Open Source und offene Schnittstellen sind am wichtigsten
Golem: Warum war Ihnen bei diesem Projekt die Verwendung von Open Source so wichtig?
Ahle: Weil die Tatsache, dass Deutschland führenden Ländern bei der Digitalisierung wenigstens zehn Jahre hinterherhinkt, eine riesige Chance für uns ist. Denn wir müssen nichts neu erfinden. Viele Lösungen gibt es schon. Allerdings brauche ich Interoperabilität, um die verschiedenen vorhandenen Lösungen integrieren und nutzen zu können.
Das ermöglichen Open Source und – was noch viel wichtiger ist – offene und einheitliche Schnittstellen und Datenmodelle. Dass wir diesen integrativen Ansatz verfolgen, hat die Jury der IEEE am meisten überzeugt, als sie uns als smartestes Dorf der Welt auszeichnete.
Golem: Welche Bausteine ihres digitalen Ökosystems sind für die Ettelner Bürger besonders wichtig?
Ahle: Unsere Dorf-App Crossiety ist sehr wichtig für die Kommunikation im Ort. Außerdem, denke ich, sind das über das Internet buchbare Elektrodorfauto und das E-Lastenrad für viele Menschen hilfreich. Dank der Digitalisierung sind wir außerdem ein Energiedorf, das einen exklusiven Stromtarif hat, der 30 Prozent unter dem Tarif für die Grundversorgung liegt.
Golem: Wieso gelingt das nur durch die Digitalisierung?
Ahle: Durch den steigenden Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung werden wir in Zukunft immer weniger beeinflussen können, wann Strom produziert wird. Was wir aber steuern können, ist, wie und wann er verbraucht wird. Da kann ich allerdings nicht darauf hoffen, dass alle zuhause sind und händisch ihre Wallbox oder Wärmepumpe einschalten, wenn gerade der Wind besonders kräftig weht oder viel Sonne scheint. Diese Steuerung geht nur mithilfe der Digitalisierung und Automatisierung. Beides brauchen wir auch, um Anreizsysteme und dynamische Strompreise einführen zu können.
Golem: Wie hat sich durch die Digitalisierung des Ortes die Dorfgemeinschaft verändert?
Ahle: Die Ettelner sind auf jeden Fall stolz, dass sie das erreicht haben, was sich die Arbeitsgruppe Marketing vor sieben Jahren vorgenommen hat. Heute ist Digitalisierung unser Markenkern. Niemand behauptet mehr, Etteln liege hinterm Mond, da wolle er oder sie nicht hin. Unsere Grundschule besuchen ab kommendem Schuljahr 80 Kinder. Bauplätze haben wir keine mehr. Das ist heute unser größtes Problem.
Golem: Haben Sie noch Pläne für die digitale Zukunft von Etteln?
Ahle: Genug. In den kommenden Monaten bauen wir mit Community-X den ersten kommunalen Datenraum in Europa für die Bereiche Energie, Mobilität und kommunale Angelegenheiten auf. Dazu überführen wir unsere Fiware-basierte Digitalisierungsplattform in einen Datenraum auf Grundlage des europäischen Vorbilds Gaia-X. Außerdem richten wir aktuell eine Praxis für Telemedizin ein.
Golem: Gibt es so etwas nicht schon?
Ahle: Nicht in der Form. In unserer Praxis wird eine speziell ausgebildete Krankenschwester Patienten mithilfe einer Vielzahl vernetzter Untersuchungsgeräte betreuen. Das beginnt beim EKG und Ultraschall und geht bis zum digitalen Spatel, der ein dreidimensionales Abbild des Mundinnenraums macht.
Die Untersuchungsergebnisse der Geräte werden auf eine digitale Plattform geladen und dort mit künstlicher Intelligenz voranalysiert. Ihre Ergebnisse wiederum bekommt der Allgemeinmediziner aus dem Nachbarort, der mit ihrer Hilfe eine eigene Diagnose erstellt und dem Patienten in einem Videocall vorstellt.
So wollen wir 80 Prozent aller Arztbesuche abwickeln. Nur in jedem fünften Fall müssen Patienten dann noch ins Auto steigen und in eine andere Praxis oder Klinik fahren. Das passiert im Rahmen eines Pilotprojekts der Techniker Krankenkasse, das wir als erster Standort in Deutschland umsetzen.
Golem: Herr Ahle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



