Dezentralisierte Finanzen: DAO enteignet Großanleger - und macht es rückgängig
Der Kryptowährungs-Leihdienst Solend droht auf Millionenschulden sitzen zu bleiben. Die Krisenbewältigung ist ein Hin und Her.

Die dezentralisierte Kryptowährungsleihhaus Solend ist der automatisierten Liquidation eines Großschuldners mit einem radikalen Schritt entgegengetreten: Die Projektbeteiligten haben effektiv einem Vorschlag zu dessen Enteignung gestimmt. Im Antrag SLND1 wurde am 19. Juni 2022 die "Erteilung einer Notvollmacht an Solend Labs" zur vorübergehenden Übernahme der Konten von Nutzern, "die mehr als 20 Prozent der Anleihen ausmachen", beschlossen - und wenige Stunden später mit einer weiteren Abstimmung wieder rückgängig gemacht.
Hintergrund ist eine einzelne Solend-Wallet, die über einen Großteil der momentan über Solend verliehenen Summen verfügt. Der anonyme User hat Einheiten der Kryptowährung Solana im Wert von 184 Millionen US-Dollar in seiner Solend-Wallet hinterlegt und dafür 106 Millionen USD Coin und 1,5 Millionen Tether von ihr geliehen. Da es sich bei beiden um (aktuell tatsächlich stabile) Stablecoins handelt, entspricht das in etwa auch ihrem Gegenwert in US-Dollar.
Diese Wallet ist für Solend und die dahinterliegende Kryptowährung Solana ein großes Risiko. Der Großschuldner hat einen Liquidationskurs von 22,30 US-Dollar gesetzt. Davon war Solana mit einem Tiefstand von 28,91 US-Dollar in der vergangenen Woche zwar noch weit entfernt, die teils extremen Kurseinbrüche bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen schürten aber die Nervosität. Käme es zur Liquidation der betroffenen Wallet, könnte Solend auf bis zu 20 Millionen US-Dollar an Schulden sitzenbleiben.
Umstrittener Schritt in der Community
Das Team von Solend versucht seit dem 13. Juni erfolglos Kontakt zum Inhaber der Wallet aufzunehmen über Aufrufe auf Twitter und Nachrichten auf der Blockchain. "Die Sicherheit der Benutzergelder hat für Solend oberste Priorität", hieß es in einer letzten Warnung an den anonymen Nutzer. "Bitte reduzieren Sie Ihre Position so, dass Ihre Liquiditätsschwelle in den nächsten 24 Stunden unter 18,50 US-Dollar liegt, oder wir müssen andere Optionen in Betracht ziehen."
Die angedrohte "andere Option" war der Vorschlag namens SLND1, über den in einer kurzfristig eingerichteten DAO abgestimmt werden konnte. Mit 1.155.431 Ja- gegen 30.101 Nein-Stimmen wurde SLND1 akzeptiert. Das Team von Solend hält ein Viertel der zur Abstimmung benötigten Tokens, nahm aber nicht selbst teil, versicherte man auf Twitter. Nach Kritik aus der Kryptwährungscommunity über diese effektive Enteignung, stellte Solend einen Gegenvorschlag SLND2 zur Abstimmung, der ebenfalls erfolgreich war und das Ergebnis von SLND1 nun direkt wieder invalidiert.
Die dezentrale autonome Organisation, kurz DAO, von Solend koppelt das Stimmrecht an die Anteile in der DAO - wer mehr investiert, hat also auch mehr Stimmen. Das heißt auch, dass der betroffene Schuldner selbst den Ausgang der Abstimmung im Alleingang hätte beeinflussen können. Ob dieser von den Vorgängen angesichts der medialen Aufmerksamkeit und Kontaktversuche mittlerweile weiß, bleibt unklar. Einer der Gründer von Solend spekuliert, es könne sich bei dem User um die insolventen 3 Arrows Capital handeln. Eine plötzliche Aktivität wäre dann nicht zu erwarten.
Quorum von einem einzigen anonymen User erreicht
Der Ausgang beider Abstimmungen war nicht der Community zu verdanken, sondern einem weiteren Großanleger, der mit mehr als einer Millionen Stimmen im Alleingang das nötige Quorum von einem Prozent erreichte und damit den positiven Ausgang beider Abstimmungen sicherstellte.
"Solend ist das Herzstück von Solana Defi und wir können nicht von einem missbräuchlichen Wal als Geisel gehalten werden", kommentierte er. "Mir ist der Krypto-Twitter-Hass egal, wenn das bedeutet, 120 Millionen US-Dollar aus dem Handel zu retten, anstatt den Defi-Ethos für einige Wale hochzuhalten, die degeneriert neunstellige Positionen verspielen." Eine "Liquidationskaskade", bei der Solend-Nutzer auf Schulden sitzen blieben, sei um jeden Preis zu vermeiden.
"Mit Macht kommt Verantwortung, und der Wal zeigt keine", schreibt er weiter. Über den Discord-Server von Solend ist zumindest sein Pseudonym mittlerweile bekannt, er ist mit dem Solend-Team im Kontakt. Dass er auch für die Rücknahme von SLND1 stimmte, begründete er mit der Entspannung des Solana-Kurses, der dem Solend-Team Zeit für eine besser ausgearbeitete Lösung gebe. "In 24 Stunden können die Dinge schon ganz anders aussehen."
Neue Abstimmung, ungewisser Ausgang
An den ersten beiden Lösungsvorschlägen für die Krise beteiligten sich insgesamt 128 Solend-Nutzer, die Ja-Stimmen machten gerade einmal 1,16 Prozent des gesamten Abstimmungspotenzials der Solend-DAO aus. Effektiv entschied in beiden Abstimmungen schon jetzt ein einziger anonymer Nutzer im Alleingang über die vorgeschlagene Vertragsänderung und deren kurz darauf erfolgter Rücknahme.
Aktuell läuft die Abstimmung über einen neuen Vorschlag, den das Team von Solend über die Nacht erarbeitet hat. SLND3 sieht die Einführung eines Kreditlimits von 50 Millionen US-Dollar pro Konto vor und die vorübergehende Senkung der Höhe des maximalen Liquidationsbetrags einer Transaktion von 20 auf ein Prozent. Die Alternative? "Mit Nein stimmen: Nichts tun."
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Wie gesagt - da diese Währungen als Investmentobejekte verwendet werden, unterliegen sie...
Mir ist es doch egal, wenn Leute ihre Kohle dort versenken. Das Gejammere über Verluste...
Einfach nur wow. Eine Bank wäre wenigstens noch reguliert. Das hier jedoch klingt nach...
Es ist ja auch wüst, wenn Anonymous-User mit abstimmen dürfen bei Volkskomitee zur...