Über die Energiekrise, Fake News und die Rolle Chinas
8. Atomkraftwerke in Kriegsgebieten stark gefährdet
Gleich zu Beginn des Krieges eroberten russische Truppen das Gelände des zerstörten Atomkraftwerks Tschernobyl. Seit der Explosion des vierten Blocks im April 1986 ist das verstrahlte Gebiet eine Sperrzone. Wenig später wurde auch das Atomkraftwerk in Saporischschja besetzt.
Das ist eine neue Bedrohung: Nicht nur, dass die Angreifer die Energieversorgung beherrschen. Bei einem Treffer - die es bereits gab - könnte ein Reaktorgebäude beschädigt werden und Radioaktivität austreten. Auch durch einen Stromausfall, wie es ihn in Tschernobyl gab, könnte es zu einer Katastrophe in einem der besetzten Atomkraftwerke kommen.
Saporischschja ist nicht nur das größte Atomkraftwerk Europas. Es ist auch der größte Stromlieferant. Damit dort weiterhin Strom zur Verfügung steht, wurden das Land und sein südlicher Nachbar Moldawien relativ schnell an das europäische Stromnetz angeschlossen.
9. Krieg legt Energie-Abhängigkeit von Russland offen
Das Thema Energie war auch außerhalb des Kriegsgebietes relevant: Mehrere europäische Länder, allen voran Deutschland, deckten einen Gutteil ihres Energiebedarfs mit günstigem Gas aus Russland, das plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht.
Um den Aggressor nicht weiter zu finanzieren, wurde der Bezug schnell beendet. Die maßgeblich auf deutsche Initiative gebaute Gaspipeline Nord Stream 2 wurde gar nicht erst in Betrieb genommen. Ein Zurück wird es nicht mehr geben: Im September wurden drei der vier großen Pipelines von Nord Stream 1 und 2 nahe der dänischen Insel Bornholm gesprengt.
Die Befürchtung war, dass die Energieversorgung in Deutschland zusammenbrechen würde. Zu den Gegenmaßnahmen der Bundesregierung zählt, die letzten drei deutschen Atomkraftwerke nicht wie geplant zum Jahreswechsel stillzulegen, sondern bis in den April weiter zu betreiben. Eine andere Maßnahme ist, zumindest zeitweise wieder Kohlekraftwerke anzufahren.
Daneben wurde auch nach anderen Gaslieferanten gesucht. Gas soll zukünftig unter anderem aus Katar und Ägypten bezogen werden. Um den Brennstoff beziehen zu können, wurden in Windeseile Flüssiggasterminals - lange ein No-Go - in Wilhelmshaven sowie in Lubmin gebaut. Weitere sind in Planung.
Hinzu kommt, dass viele Menschen den Aufrufen der Regierung gefolgt sind, Energie zu sparen - was angesichts der immens gestiegenen Preise für Strom und Gas aber auch nicht so schwer fällt.
So bitter das ist: Der Krieg beschleunigt die Energiewende (g+): Erdgas galt als Brückentechnologie von der Kohle auf dem Weg zur Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Doch dann wurde die Brückentechnologie zum wichtigsten Brennstoff - bis zu dem Moment, in dem der Krieg den Preis rasant steigen ließ. Inzwischen wird der zuletzt stockende Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich beschleunigt.
10. Fake-News-Kampagnen verfangen kaum
Zum Jahrestag des Kriegsbeginns wiederholte Putin sein Narrativ, dass nicht Russland, sondern der Westen der eigentliche Aggressor sei. "Sie haben den Krieg begonnen. Wir haben alles getan, um ihn zu stoppen", sagte der russische Präsident am 21. Februar 2023. Diese Botschaft richtete sich zwar in erster Linie an die eigene Bevölkerung. Aber auch außerhalb Russlands versucht Putin auf diese Weise, die Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren.
Der Krieg in der Ukraine ist daher von Anfang an auch ein Propagandakrieg gewesen. Beide Seiten setzen dabei darauf, Inhalte gegenseitig zu blockieren. So hat die EU im März 2022 die Verbreitung russischer Staatssender wie RT und Sputnik in ihren Mitgliedstaaten verboten. Die entsprechende Verordnung bezog sich sogar auf Suchmaschinen wie Google, die nicht mehr auf Internetseiten der betreffenden Medien verlinken durften.
Russland versucht im Gegenzug, die Inhalte sozialer Netzwerke zu unterdrücken. Das betraf unmittelbar nach Kriegsbeginn bereits Twitter und Facebook, später auch Instagram.
Zuvor hatte Facebook entschieden, Ausnahmen für seine Richtlinien für Hassrede während des Ukrainekriegs einzuführen. Nach einer internen E-Mail seien Gewalt- und sogar Mordaufrufe gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den belarussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko unter Auflagen erlaubt.
Im September 2022 wiederum machte Facebooks Mutterkonzern Meta eine ausgefeilte russische Desinformationskampagne publik. Die Kampagne habe dazu ein Netzwerk mit 60 Webseiten genutzt, das Nachrichtenangebote wie den Spiegel, The Guardian, Bild oder ANSA imitierte. Die Beiträge seien vor allem auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch und Ukrainisch erschienen. Hauptziel der russischen Kampagne sei Deutschland gewesen.
Im Februar 2023 wurde zudem bekannt, dass Russland sogar gefakte Titelblätter europäischer Satiremagazine verbreitet haben soll. Nach Angaben des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) sollte damit der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verunglimpft werden.
Insgesamt dürfte es Russland nicht gelungen sein, die Stimmung im Westen mit seiner Propaganda stark zu beeinflussen. Auf der anderen Seite hat das Land seine eigenen Medien so gut unter Kontrolle, dass die eigene Bevölkerung den Kriegskurs der Regierung offenbar weiterhin unterstützt. Wer sich informieren will, dürfte über das Internet aber noch Mittel und Wege finden, an westliche Nachrichten zu gelangen.
11. China hält weiter zu Russland
Die chinesische Führung dürfte sich die Reaktion des Westens sehr genau angeschaut haben. Sie ist eine der wenigen, die den Einmarsch nicht verurteilt hat. Noch wenige Tage vor Kriegsbeginn zeigte sich Staats- und Parteichef Xi Jinping mit Putin während der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking.
Es wurde sogar gemunkelt, dass Xi Putin gebeten haben soll, den Olympischen Frieden nicht zu brechen und nach Ende der Spiele anzugreifen. Die chinesische Regierung bestreitet das vehement.
Dennoch ist der Krieg in der Ukraine ein interessanter Testfall: Die chinesische Regierung provoziert seit einiger Zeit immer offensiver damit, Taiwan mit Festlandchina zu vereinigen - auch gegen den Willen Taiwans und mit Waffengewalt. Die US-Regierung aber hat ihre militärische Garantie für den kleinen Inselstaat gerade noch einmal bekräftigt.
Chinas Blick geht auf die Weltgemeinschaft: Wer stimmt dem russischen Einmarsch zu? Wer schweigt, wer ist dagegen? Sollte die chinesische Regierung - wie Putin - mit einer schwächlichen Reaktion der USA und ihrer Verbündeten gerechnet haben, wurde sie eines Besseren belehrt.
Für den Moment dürften die Pläne, Taiwan anzugreifen, erst einmal zurückgestellt sein. Dass die Regierung sie aufgegeben hat, hält Helena Legarda vom Merics-Institut für China-Studien in Berlin für unwahrscheinlich: "Der Wille und die Ambitionen Pekings, Taiwan einzugliedern, notfalls mit Gewalt, haben sich nicht geändert. Aber die russische Invasion in der Ukraine könnte die Zeitschiene und Pläne verschoben haben", sagte die Expertin für Sicherheitspolitik dem Deutschlandfunk. Es ist also möglich, dass die unbeugsame Haltung des Westens in nicht allzu ferner Zukunft erneut gefragt ist.
12. Die neue Offenheit der Geheimdienste
Die westlichen Geheimdienste haben in den vergangenen Jahren in verschiedenen Konflikten eine unrühmliche Rolle gespielt. So wurde der Irakkrieg im Jahr 2003 mit angeblichen Massenvernichtungswaffen begründet, die das Land angehäuft haben sollte. Der schnelle Sturz der afghanischen Regierung durch die Taliban im Jahr 2021 wurde hingegen von Geheimdiensten wie dem Bundesnachrichtendienst (BND) nicht erwartet.
Die Warnungen vor einem bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine erschienen vielen Menschen im Herbst 2021 und Frühjahr 2022 als wenig glaubwürdig. Warum sollte Putin einen souveränen europäischen Staat angreifen? Doch als das kaum Vorstellbare tatsächlich eintrat, sahen sich die Vertreter der Dienste nun bestätigt und in Teilen rehabilitiert. "Es ist eingetreten, über das der BND seit Jahren berichtet hat", sagte BND-Präsident Bruno Kahl am 17. Oktober 2022 in einer Bundestagsanhörung.
Es dürfte unstrittig sein, dass die Geheimdienste von Anfang an die ukrainische Regierung und das Militär mit Informationen über die russischen Truppen versorgt haben. Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht sogar auf Twitter täglich seine Erkenntnisse zum Kriegsverlauf. "Es ist offensichtlich so, dass die Ukrainer Geheimdienstinformation aus dem Westen erhalten, die bei der Abwehr von Luft- und Raketenangriffen, aber auch bei der Erstellung des allgemeinen Lagebilds hilft", sagte Wolfgang Richter, Militärexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Zeit.
Die Informationen helfen der ukrainischen Armee nicht nur bei der Abwehr der russischen Angriffe, sondern auch bei ihren Gegenoffensiven und der Bestimmung von Angriffszielen. Dabei sollen russische Soldaten auch durch die Nutzung ihrer Mobiltelefone ihren Standort verraten haben. Zudem haben Auswertungen von geposteten Fotos auf sozialen Medien Hinweise auf Standorte ergeben. Inwieweit Informationen westlicher Geheimdienste dazu beigetragen haben, mehrere russische Generäle durch gezielte Angriffe zu töten, ist Gegenstand von Spekulationen.
13. Selbst Spiele sind nicht unpolitisch
Es ist angesichts der weltweiten Folgen des Krieges nur eine Randnotiz, aber auch die Videospielbranche war betroffen - obwohl das Medium sonst Eskapismus von der Realität verspricht. Aber die lässt sich nicht ausblenden, wenn Raketen einschlagen.
Die in Kyjiv ansässigen Entwickler von Stalker 2 mussten die Arbeit an ihrem Spiel daher unterbrechen. Den ursprünglich für Ende 2022 angepeilten Veröffentlichungstermin konnte GSC Game World so nicht halten.
Mittlerweile kann das Team wieder arbeiten, auch wenn der Krieg noch nicht vorbei ist. Ein konkretes Veröffentlichungsdatum nennt GSC nicht, Stalker 2 soll aber noch in diesem Jahr erschienen.
Ein Unterschied zur Version des Spiels, die vor dem 24. Februar 2022 in der Entwicklung war, kennen wir jetzt schon: Das im Spiel (wie auch im realen Konflikt) eine zentrale Rolle spielende havarierte Atomkraftwerk hat einen neuen Namen bekommen. GSC hat sich dazu entschieden, den russischen Namen durch das ukrainische Chornobyl zu ersetzen.
Auch russische Produktionen gerieten in den Blick der Weltöffentlichkeit. Während sich einige Entwickler wie Ice Picke Lodge schon zu Beginn des Krieges solidarisch geäußert haben, vermeiden andere Studios eine klare Positionierung.
Der von einem internationalen Team, aber eben auch in Moskau entwickelte Shooter Atomic Heart stand dabei zuletzt besonders in der Kritik.
Kurz vor dem Jahrestag des Angriffs forderte der stellvertretende ukrainische Minister für Digitale Transformation sogar Microsoft, Sony und Steam dazu auf, das Spiel von ihren Verkaufsplattformen zu entfernen.
Die Verbindung eines Investors hinter Mundfish zum russischen Staatskonzern Gazprom werfe die Befürchtung auf, dass die Umsätze indirekt den Krieg in der Ukraine mitfinanzieren könnten. Klar ist, dass selbst Videospielproduktionen im Krieg nicht mehr den Anschein erwecken können, unpolitisch zu sein.
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