickelte modulare Technik soll in den künftigen EQ-Modellen ebenfalls verwendet werden.
Mit den ersten Elektro-SUVs von Daimler und Audi nimmt die Elektromobilität zweifellos Fahrt auf. Für den Erfolg im Massenmarkt dürfen die Modelle aber kein Luxus mehr sein, und sei er noch so progressiv.
Offenlegung: Golem.de hat auf Einladung von Daimler an der Präsentation des EQC in Stockholm teilgenommen. Unsere Berichterstattung ist davon nicht beeinflusst und bleibt gewohnt neutral und kritisch. Der Artikel ist, wie alle anderen auf unserem Portal, unabhängig verfasst und unterliegt keinerlei Vorgaben Dritter; diese Offenlegung dient der Transparenz.



