Das Phänomen Anonymous: Niemals sein, immer nur werden
Anonymous ist so lebendig wie eh und je - auch fünf Jahre nach der ersten öffentlichkeitswirksamen Aktion. Das ursprünglich als Spaßaktion gestartete Kollektiv bleibt ein Phänomen.

Mehr als fünf Jahre nach der ersten spektakulären Aktion, dem Projekt Chanology aus dem Jahr 2008, ist Anonymous so präsent wie damals. Und das ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil solche Phänomene meist eine kurze Haltbarkeit haben. Es ist auch deshalb außergewöhnlich, weil hier kein klar umrissenes Projekt, keine eindeutige Aktivistengruppe und kein ins Scheinwerferlicht strebender Einzelner im digitalen Aufmerksamkeitswettbewerb besteht. Wie ist das möglich?
Anonymous braucht ein Label
- Das Phänomen Anonymous: Niemals sein, immer nur werden
- Aus Prinzip launisch
- Un-Struktur macht es Gegnern schwer
Um das zu verstehen, muss die entscheidende Frage beantwortet werden: Wer oder was genau ist Anonymous eigentlich? Das zu definieren, ist gar nicht so einfach. Zwar könnte argumentiert werden, eine solche Definition sei auch gar nicht notwendig, schließlich gehe es Anonymous nicht um sich selbst, sondern um seine jeweiligen Aktionen mit Bezug auf die grundsätzlichen Fragen des digitalen Lebens wie Privatsphäre, Anonymität und Zensur. Doch das ist nicht ganz korrekt. Denn die Wirkung von Anonymous hängt auch davon ab, wie stark darüber in den Medien berichtet wird. Dazu muss Anonymous greifbar sein. Es braucht ein Label, um das Massenpublikum zu erreichen.
Aus der Extremismusforschung ist bekannt, dass Terrororganisationen gern anonyme Attentate für sich beanspruchen, die ihnen inhaltlich gelegen kommen, auch wenn sie gar nicht ihre Urheber oder Initiatoren sind. Nach diesem Mechanismus bestünde ohne die Marke auch für Anonymous stets die Gefahr, dass sich jemand anders eines (medial erfolgreichen) Defacements oder einer DDos-Attacke annähme und sein Label darauf klebte. Daher braucht es eine Mindestdefinition, die für jeden klar erkennbar sein muss.
Da zweifelsfrei mehrere Menschen hinter Anonymous stecken, handelt es sich zumindest um ein Kollektiv. Man kann an Legenden stricken, Strukturen verleugnen und ohne Repräsentanten auftreten, doch nimmt man die beiden Aspekte von "Label" und "Gruppe" zusammen, erhält man als kleinsten Nenner eine Gruppe von Personen, die gemeinsam handelt, unter einem bestimmten Label, welches einer bestimmten Idee entstammt.
Wie definiert man Anonymous?
Und so definiert auch die wohl bekannteste Anonymous-Forscherin Gabriella Coleman das Phänomen: als "Protest Ensemble", womit sie sowohl den inhaltlichen "Protest"- als auch den strukturellen "Ensemble"-Aspekt aufgreift.
Gewisse Parallelen zu Anonymous sind beispielsweise bei Indymedia zu erkennen, einem Netzwerk von Medienaktivisten und Journalisten, das sich als Teil des Graswurzel-Journalismus versteht: Es hält wie Anonymous die Handelnden, ihre Gesichter, Namen und Rollen innerhalb der Struktur im Hintergrund, hat jedoch ebenfalls ein klar erkennbares Label samt Logo.
Indymedia basiert zwar im Wesentlichen auf bestimmten Websites, doch auch die führten eine dynamische Existenz und waren nicht auf einen Online-/Offline-Zustand beschränkt. Sie wuchsen, teilten sich in andere Websites auf oder wurden abgeschaltet. Der wesentliche Unterschied liegt allerdings in der inhaltlichen Tatsache, dass Indymedia eine klar linksradikale Ausrichtung hat, während Anonymous, wie Coleman betont, mit den "Weapons of the Geek" eher gegen digitale Bürgerrechtseinschränkungen kämpft, jenseits von Ideologien und auf Basis einer gewachsenen Freiheitserfahrung im digitalen Raum.
Indymedia ist heute im Gegensatz zu Anonymous kaum mehr im Blickpunkt der klassischen Medien, so dass seine Meldungen hauptsächlich Menschen mit entsprechendem Szenebezug erreichen dürften.
Die Besonderheit von Anonymous, unvorhersehbar zu agieren, hängt maßgeblich damit zusammen, unvorhersehbar zu sein.
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Aus Prinzip launisch |
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