Diaspora: Datenschutz und soziale Netzwerke passen nicht zusammen
Seit einigen Jahren will das Diaspora-Projekt eine freie und dezentrale Alternative zu sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Google+ werden. Ein zentraler Fehler im Konzept wird es jedoch scheitern lassen, meint Blogger Caspar Clemens Mierau. Es sei antisozial.

Es klang so gut: Eine Handvoll Programmierer beschließt, eine freie Alternative zu kommerziellen Großanbietern zu entwickeln. Diaspora sollte die Erfolgsgeschichte von Jabber nachzeichnen. Und die kann sich sehen lassen: Langsam aber stetig hat sich Jabber (beziehungsweise das zugrundeliegende XMPP) zu einem Quasi-Standard für Chats in vielen Bereichen des Internets entwickelt. So kommt es, dass Kunden von 1und1 mit Nutzern von Google-Diensten oder unabhängigen Servern chatten können. Freie und dezentrale Alternativen können funktionieren und das geschlossene und zwangsgeduldete Nebeneinander von ehemals marktbeherrschenden Diensten wie ICQ und MSN angreifen.
Es klang logisch, mit Diaspora ein System zu schaffen, das das Infrastruktur-Paradigma von Jabber auf ein soziales Netzwerk überträgt: Jeder kann einen "Pod" genannten eigenen Server betreiben - Privatnutzer wie große Anbieter, um ein weltweites, dezentrales Netz zu schaffen. Ausfallsicher, unkontrollierbar und privat.
Wer auf Facebook postet, macht es öffentlich
Aber Moment: Etwas ist nicht so evident, wie es zunächst scheint. Ein großes Versprechen von Diaspora ist der Datenschutz. Nutzer sollen einen großen Einfluss auf die Freigabe ihrer Daten haben, um nicht schulterzuckend wie bei Facebook vor der Komplexität von Einstellungen und sich häufig ändernden Nutzungsbedingungen kapitulieren zu müssen. Wer auf Facebook postet, muss davon ausgehen, öffentlich zu sein. Diaspora möchte dies anders machen.
Und es ist auch anders. Von einigen Pannen im Code abgesehen ist dem System das Prinzip Datenschutz eingeimpft. Dies macht sich besonders an einem kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken bemerkbar: Man findet keine Kontakte. In den bekannten sozialen Netzwerken wird einem das Auffinden von Kontakten leicht gemacht: Es gibt Vorschläge, Empfehlungen und die Möglichkeit, Listen, Gruppen und Seiten zu durchstöbern. Das Finden von Bekannten, Freunden, Familienmitgliedern oder Gleichgesinnten wird einem nahegelegt.
Bei Diaspora fühlt man sich allein
Doch genau diese Funktion beruht auf einem dem klassischen Datenschutz konträren Paradigma: dem Veröffentlichen von Daten. Kontaktlisten müssen frei zugänglich sein, es bedarf an automatisch auswertbaren Informationen zur Berechnung von Empfehlungen. Die Möglichkeiten sind in Diaspora entweder gar nicht vorhanden oder explizit so gestaltet, dass sie nicht dazu dienen, schnell seinen Kontaktkreis zu vergrößern. Stattdessen fühlt man sich allein und postet gefühlt ins Nirwana.
Es ließe sich einwenden, dass das Netzwerk noch am Beginn und der Fokus nicht der Aufbau eines Hunderte Millionen Nutzer umfassenden Projektes sei. Doch dann markiert es schon jetzt den Unterschied, der auch zwischen identi.ca und Twitter liegt. Da helfen auch etwas unbeholfen wirkende Versuche nicht, Netzwerke durch Verknüpfung von Diaspora zum Beispiel mit Facebook zu bilden. Letztlich basiert Diaspora darauf, wie bei Jabber, vorab die Adresse eines befreundeten Nutzers zu kennen.
Diese Gemeinschaft mit Jabber - Nutzer haben auch Adressen in der Form nutzer@pod.server.tld - ist kein Zufall. Vom Paradigma her betrachtet ist Diaspora letztlich ein bunter, webbasierter, Jabber-ähnlicher Dienst mit etwas mehr Gruppenfunktionalität. Bestehende Fehler und Usability-Probleme wird man beheben können, das Problem einer falschen Annahme aber nicht: Soziale Netzwerke lassen sich nicht antisozial aufbauen. Und so wird Diaspora ein Nischenprodukt bleiben, das zunächst attraktiv wirkt, letztlich aber enttäuscht, da es ein dezentrales Datensilo ohne Zuschauer wird. Schade.
Datenschutz und soziale Netzwerke passen nicht zusammen
Was wäre die Alternative? Man sollte sich von der Idee befreien, ein freies, dezentrales und datensicheres Netzwerk bauen zu wollen. Ein freies, dezentrales Netzwerk jedoch wäre eine sinnvolle und attraktive Möglichkeit. Die Befreiung und Öffnung von Daten, das Entwickeln und Anbieten von APIs könnte die bisherigen Platzhirsche empfindlich treffen, da es die Möglichkeit bietet, schnell zu wachsen. Personen würden sich wieder finden, man müsste nicht über die kommerzielle Nutzung selbst eingestellter Inhalte durch den Netzbetreiber nachdenken und es wäre von vornherein deutlich: Das hier ist online. Es ist an der Zeit, zu verstehen, dass man bestimmte Vorstellungen nicht miteinander kombinieren kann. Datenschutz und soziale Netzwerke passen einfach nicht zusammen.
PS: Neben Versuchen, Diaspora auf öffentlichen Pods zu verwenden, habe ich als Experiment für die mittlerweile um die 500 Mitglieder starke c-base einen eigenen Diaspora-Server aufgesetzt. Nach einigen Wochen haben sich rund 40 Mitglieder angemeldet, die Gesamtzahl der Posts blieb im unteren zweistelligen Bereich. Selbst im technik- und datenschutzaffinen Umfeld stößt der Dienst auf kein Interesse. "Wie finde ich denn jetzt Kontakte?" war häufiger zu lesen. Q. e. d.
Caspar Clemens Mierau schreibt seit mehreren Jahren unregelmäßig in seinem Blog leitmedium.de. Dort erschien der Text zuerst. Mierau beschäftigt sich derzeit insbesondere mit "Post Privacy" und twittert unter anderem darüber.
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Leider ist es so, dass der Begriff Datenschutz heutzutage oftmals als Schutzbehauptung...
Manche zählen offenbar jeden bei dem sie mal besoffen überm Klo gehangen haben zu ihren...
Ich meinte eher die Möglichkeit jemanden finden zu können. Was soll überhaupt so schlimm...
Muss ja keiner. Jeder setzt seine Prioritäten eben selbst. Bei Facebookusern liegt die...