Gigantische Mengen an Strom nötig
In der Roadmap des Verbandes der Chemischen Industrie sind drei Szenarien skizziert. Nur eines davon erfüllt das, was inzwischen politisch Konsens ist: Treibhausgasneutralität. Die chemische Industrie ging dabei noch von einem Zieljahr 2050 aus. Der Bericht entstand vor dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aufgrund dessen die alte Bundesregierung ein neues Klimaneutralitätsziel bis 2045 beschlossen hat.
Eine Zahl sticht in diesem Szenario heraus: 685 Terawattstunden pro Jahr. So viel Elektrizität bräuchte es, um die gesamte chemische Grundstoffindustrie in Deutschland auf klimaneutrale Verfahren umzustellen. Neben der Olefin- und Aromatenproduktion ist dabei auch die Herstellung von Ammoniak und Chlor mitberücksichtigt.
Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland insgesamt 566 Terawattstunden elektrische Energie erzeugt. Sprich: Die chemische Industrie bräuchte für den klimaneutralen Umbau mehr Strom, als bisher insgesamt in Deutschland erzeugt wird.
So viel Strom, wie die Gesellschaft heute insgesamt verbraucht
International sehen die Größenordnungen ähnlich aus. Eine Studie, die 2018 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, hat eine mögliche Umstellung der gesamten auf Erdöl und Erdgas basierenden Chemieproduktion auf methanolbasierte Verfahren untersucht. Auch hier wird neben Olefinen und Aromaten die Ammoniakproduktion mitgerechnet.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass man für eine solche auf Methanol basierende Chemieindustrie zwischen 18 und 32 Petawattstunden benötigen würde. Die weltweite Stromerzeugung liegt heute bei 25 Petawattstunden. Die große Spannweite ergibt sich aus der Miteinbeziehung oder Auslassung noch in der Entwicklung befindlicher Technologien.
Der Strombedarf wäre also sehr hoch. Liest man die Roadmap des Chemieverbandes genauer durch, fällt zudem auf, dass für die Zahl einige Annahmen getroffen wurden, die den Strombedarf möglicherweise sogar kleiner erscheinen lassen, als er tatsächlich wäre.
Die Schätzungen der Chemieindustrie sind eher zu niedrig
Zum einen geht der Chemieverband davon aus, dass ein großer Teil des Wasserstoffs nicht "grün" aus Wasserstoffelektrolyse, sondern mittels Methanpyrolyse aus Erdgas erzeugt wird. Dieses Verfahren, das auch als türkiser Wasserstoff bekannt ist, spaltet das Methan in seine Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff auf.
Klimaneutral wird das nur, wenn man den dabei entstehenden Kohlenstoff nicht wieder an anderer Stelle verbrennt, sondern dauerhaft lagert. Zudem besteht hier das Problem, dass man weiter auf Erdgasförderung angewiesen wäre. Gasförderung erzeugt bereits bei der Förderung und beim Transport Emissionen, die sich nicht komplett vermeiden lassen.
Ein weiterer Punkt ist die Herkunft des Kohlendioxids für die Power-to-X-Prozesse. Hierbei gibt es grundsätzlich zwei Wege, die man gehen kann: Entweder nutzt man Kohlendioxid aus bestehenden Kraftwerken und Industrieanlagen oder man filtert es mittels Direct-Air-Capture-Technologie aus der Luft.
Das Szenario der Chemieindustrie geht davon aus, dass man zunächst primär auf Kohlendioxid aus bestehenden Industrieanlagen setzt. "Im betrachteten Zeitraum bis 2050 stehen prinzipiell ausreichende CO2-Mengen für die Versorgung der hier betrachteten CO2-basierten Prozesse zur Verfügung", heißt es dazu in der Roadmap. Letztendlich bauen die Pläne der Chemieindustrie darauf, dass es weiterhin an anderer Stelle Industrien geben wird, die nicht klimaneutral wirtschaften.
"Am Ende bleibt nur Direct Air Capture"
Wenn man die gesamte Industrie klimaneutral umbauen will, ist das langfristig keine Option. Lediglich die verbleibende Verbrennung von Restmüll, der sich nicht recyceln lässt, bliebe als Kohlendioxidquelle. Doch wenn das chemische Recycling eine wichtige Rolle spielen soll, wäre das nicht viel.
Das bestätigte im Gespräch auch Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie: "Am Ende wird nur noch Direct Air Capture als Möglichkeit dableiben, klar." Laut Rothermel wären dafür mit heutiger Technologie etwa 150 Terawattstunden zusätzlich an Strom nötig. Es dürfte etwas weniger sein, da die Direct-Air-Capture-Technologie sich in einem frühen Entwicklungsstadium befindet und es voraussichtlich technische Fortschritte geben wird, die die Technik effizienter machen werden.
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