Open Source ist nicht gleich Freiheit
Das ist eine Stärke des Rechts: Diese Flexibilität erlaubt es uns, auch verhältnismäßig alte Gesetze immer noch mehr oder weniger sinnvoll anzuwenden. Gesetze als Code würden funktionieren, wenn nie etwas schiefginge und die Welt sich an die Vorstellung der Computer hielte. Die Realität sieht jedoch anders aus.
Irrtum 6: Digitale Freiheit drückt sich in der vollständigen Autonomie des Individuums aus
Viele Debatten über das Internet drehen sich um Freiheit: Freiheit von tyrannischen Gesetzen, Freiheit von bösen Konzernen und Regierungen und den Regeln, die sie uns aufzwingen. Als Gegenentwurf werden gerne technische Lösungen präsentiert, sehr häufig aus dem Open-Source-Umfeld: Software, die sich jede und jeder umsonst runterladen und einsetzen kann, um sich zu befreien. Der einzige Weg, sich nicht dem System zu unterwerfen, ist die Flucht in totale Autonomie. Das zugrunde liegende Autonomieverständnis ist dabei ein Ausdruck negativer Freiheit: der Freiheit von Zwängen. Das autonome Individuum, das seine freien, eigenen Entscheidungen trifft.
Bei genauerer Betrachtung ist dieses Verständnis von Autonomie allerdings vor allem ein Ausdruck extremer Privilegiertheit: Wer sich mit Hilfe von Technik aus den Zwängen befreien will, braucht erst einmal ein Grundverständnis der digitalen Möglichkeiten. Dafür benötigt er Zugriff auf eine technische Ausbildung, genug Freizeit, um sich mit technischen Spielereien zu beschäftigen, und genug Geld, um sich eigene Hardware und Server zu leisten.
Selbst wenn eine Person Zugang zu all diesen Privilegien bekäme, wäre dieser Autonomiebegriff immer noch normativ und (ab)wertend. Was ist denn, wenn eine Person ihre Zeit gar nicht mit der Verwaltung von irgendwelchen Servern verbringen möchte, sondern lieber Lyrik von Georg Trakl lesen würde? Ist diese Person nun schuld an ihrer Unterdrückung? Ist nicht vielmehr ein essenzieller Teil unseres Freiheitsbegriffes die Arbeitsteilung, die es uns erlaubt, gerade eben nicht alles selbst tun zu müssen, sondern selbst zu entscheiden, wofür wir uns begeistern und wofür nicht und wie wir unsere Zeit verbringen wollen? Ein Freiheitsbegriff, der dabei stark von einer Verbindung aller in einer Gesellschaft ausgeht, nicht reinem Individualismus?
Wenn das Internet als ein Werkzeug der Freiheit wirken soll, dann kann ein digitaler Freiheitsbegriff sich nicht in isolationistischen Individualismus flüchten: Der digitale Prepper, der sich auf jedwede Katastrophe vorbereitet, kann nicht das gesellschaftliche Ziel sein. Die Gesellschaft muss Konzepte entwickeln, die auch Menschen ohne technische Begeisterung oder Interessen eine ermächtigende Teilnahme am digitalen Teil des Lebens garantieren. Autonomie ist da eine Sackgasse.
Die Sozialisierung des Digitalen
Die Analyse der zentralen Irrtümer darf keine intellektuelle Fingerübung bleiben. Aus den oben beschriebenen Punkten folgt ziemlich direkt, wie sich bestimmte Diskurse weiterentwickeln. Was alle Irrtümer vereint, ist die Erkenntnis, dass unser Leben sehr viel stärker durch unsere sozialen Verbindungen, unsere kulturellen Hintergründe und persönlichen Geschichten gelenkt wird, als das in technischen Systemen oft abgebildet ist. Genauso wie die Digitalisierung versucht, die Welt der Software zugänglich zu machen, muss jetzt die Sozialisierung des Digitalen vorangetrieben werden: die Gestaltung auch unseres digitalen Lebens als kommunikatives, humanes Netzwerk zum Wohle der Menschen.
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Gesetze als Code? Funktionieren nicht |
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