Es gibt nicht diese Sensorik
Das ist allerdings eine Fehlvorstellung, die mehr über unsere unbeirrte Technikgläubigkeit und unsere akute Verzweiflung aussagt, als uns lieb sein kann. Denn eine technische Sensorik, die es uns erlaubte, den Weg von einzelnen Virusinfektionen nachzuzeichnen oder konkret vorauszuberechnen, gibt es nicht. Punkt. Ende der Digitalisierung.
Was es gibt, sind Versuche, menschliches Verhalten - insbesondere das von Infizierten und von Verdachtsfällen - technisch zu erfassen und die Daten für den Kampf gegen die Pandemie nutzbar zu machen. Dass hierzu der Einsatz von Standortdaten aus der Mobilfunktelefonie viel zu ungenau ist, hat sich herumgesprochen; auch die von Smartphones erfassten GPS-Ortungsdaten taugen nicht, da sie ebenfalls auf den Infektionsradius nicht abgestimmt sind und nicht abbilden, dass wir uns nicht nur nebeneinander, sondern auch übereinander bewegen (in mehrstöckigen Häusern, U-Bahnen und Einkaufszentren) und selbst bei geteiltem Standort durch Wände oder Fenster "sicher" getrennt sein können.
Bleibt die Bluetooth-Technologie, deren Schwäche nun zu einer Stärke werden könnte: Sie reicht nur wenige Meter weit und korreliert somit noch am Besten mit dem von Virologen ausgerufenen Ansteckungsradius von 1,5 bis 2 Metern. So soll ab Mitte April eine Tracking-App zur Verfügung stehen, die über Bluetooth LE automatisch anonymisierte Daten mittels eines Zahlencodes mit den Smartphones derjenigen Menschen austauscht, denen wir so nahe gekommen sind, dass eine Ansteckung möglich wäre. Sollte dann ein positiver Covid-19-Befund vorliegen, werden automatisch alle im lokalen Speicher meines Smartphones gespeicherten Codes von Kontaktpersonen aus dem Inkubationszeitraum an einen zentralen Server übermittelt.
Bei näherer Betrachtung schwindet jedoch auch diese Hoffnung auf Heilsbringung: Bluetooth verhält sich, je nach Umgebung, sperrig und reicht mal kaum einen Meter weit, mal unter günstigsten Bedingungen aber bis zu einhundert Meter weit - und damit um ein Vielfaches zu weit, um realistische Angaben zu Infektionsrisiken daraus ableiten zu können. Von praktischen Problemen mal ganz abgesehen, dass ein Smartphone in der hinteren Hosentasche anders abstrahlt als eines in der Hand. Und dass man in einem größeren Mietshaus Wand an Wand mit einem Infizierten wohnen kann, dem man weder begegnet ist noch begegnen wird. Vorhersagen, solche Unwägbarkeiten des Bluetooth-Einsatzes durch Signalstärkemessungen abfangen zu können, sind nicht mehr als Hoffnungen.
Zweifel an der Anonymität
Auch bei den vorgestellten Lösungen zur Anonymität der ausgetauschten Daten liegen Zweifel auf der Hand: Bei den ausgetauschten Zahlencodes kann es sich ja nur um pseudonymisierte, also durchaus noch personenbeziehbare Informationen, und gerade nicht um anonymisierte Daten handeln, wenn man darüber infektionsgefährdete Personen ermitteln will.
Das bedeutet auch, dass jedenfalls für den Handybesitzer potentiell auslesbar ist, welche konkreten Personen hinter den Codes stecken, die in seinem Telefonspeicher abgelegt sind - er ordnet diesen Code ohne weiteres einer bestimmten, ihm bekannten Person zu, die er im Inkubationszeitraum traf. Die Zusage von Seiten der Entwickler, man habe auf den Aspekt der Anonymisierung zu Datenschutzzwecken höchste Priorität gelegt, sollte daher nochmals überprüft werden.
Aber abgesehen von diesen Details müssen wir den Blick auf etwas anderes richten: den Aspekt der Freiwilligkeit bei der Nutzung von Tracking-Apps. Ob sich alle zur Installation der App bereit erklären, darf bezweifelt werden. Das Misstrauen gegenüber staatlicher und privater Überwachung wurde in den vergangenen Jahren massiv befeuert, Facebook-Skandale und illegales Online-Tracking haben ihre Spuren ebenso hinterlassen wie Fehlverhalten öffentlicher Stellen, jüngst etwa, als sich Polizeistellen - grob rechtswidrig - zur "Eigensicherung" mit Infizierten-Listen der Gesundheitsämter versorgten.
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Digitalisierung in der Coronafalle: Warum freiwilliges Handy-Tracking nicht funktioniert | Freiwilligkeit sieht anders aus |
Sehe ich auch so!
OK, hier sind zwei richtige Fragen: 1. Was sind die Schwachstellen der derzeit...
Genau das habe ich geschrieben, du hast es ja auch extra noch zitiert... oh Moment...
Ich hoffe sehr, dass diese App quelloffen ist (Open Source nicht unbedingt notwendig...