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Deutsche E-Auto-Pläne: Von null auf überambitioniert

Jahrelang ist hierzulande wenig im Bereich E-Autos passiert, jetzt überbieten sich die Hersteller mit Ambitionen, wie nicht nur Audis E-Tron und Daimlers EQC zeigen. Ob sie ihre hochgesteckten Ziele erreichen werden, ist aber alles andere als sicher.
/ Friedhelm Greis
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Präsentation des Audi E-Tron in San Francisco (Bild: Friedhelm Greis/Golem.de)
Präsentation des Audi E-Tron in San Francisco Bild: Friedhelm Greis/Golem.de

Es war eine bewusste Provokation: Mit großem Pomp inszenierte Audi in der vergangenen Woche die Premiere seines vollelektrischen E-Tron vor der Haustür von Elektroautopionier Tesla. Die Botschaft von San Francisco war klar: Wir müssen unser erstes Elektroauto nicht verstecken, wir nehmen die Herausforderung in der elektrischen Oberklasse an. Doch es geht den deutschen Oberklasseherstellern Audi, Daimler und Porsche nicht darum, mit ihren neuen SUV eine Nische zu besetzen. Die Fahrzeuge sollen durchaus in hohen Stückzahlen verkauft werden. Der Erfolg der Strategie ist jedoch alles andere als ausgemacht.

Der erste Eindruck des neuen E-Tron und des neuen EQC : Audi und Daimler meinen es ernst mit der Elektrifizierung. Sie haben viel Geld und Ingenieurswissen investiert, um Elektroautos zu bauen, die ihren Kunden die Elektrifizierung schmackhaft machen können. Selbst die Entwickler geben zu: Wer eine sportliche Fahrweise mag, ist mit einem Elektroantrieb besser bedient als mit einem herkömmlichen Verbrenner-SUV. Verglichen mit Tesla können die beiden Modelle vermutlich mit einer besseren Verarbeitung und Innenausstattung punkten.

Lade-Infrastruktur weiterhin unzureichend

Knackpunkt bleibt die Infrastruktur. Hier muss im kommenden Jahr einiges passieren, um konkurrenzfähig zu werden. Bislang hängt das deutsche Konsortium Ionity noch weit hinter den Ankündigungen zurück. Liegen erst einmal alle Genehmigungen vor und können die Hersteller die Ladesäulen liefern, sollte es aber schnell gehen. Schließlich wissen die Autokonzerne, dass sie ihren Kunden keine brauchbaren Langstreckenautos verkaufen können, wenn es unterwegs keine Schnelllader gibt.

Audi stellt den E-Tron vor
Audi stellt den E-Tron vor (04:00)

Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass Audi mit seiner Ladeleistung von 150 Kilowatt die Grenzen des derzeit technisch Machbaren ausreizt. Sollte es demnächst eine Infrastruktur mit High-Power-Charging-Stationen (HPC) geben, könnten Langstreckenfahrten mit einer Reichweite von 400 Kilometern (WLTP) so unproblematisch werden, wie es heute bereits mit einem Tesla Model S der Fall ist . Eines muss den sportlichen Audi-Fahrern aber klar sein: Dauervollgas auf der linken Spur ist mit einem Elektroauto nicht möglich. Da hilft auch kein aerodynamischer virtueller Außenspiegel , der den cw-Wert auf 0,27 drückt.

Autoindustrie im Batterie-Dilemma

Natürlich lässt sich zu Recht einwenden(öffnet im neuen Fenster) , dass auch ein elektrisch angetriebener SUV mit einem Gewicht von 2,5 Tonnen eine "rollende Provokation" ist. Doch da befindet sich die Autoindustrie derzeit in einem Dilemma: Eine große Reichweite lässt sich nur mit einer großen, schweren und teuren Batterie erzielen. Der 95-kWh-Akku mit seinen 700 Kilogramm Gewicht kostet alleine 25.000 Euro. Das ist der Preis, mit dem Volkswagen in gut anderthalb Jahren sein Massenauto ID auf den Markt bringen will.

Es ist daher nachvollziehbar, dass Audi und Daimler ihre Elektrifizierung zunächst mit SUV starten, bei denen sich eine solche Batterie überhaupt unterbringen lässt. Zudem setzen sie darauf, für die hochpreisigen Modelle genügend Käufer zu finden. Ebenso wie bei Tesla ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis günstigere Modelle wie das Model 3 elektrifiziert werden.

Reichweite hat immer noch ihren Preis

Fortschritte bei der Batterietechnik ermöglichen es, die bisherigen Kapazitäten von rund 40 kWh auch im Kompakt- und Kleinwagensegment auf 60 kWh und mehr zu steigern. Beispiele dafür sind der geplante Kia Niro EV und der Hyundai Kona .

Wenn sich die Fahrzeuge dann mit 100 Kilowatt oder mehr aufladen lassen, müssen sogar Langstreckenfahrten in diesem Segment keine Geduldsprobe mehr sein . Der Kaufpreis von mehr als 45.000 Euro vor Abzug der Kaufprämie ist für einen Subkompakt-SUV wie den Hyundai Kona mit 64-kWh-Akku allerdings weiterhin happig. Ein vergleichbar ausgestatteter Verbrenner kostet nur die Hälfte. Schon jetzt steht fest(öffnet im neuen Fenster) , dass der günstigste VW ID nur mit einer 48-kWh-Batterie auf den Markt kommen soll. Dessen Reichweite soll dann bei 330 Kilometern (WLTP) liegen.

Jeder dritte Audi bis 2025 vollelektrisch

Bis zum Jahr 2025 soll trotz aller Schwierigkeiten jeder dritte verkaufte Audi einen vollelektrischen Antrieb haben. Auf Basis der aktuellen Umsatzzahlen müsste der Hersteller dann mehr als 600.000 Elektroautos pro Jahr verkaufen. Das ist ein noch höherer Anteil als bei Volkswagen, wo bis dahin jeder vierte Wagen mit reinem Elektroantrieb vom Band laufen soll.

Erreichen will Audi dies unter anderem mit einem Fokus auf die Q-Klasse. Von den zwölf geplanten neuen SUV-Modellen bis 2025 sind sieben als reine Elektroautos geplant. Plugin-Hybride soll es künftig "in nahezu jedem Marktsegment" geben, die übrigen Verbrenner sollen zumindest als Mildhybrid angeboten werden.

Porsche noch ambitionierter

Noch weiter geht Konzernschwester Porsche. Firmenchef Oliver Blume wolle in sieben Jahren angeblich schon 75 Prozent seiner Sportwagen nur noch mit Elektroantrieb anbieten , berichtete das Manager Magazin. Nach 2027 soll nur noch der 911er als reiner Verbrenner angeboten werden. Das erscheint konsequent. Schließlich wollen gerade Porsche-Fahrer an der Ampel nicht gerne von den leisen, aber spurtstarken Elektroautos abgehängt werden. Zudem machen die immer schärfer werdenden Abgasvorschriften in Europa und China den Herstellern PS-starker Fahrzeuge zu schaffen. An einer stärkeren Elektrifizierung der Flotte führt daher kein Weg vorbei.

Porsche Taycan Vorstellung
Porsche Taycan Vorstellung (01:30)

Allerdings dürfte die Selbstbeschränkung auf langsame Autobahnfahrten gerade bei deutschen Kunden nicht auf Begeisterung stoßen. Daher setzt vor allem Porsche auf eine möglichst hohe Ladeleistung auf 800-Volt-Basis. Wer mit 180 km/h statt mit 130 km/h unterwegs ist, braucht mit einem Elektroauto fast doppelt so viel Energie. Der theoretische Zeitgewinn von 25 Minuten auf einer Entfernung von 200 Kilometern wird durch eine längere Ladedauer schnell aufgehoben. Bei einer Ladeleistung von 350 kW würde dieses Problem deutlich reduziert. Da der neue Taycan nur über eine Akkukapazität von rund 100 kWh verfügen soll, führt an einem häufigeren Aufladen kein Weg vorbei. Dem Manager Magazin zufolge(öffnet im neuen Fenster) wird das angestrebte Ladetempo derzeit aber noch nicht erreicht. Sollte Porsche daran scheitern, dürften die ambitionierten Verkaufsziele kaum zu erreichen sein.

Kooperation zur Kostensenkung

Die Marken des VW-Konzerns wollen ihre Elektroauto-Ziele durch eine verstärkte Kooperation erreichen. So basieren die größeren Audi-Modelle auf der gemeinsam mit Porsche zu entwickelnden Premium Platform Electric (PPE), für die Ende 2021 die ersten Modelle vorgesehen sind. Ebenfalls auf einer Kooperation mit Porsche beruht der E-Tron GT, von dem auf der LA Motor Show Ende November 2018 eine Konzeptstudie gezeigt werden soll. Dessen Technik wurde dabei vom Taycan übernommen.

Von der Premium-Plattform soll es eine Hoch- und eine Flachbodenvariante geben, um die unterschiedlichen Anforderungen für SUV und Limousinen besser umsetzen zu können. Der E-Tron und der E-Tron Sportback basieren hingegen noch auf der sogenannten MLBevo-Plattform. Während der E-Tron und der EQC von wartungsarmen und robusten Asynchronmotoren angetrieben werden, hat sich Porsche beim Taycan für permanent-erregte Synchronmaschinen (PSM) entschieden.

Bei Volumenmodellen im A-Segment setzt Audi hingegen auf den modularen Elektro-Baukasten MEB von Volkswagen. Dabei wird laut Hersteller ein Modell gezielt für den chinesischen Markt entwickelt. In San Francisco hat Audi zudem angekündigt, mehrere spezielle China-SUV zu entwickeln, darunter einen vollelektrischen.

Zellproduktion als Nadelöhr

Entscheidend für den Erfolg der Elektroautostrategie wird jedoch sein, die angekündigten Fahrzeuge tatsächlich liefern zu können. Während Tesla mit der fehlenden Erfahrung einer Massenproduktion zu kämpfen hat, könnte für die etablierten Hersteller die Batteriezellproduktion zum Nadelöhr werden. Dem Manager Magazin zufolge hat Daimler die internen Verkaufszahlen für den EQC wegen der Batterieknappheit schon gesenkt. Zwar bauen Audi und Daimler die Batterien in Brüssel und Kamenz selbst zusammen, doch ihre Zellen beziehen sie von asiatischen Herstellern wie LG Chem. Lediglich BMW hat inzwischen eine Zellproduktion des chinesischen Herstellers CATL im thüringischen Erfurt angeschoben . Allerdings soll deren Produktionskapazität noch deutlich unter derjenigen von Teslas Gigafactory in Nevada liegen.

Ein Erfolg der ambitionierten Elektroautostrategie deutscher Hersteller ist daher alles andere als ausgemacht. Die anspruchsvollen Kunden müssen bei Preis, Reichweite und Ladedauer mitziehen. Die technischen Probleme beim superschnellen Laden und bei der Lieferung der entsprechenden Batteriezellen sind noch lange nicht gelöst. Eine pompöse Show wäre daher auch angebracht, wenn die 100. Ladestation in Betrieb ginge, mit der tatsächlich ein Auto mit 350 kW geladen werden kann. Dann dürfte es auch gerne die Autobahnraststätte Peppenhoven West statt San Francisco sein.

Offenlegung: Golem.de hat auf Einladung von Audi an der Präsentation in San Francisco, USA, teilgenommen. Die Reisekosten wurden zur Gänze von Audi übernommen. Unsere Berichterstattung ist davon nicht beeinflusst und bleibt gewohnt neutral und kritisch. Der Artikel ist, wie alle anderen auf unserem Portal, unabhängig verfasst und unterliegt keinerlei Vorgaben seitens Dritter.


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