Elektroauto: Nio ET7 - schicke Elektrolimousine mit Wechselakku

In drei Zügen setzt das Auto automatisch rückwärts in die Station. Ein Klick auf den Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts initiiert den Akkutausch. Die Sprachausgabe bestätigt, dass es losgeht. Dann ruckelt das Auto und es wird recht laut. Der ET 7 von Nio wird angehoben, unter dem Fahrzeug wird spür- und hörbar gearbeitet. Dann wird das Fahrzeug wieder abgesenkt.
Diese knapp zehn Minuten waren das Ungewöhnlichste an der Testfahrt mit der neuen Elektrolimousine aus China: An einer Station nahe der Zitadelle Spandau im Westen Berlins demonstriert der Hersteller den Wechsel eines Akkus - ein Novum in Deutschland. Neben der Station in Spandau gibt es noch zwei weitere: eine in Zusmarshausen bei Augsburg und eine in Hilden in Nordrhein-Westfalen. Sie sollen in Betrieb genommen werden, wenn Nio in Kürze auf dem deutschen Markt startet.
Während der Elektroautohersteller in Norwegen vor einigen Monaten (g+) ein Sport Utility Vehicle (SUV) auf den Markt gebracht hat, startet Nio in Deutschland mit anderen Ambitionen: Der ET7 ist eine Fließhecklimousine der Oberklasse, die mit dem Mercedes EQS , dem BMW i7 oder dem Audi E-Tron GT konkurrieren soll.
Drei Wölbungen im Dach fallen auf
Von der Karosserieform her ähnelt der ET7 auch einem Mercedes oder Audi und ist ähnlich aerodynamisch wie der EQS. Die Frontpartie hingegen sieht eher weniger europäisch aus. Auffällig sind die drei Wölbungen im Dach über der Frontscheibe, unter denen sich Sensoren verbergen - dazu später mehr. Die Türgriffe sind versenkt und springen heraus, wenn das Fahrzeug den elektronischen Schlüssel erkennt.

Oberklassegemäß sind auch Ausmaße und Ausstattung: Der ET7 ist 5,10 Meter lang und wiegt leer satte 2,4 Tonnen, was dem Fahrzeug eine gute Straßenlage gibt. Dafür ist es trotz des 480 kW starken Allradantriebs (180 kW an der Vorderachse und 300 kW an der Hinterachse) im Antritt etwas behäbig, auch im Sport-plus-Modus: Es dauert knapp 4 Sekunden, bis das Fahrzeug aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigt. Die Geschwindigkeit ist bei 200 km/h abgeriegelt.
Doch wer ein solches Auto fährt, dem dürfte es kaum um eine allzu sportliche Fahrweise gehen. Das Fahrzeug ist eher auf gepflegtes Dahingleiten ausgelegt. Dafür sorgt der große Akku. Nio bietet zwei Varianten: Der kleinere Akku hat eine Kapazität von 75 kWh und soll eine Reichweite von 445 Kilometern ermöglichen. Mit dem 100-kWh-Akku sollen es 580 Kilometer sein. Schließlich plant Nio noch einen Festkörperakku mit 150 kWh, mit dem das Auto sogar 1.000 Kilometer schaffen soll.






















Entsprechend der Größe ist auch der Innenraum großzügig gestaltet.
Ein Roboter namens Nomi
Vorne wie hinten haben die Insassen reichlich Platz, auch wenn der Mittelplatz hinten, wie so oft, etwas unbequem ist. Praktisch ist, dass vorne der Mitteltunnel offen ist - das ergibt ein zusätzliches Ablagefach. Das Panoramadach sorgt für viel Licht.
Die Inneneinrichtung unseres Testfahrzeugs ist aus beigem Kunstleder, das Armaturenbrett ist grau und mit einer Leiste aus Karuun, einem hellen Holz, gegen das helle Interieur abgesetzt. In dem Spalt dazwischen befinden sich die Lüftungsschlitze. Außerdem sind darin Leuchtdioden verlegt, die nach Einbruch der Dunkelheit leuchten. In einem Menü kann zwischen diversen Farbstimmungen gewählt werden. Wer sich kreativ betätigen möchte, kann sich auch ein eigenes Farbprofil schaffen.
Der Kofferraum ist zwar recht geräumig. Anders als viele andere Fahrzeuge bietet der ET7 aber nicht die Möglichkeit, ihn durch Umklappen der Rückbank zu vergrößern. Um längere Gegenstände zu transportieren, ist in der Rückbank eine kleine Durchreiche verbaut.
Es gibt nur wenige Bedienelemente
Fast alle Funktionen werden über den knapp 13 Zoll (rund 33 Zentimeter) großen Touchscreen auf der Mittelkonsole gesteuert. Physische Bedienelemente, die die spartanische Formensprache der Innenrichtung stören, gibt es kaum: Auf der Mittelkonsole finden sich der Fahrtregler sowie drei Schalter, darunter der für den Warnblinker. Auf den Lenkradspeichen gibt es zwei Vierwegetasten mit jeweils einem Knopf in der Mitte, die aber weitgehend ohne Symbol oder Beschriftung auskommen, so dass man über die Funktion rätseln muss. Wie sich zeigt, wird über das linke Bedienfeld der Tempomat gesteuert.






















Das einzige spielerische Element ist Nomi. Das ist ein kugelförmiger Roboter mit einem Bildschirmgesicht, der mit den Insassen interagiert: Wird Nomi angesprochen - das Stichwort lautet "Hi Nomi" - dreht sie sich in die Richtung, aus der sie angesprochenen wird. Auf dem Bildschirm erscheint zu den beiden Augen eine Hand, die sie sich hinter das (nicht vorhandene) Ohr legt, als Zeichen, dass Nomi zuhört.
Auf Spracheingabe startet Nomi beispielsweise die Navigation. Sie kann die Fenster öffnen oder schließen, die Massagefunktion in den Sitzen aktivieren, sie kann Musik abspielen - und diese untermalen: Erklingt aus den Boxen ein Gitarrensolo, schwingt auch Nomi eine Gitarre. Geht es sanfter zu, schließt sie träumerisch die Augen. Zu Countrymusik setzt sie einen Hut auf. Nomi kann aber auch anders. Wird eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht eingehalten, mäkelt sie, man fahre zu schnell für das geltende Tempolimit.
Nomi Halo leuchtet blau
Für den Fall, dass der Zielgruppe diese Mate (etwa: Kamerad oder Gefährte) genannte Version von Nomi zu verspielt ist, plant Nio eine dezentere Alternative: Nomi Halo ist ein blauer leuchtender Ring auf dem Armaturenbrett.
Problematisch ist, dass Nomi Gesprächen im Fahrzeug lauscht, um zu lernen. Ein Teil der Daten wird in der Cloud verarbeitet. Nio betont jedoch, sich an die örtlichen Datenschutzvorgaben zu halten.
Für die Testfahrt schickt uns Nio vom Flughafen BER im Südosten Berlins zunächst nach Norden über die Autobahn und dann über brandenburgische Landstraßen zum ehemaligen Flughafen Groß Dölln und von dort über die Wechselstation in Spandau zurück zum Flughafen.
Eine gute Gelegenheit, die Assistenzsysteme zu testen.
Nio will Level 3
Das Fahrzeug verfügt über einen Abstandsregeltempomat und einen Spurhalte- beziehungsweise Lenkassistenten, die recht sicher funktionieren. Wie bei vielen von uns getesteten Autos ist auch beim Nio die Verkehrszeichenerkennung nicht immer fehlerlos. So wurde in einer Baustelle auf der Autobahn eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht erkannt und einmal in einer geschlossenen Ortschaft als zulässige Höchstgeschwindigkeit 120 km/h angezeigt.
Gut funktioniert hingegen die Erkennung anderer Verkehrsteilnehmer, wie auf der Instrumentenanzeige zu sehen ist: Lkw und Pkw werden ebenso identifiziert wie Radfahrer und Fußgänger.
Auf den brandenburgischen Landstraßen, die häufig keine Fahrbahnmarkierung haben, wurde der Fahrer des Öfteren aufgefordert, selbst zu lenken. Das erwies sich auch bei einigen Ortseinfahrten als praktisch: Dort sind teilweise Verkehrsinseln aufgebaut, um die Autos abzubremsen. An solchen Stellen übernahmen wir lieber präventiv das Lenken. Fehlerlos zeigte sich der Einparkassistent, der das Auto souverän in eine Parklücke bugsiert - und später auch in die Swap-Station.
Der ET7 verfügt über 33 Sensoren
Im zähen Berufsverkehr erwies sich der Tempomat als sehr hilfreich. Er gehört noch zum teilautomatisierten Fahren (Level 2). Nio will jedoch mehr: Am Etappenziel Groß Dölln hat der Hersteller einige Informationsstände aufgebaut, unter anderem auch zur Sensorik und den Assistenzsystemen. Die Ausstattung, die Nio in dem Fahrzeug verbaut, ist beachtlich: 33 Sensoren überwachen die Umgebung des Fahrzeugs: elf Kameras, zwölf Ultraschallsensoren, fünf Radare sowie - damit steht Nio weitgehend allein da - ein Lidar.






















Die anfallenden Daten - immerhin 8 Gigabyte pro Sekunde - verarbeitet ein Computer mit der Bezeichnung Adam. Er verfügt über vier Orin-X-Prozessoren von Nvidia mit jeweils zwölf Kernen, die zusammen auf über 1.000 Tera-Operationen pro Sekunde (Tops) kommen.
Mit dieser Ausstattung will Nio nicht bloß teilautomatisiert, sondern automatisiert fahren (Level 3). Allerdings nicht nur - wie Mercedes mit seinem Drivepilot - auf der Autobahn bis Tempo 60.
Der Mehrwert eines solchen Systems sei für die Kunden nicht so groß, sagte ein Nio-Mitarbeiter selbstbewusst im Gespräch mit Golem.de. Nios Ziel sei, automatisiert auf der Autobahn zu fahren, von der Auffahrt bis zur Abfahrt, und das mit 130 km/h.
Nio plant Updates und neue Funktionen
Die Hardware gibt das her. Die Philosophie des Unternehmens ist, die Autos mit Systemen auszustatten, die aktuell noch überdimensioniert sind. Die Funktion, für die diese Hardware benötigt wird, soll per Updates folgen. Diese will Nio in relativ engem Takt ausliefern. Sie sollen Fehler beheben, aber auch neue Funktionen bereitstellen.
Schon heute könnte der ET7 einiges mehr. So findet sich im Menü ein Assistent für den Spurwechsel, der aber nicht aktiviert werden kann. Vielleicht ist es auch dem Antizipieren von Level 3 geschuldet, dass es recht lange dauert, bis Nomi anmahnt, doch bitte die Hände wieder ans Lenkrad zu nehmen.
Laden konnten wir auf unserer Tagestour mit dem ET7 nicht testen. Das ist ohnehin nicht die Stärke der Elektro-Limousine: Die maximale Leistung beträgt 130 kW, wobei Nio betont, dass diese über eine längere Zeit aufrechterhalten bleibe und nicht so schnell abfalle.
Für Nio scheint der Akkuwechsel Priorität zu haben - zu Recht, ist das doch aktuell ein Merkmal, das Nio von allen anderen Herstellern abhebt. Davon profitiert etwa das Stromnetz, das weniger belastet wird als durch eine Schnellladestation. Die Wechselstation in Spandau kommt mit einem 550-Kilowatt-Netzanschluss aus. Die 13 Akkus werden über Nacht mit 20 bis 40 Kilowatt geladen, was sie mehr schont als Laden mit hoher Leistung.
Die Kunden profitieren laut Nio in mehrfacher Hinsicht von dem Modell: So würden die Akkus bei jedem Wechsel überprüft. Würden schadhafte Zellen erkannt, könnten diese sogleich ausgetauscht werden. Gebe es Neuerungen bei den Akkus, profitierten davon nicht nur die Käufer von Neuwagen, sondern alle Nio-Besitzer.
Der wichtigste Vorteil dürfte aber sein, dass Fahrzeuge, die den 75-kWh-Akku haben, aufgerüstet werden können. Wer beispielsweise eine längere Tour plant, kann dafür gegen einen Aufpreis einen 100-kWh-Akku - und später einen 150-kWh-Akku - mieten. Nach der Reise wird dieser dann wieder gegen den kleineren getauscht.
Nio ET7: Verfügbarkeit und Fazit
Der ET7 soll noch in diesem Jahr in Deutschland auf den Markt kommen. Das Fahrzeug kann bereits bestellt werden. Nio hat sich ein besonderes Geschäftsmodel ausgedacht : Der Hersteller will seine Autos nicht verkaufen, sondern vermieten. Der Preis für den ET7 mit dem 75-kWh-Akku liegt bei 1.200 Euro im Monat bei einer Laufzeit von drei Jahren.
Allerdings hatte Nio vor einigen Wochen auch einen Kaufpreis für den ET7 genannt: Der soll bei 70.000 Euro liegen. Die Einstiegspreise für die Oberklassemodelle der deutschen Konkurrenten liegen alle oberhalb von 100.000 Euro.
Fazit
Mit dem ET7 hat Nio eine elektrische Limousine der Oberklasse entwickelt. Sie ist eher auf sanftes Dahingleiten mit moderater Geschwindigkeit ausgelegt als darauf, sehr schnell ans Ziel zu kommen. Für eine gute Straßenlage sorgen der tiefe Schwerpunkt und das hohe Gewicht des Fahrzeugs.
Letzteres hat aber auch Nachteile: So reagiert das Fahrzeug auch im Sportmodus deutlich weniger giftig als etwa Teslas Model S, vom sogenannten Ludicrous Mode ganz zu schweigen. Wer Wert auf hohe Geschwindigkeiten legt, für den ist der ET7 nicht das richtige Auto: Nio limitiert die Höchstgeschwindigkeit auf 200 km/h.

Anders als die deutschen Hersteller, die eher Wert auf Luxus und Dezenz legen, setzt Nio auf Technik als Verkaufsargument: die vielen Sensoren, die auf absehbare Zeit automatisiertes Fahren (Level 3) ermöglichen sollen, der Roboter Nomi, der Akkuwechsel.
Die Assistenzsysteme funktionieren - abgesehen von einigen Kleinigkeiten - gut. Bis zur Markteinführung will Nio hier noch nachbessern. Zudem will der Hersteller durch relativ häufige Updates bestehende Funktionen verbessern sowie neue ausliefern.
Nomi ist eine nette Spielerei - für einen Tag. Es ist aber vorstellbar, dass der kleine sympathische Roboter einem auf Dauer reichlich auf den Keks geht. Allerdings besteht die Möglichkeit, ihn abzuschalten. Dass er permanent lernt, ist sicher löblich. Aber dass er dafür die Gespräche im Auto belauscht, ist ambivalent.






















Wie sich die Beschränkung auf eine Ladeleistung von 130 kW auswirkt, konnten wir nicht testen. Nio behauptet, dass länger als bei anderen Fahrzeugen mit dieser Leistung geladen werde und der Abfall erst später erfolge.
Dafür haben wir einen Akkuwechsel mitgemacht: In nicht einmal zehn Minuten von einem leeren zum einem vollen Akku zu kommen und zudem vielleicht sogar zu einem größeren, ist sicher ein Argument, das für den chinesischen Hersteller - und dessen weitere Modelle, die noch kommen sollen - spricht.
Das Konzept Akkuwechsel steht und fällt mit der Zahl der Stationen. Die gerade mal drei, die es aktuell gibt, werden da nicht ausreichen. Eine Infrastruktur nur für die eigenen Fahrzeuge aufzubauen, ist für den Anfang sicher verkaufsfördernd - siehe Tesla -, auf Dauer aber auch übertrieben - siehe ebenfalls Tesla. Nio müsste deshalb andere Hersteller dazu bringen, das Wechselsystem zu übernehmen.



