Importe, Recycling, Biomasse und CCS
Dass in Deutschland über 600 Terawattstunden Strom für die chemische Industrie bereitgestellt werden, ist kaum realistisch. Denkbar ist natürlich, den Bedarf über Importe zu decken.
So könnten in Ländern, in denen Solar- und Windkraft in großen Mengen verfügbar sind, Methanol oder E-Naphtha erzeugt und importiert werden. Beides lässt sich zumindest gut transportieren. Doch das ändert nichts daran, dass der Strom irgendwo klimaneutral produziert werden muss.
Szenarien anderer Organisationen kommen teilweise zu deutlich niedrigeren Abschätzungen des Strombedarfs der Chemieindustrie. Eine vielbeachtete Studie des Thinktanks Agora Energiewende, die ein Klimaneutralitätsszenario für das Jahr 2045 skizziert, spricht etwa von 219 Terawattstunden an Strombedarf im In- und Ausland.
Ein Grund dafür ist äußerst banal: Agora geht davon aus, dass ein Teil der chemischen Industrie ins Ausland verlagert wird. Das schreibt einen Trend fort, den es in den vergangenen Jahren gab: Neue Steamcracker werden bevorzugt an Küstenstandorten in Belgien und den Niederlanden gebaut, die leichter für Importe erreichbar sind.
Wido Witecka von Agora Energiewende betonte im Gespräch mit Golem.de, dass es dabei nicht um eine Verlagerung von Industrien in Regionen mit geringeren Klimaschutzstandards gehe. "Es wäre eine Produktionsverlagerung in andere EU-Standorte, die auch dem EU-Emissionshandel unterliegen", sagte Witecka.
Biomasse und negative Emissionen
Neben einer insgesamt kleineren Chemie-Grundstoffindustrie geht das Szenario von Agora Energiewende von einem deutlich höheren Anteil an Recycling aus. Außerdem spielt dort Biomasse eine größere Rolle als Rohstoff für die chemische Industrie.
Philipp Hauser von Agora Energiewende erläuterte im Gespräch mit Golem.de, was dahintersteckt. "Es gibt einen Trend weg von der rein energetischen Nutzung von Biomasse", sagte Hauser. "Dadurch wird Biomasse frei, die man stofflich verwenden kann."
Neben der Nutzung von Biomasse sieht Hauser die Möglichkeit, am Ende der Lebenszeit der Produkte für negative Emissionen zu sorgen. "Wir brauchen für ein klimaneutrales Deutschland Kohlendioxidsenken", so Hauser.
Die Idee: Eine Mischung aus Biomasse und Power-to-X-Rohstoffen könnte künftig die Rohstoffe für die chemische Industrie liefern. Dabei wird der Atmosphäre Kohlendioxid entzogen. Der Kohlenstoff wird für einige Zeit in Produkten gebunden. Je mehr recycelt wird, desto länger bleibt der Kohlenstoff im System.
Möglichst lange Recycling und am Ende CCS
"Der Anteil des Abfalls, der nicht recycelt werden kann, sollte bei der Verbrennung mit CCS kombiniert werden", sagt Hauser. CCS steht für Carbon Capture and Storage, gemeint ist damit, die Kohlendioxidemissionen abzufangen und langfristig etwa in geologischen Formationen zu lagern.
Am Ende stehen also negative Emissionen und davor möglichst viel Kreislaufwirtschaft. Zum Recycling sagte Hauser aber: "Das Ganze muss möglichst energieeffizient sein."
Die chemischen Recyclingverfahren, die sowohl Agora als auch der Verband der Chemischen Industrie in großem Maßstab einplanen, brauchen selbst viel Energie. Priorität solle dabei das klassische, mechanische Recycling haben, wo dies möglich sei, erläuterte Wido Witecka von Agora Energiewende: "Das mechanische Recycling ist das energieeffizienteste."
Was Agora hier skizziert, würde einen Weg beschreiten, bei dem negative Emissionen in die Prozesse der chemischen Industrie eingebettet werden. Er beherbergt jedoch reichlich Konfliktpotenzial. Biomasse, CCS und chemisches Recycling sind alle aus unterschiedlichen Gründen umstritten.
Zuletzt bleibt eine weitere Möglichkeit, den enormen Strom- und Rohstoffbedarf abzumildern: eine Senkung des Verbrauchs. Wer Plastik vermeidet, der benötigt keine dafür mit hohem Energieaufwand produzierten Olefine.
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