Der Ehemann als Hauptverdächtiger
Da physische Mordbeweise wie eine Leiche oder Tatwerkzeuge fehlten, setzte die norwegische Kriminalpolizei vor allem auf die Auswertung technischer Spuren. Dazu gehörte auch das Mobiltelefon der Vermissten, das von ihrem Ehemann, wie er sagte, an einer Stelle gefunden wurde, an der sie es normalerweise nie ablegte.
Tom Hagen erklärte laut der Onlinezeitung Nettavisen (deren deutsches Pendant einmal die Netzeitung war), das Handy habe im ersten Stock des Hauses auf einem Tischchen in der Nähe des Badezimmers gelegen. Die Ermittler gingen deshalb von folgendem Szenario aus: Anne-Elisabeth Hagen wurde im Bad überrascht und angegriffen. "Situationsspuren" seien dort gefunden worden; nach einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders NRK handelte es sich um Schleifspuren, die den Polizisten bereits bei der ersten Untersuchung des Tatorts aufgefallen waren.
Wer das Handy dort abgelegt hat, ob es die Vermisste selbst oder der oder die Täter waren, ist bis heute unklar. Auch ist unklar, ob es überhaupt auf jenem Tischchen im 1. Stock lag. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurde nämlich eine Fitness-App auf dem Telefon ausgewertet. Das (allerdings schon etwas ältere) Programm zeichnete Bewegungen und Schritte auf und verzeichnete für den Zeitpunkt des Angriffs auf Anne-Elisabeth Hagen laut Kripo etwas sehr Interessantes.
Die Vermisste und ihr Handy bewegten sich demnach sehr schnell die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, die technischen Spuren sprächen für einen Sturz oder ein Herunterschleifen. Dass die zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 68-jährige Frau die Treppe in einem solchen Tempo hinuntergerannt sei, könne ausgeschlossen werden, hieß es aus Ermittlerkreisen. Im Übrigen passe auch eine (allerdings wohl aufgrund von Reinigungsversuchen nicht ganz eindeutige) Blutspur zu einem Sturz oder gewaltsamen Schleifen.
Polizei untersuchte das Haus gründlich
Die Polizei ging mittlerweile davon aus, dass Anne-Elisabeth Hagen gar nicht entführt, sondern bereits in ihrem Zuhause ermordet wurde. Ein eindeutiger Beweis für einen Mord waren aber weder die Daten aus der App, noch das Blut. Sie führten jedoch dazu, dass Tom Hagen zu einem Verdächtigen wurde - wobei Hagens Anwälte dagegenhielten, dass die App viel zu ungenau arbeite. Die Blutspuren ließen sich außerdem nicht zeitlich einordnen, könnten also durchaus auch im Lauf der Jahre, in denen die Familie mitsamt ihrer drei mittlerweile erwachsenen Kindern dort wohnte, entstanden sein.
Gleichwohl hielten die Ermittler Tom Hagen weiter für den Hauptverdächtigen. Während der monatelangen Beschlagnahmung des Wohnhauses arbeiteten sie unter anderem mit einem Akustik-Spezialisten zusammen, der beweisen sollte, welche Geräusche wo zu hören sind. Dabei ging es mutmaßlich auch um das Handy, von dem Tom Hagen sagte, dass er sein Klingeln nicht wahrgenommen habe, als er es von der unteren Etage aus zu orten versucht habe.
Wie lebten die Hagens?
Das Leben von Tom Hagen und seiner Frau entsprach nicht dem landläufigen Klischee eines glamourösen Millionärs-Lifestyles. Das als medienscheu geltende Ehepaar wohnte nicht in einer Villa, sondern in einem Einfamilienhaus 12 Kilometer von Oslo entfernt, die Ferien verbrachte es meistens in seinem Ferienhaus in den norwegischen Bergen. Geheiratet hatten sie im Oktober 1969. Sie stammte aus einer gut situierten Familie, er war ein klassischer Selfmade-Unternehmer.
Die Hagens führten ein weitgehend zurückgezogenes Leben. In den Klatschspalten tauchten sie nie auf, auch über das Firmenimperium von Tom Hagen wurde selten berichtet. Mit einer Ausnahme: Einige Monate vor Anne-Elisabeth Hagens Verschwinden veröffentlichte die Wirtschaftstageszeitung Dagens Næringsliv einen detaillierten Bericht über Hagens geschäftliche Erfolge. Unter der Überschrift "Tom Hagen verdiente im letzten Jahr 174 Millionen Kronen durch Strom und Immobilien" werden die Jahresergebnisse seiner Firmen aufgelistet.
Die Kripo ging zunächst davon aus, dass dieser Artikel die mutmaßlichen Entführer auf das Paar aufmerksam gemacht haben könnte. Sie wertete die vom Verlag nach Beratungen mit Juristen zur Verfügung gestellten IP-Adressen der Online-Leser des Textes aus, vor allem im Hinblick auf mögliche Zugriffe aus dem Ausland.
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Schade, dass Peter Falk schon tot ist. Das wäre ein toller Fall für Columbo gewesen...
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Naja, zumindest dass die Frau ihre Entführung selbst geplant haben könnte ist nicht...