Digitalisierung: Das digitalste Dorf der Welt liegt in Deutschland

Inhalt
Wer im Ortsteil Etteln der Gemeinde Borchen ein Auto braucht, bekommt es von der Gemeinde. Zumindest kann man sich dort einen siebensitzigen Elektrokleinbus leihen – kostenlos! Auch ein E-Lastenrad können sich die Einwohner gratis borgen. Buchbar sind die Fahrzeuge über die App des Dorfes. Diese dient auch als digitaler Marktplatz und Kommunikationsplattform. Außerdem profitieren die Ansässigen von einem Stromtarif, der immer 30 Prozent günstiger ist als der Preis für die Grundversorgung.
Möglich ist das nicht nur, weil Etteln 34-mal mehr Energie aus Wind- und Sonnenkraft produziert, als es selbst verbraucht. Die Lebensqualität der 1.750 Einwohner des ostwestfälischen Dorfes ist vor allem deshalb so hoch, weil das Dorf das smarteste der Welt ist.
Das befand das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) im Jahr 2024. Der international größte Berufsverband für Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler aus der Elektro- und Informationstechnik mit 486.000 Mitgliedern vergibt im Rahmen des Smart Cities Contest(öffnet im neuen Fenster) jedes Jahr einen Preis für die digitalste Kommune der Welt. Den holte sich Etteln vergangenes Jahr vor Hongkong und Indiens IT-Metropole Pune.
Digitalisierung ist möglich – auch in Deutschland
Gelungen ist das, weil Ettelns Bürger mit viel Eigenverantwortung, unglaublichem Engagement und einem hohen Maß an IT-Kompetenz Schwierigkeiten bei der Digitalisierung überwanden. Die gab es dort ebenso wie überall in Deutschland. Das Beispiel Etteln zeigt daher: Digitalisierung im öffentlichen Raum ist möglich, auch in Deutschland. Doch Bürger müssen das wollen und dürfen nicht darauf warten, dass andere sie mit digitaler Infrastruktur und smarten Angeboten versorgen.
Was Etteln auf die Beine gestellt hat, was davon die 16-köpfige Jury der IEEE besonders überzeugte, und wie dem Dorf gelang, was hierzulande anderswo scheitert, erklärt der Ortsvorsteher Ulrich Ahle im Interview mit Golem.
Ahle vertritt den Ortsteil Etteln in der Gemeinde Borchen im Landkreis Paderborn. Zudem war er 20 Jahre Mitglied des Rats von Borchen. Seit 2023 ist der Ingenieur für Konstruktionstechnik Vorstandsvorsitzender der Gaia-X Association(öffnet im neuen Fenster) , einer Initiative zur Schaffung eines vertrauensbasierten, auf offenen Standards und Schnittstellen aufgebauten Datenraums in Europa.
Davor leitete Ahle die Fiware Foundation, die er im Jahr 2016 gegründet hat. Diese entwickelt und pflegt die weltweit führende Open-Source-Technologie für die Digitalisierung von Städten und Kommunen. Er ist außerdem Gründungsmitglied und Mitglied des Vorstandes der International Data Spaces Association in Deutschland. Beim französischen IT-Dienstleister Atos war er für das Consulting-&-Systems-Integration-Geschäft mit Industriekunden und die Beratung zu Industrie 4.0 verantwortlich.
Golem: Herr Ahle, wie wird ein Dorf mit 1.750 Einwohnern zur besten Smart City der Welt?
Ulrich Ahle: Die Geschichte begann 2012. Damals sollte unsere Grundschule geschlossen werden, weil es nicht mehr genug Schüler gab. Das hat der von den Bürgern gegründete Verein Etteln-aktiv abgewendet. Zur gleichen Zeit kam der Bürgermeister von Borchen zu mir und berichtete, die Gemeinde hätte so viele Anfragen für Bauplätze, dass sie diese nicht mehr bedienen könne. Wenn er Interessenten aber sagte, in Etteln gäbe es noch Grundstücke, wollte da keiner hin.
Golem: Vergleichbare Probleme müssen viele Gemeinden lösen. Nicht alle werden dadurch zum smartesten Dorf der Welt. Wie ist ihnen das gelungen?
Ahle: Wir haben zunächst sogenannte Dorfwerkstätten eingerichtet und sind uns unserer Stärken und Schwächen bewusst geworden. Dann haben wir Arbeitsgruppen zu den Themen Bauen und Wohnen, Schule und Bildung sowie Marketing gebildet.
Die Marketing-Gruppe kam 2017 zu der Erkenntnis, dass sich Digitalisierung als Markenkern für den Ort gut eignen würde. Gemeinsam mit Etteln-aktiv haben wir im Jahr darauf eine Zukunftskonferenz zum Thema Digitalisierung auf dem Land gemacht. Dabei wurde uns klar, dass wir das digitalste Dorf Deutschlands werden wollen. Uns war aber auch sehr schnell bewusst, dass wir zunächst eine vernünftige Kommunikationsinfrastruktur brauchten.



