Coronavirus und Umwelt: Der Mensch macht Pause, der Planet atmet auf

Ein Virus geht um die Welt. Hunderttausende Menschen auf dem Globus sind infiziert, Tausende sind bereits gestorben. Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, müssen wir uns voneinander fernhalten, wir müssen Hochzeitsfeiern ausfallen lassen, auf Urlaube verzichten, nicht mehr um die Welt reisen; wir dürfen nicht mal zusammen im Park sitzen. Stattdessen heißt es: zu Hause bleiben, wenn es geht, auch dort arbeiten, nur die nötigsten Besorgungen machen und uns fern von anderen Menschen, Freunden und Verwandten halten. Die Einschränkung unserer Grundrechte, unserer Reise- und Bewegungsfreiheit, "einem schwer erkämpften Recht" , so die Bundeskanzlerin in ihrer Fernsehansprache(öffnet im neuen Fenster) am 18. März 2020, stellt den Menschen auf die Probe.
Während die Menschheit mit sozialer Isolation gegen die Ausbreitung eines tödlichen Virus kämpft, geht es einem aber gut: dem Planeten. Er erholt sich seit Jahresbeginn von den Abgasen, die Autos und Fabriken täglich in die Luft pusten. Von den Treibhausgasen, die Lang- und Kurzstreckenflüge verursachen. Von den Müllbergen, die Touristenströme weltweit normalerweise zurücklassen.
Bessere Luft
Als die nationalen Autoritäten in China am 23. Januar 2020 begannen, Millionen Menschen unter Quarantäne zu stellen, Transporte in und aus der chinesischen Großstadt Wuhan strichen und alle Betriebe einstellten, verbesserte sich die Luftqualität drastisch. Erst über der Großstadt, von der das Virus in die Welt kam, später auch in weiteren Teilen des Landes.

Das zeigen Satellitenbilder(öffnet im neuen Fenster) der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa und der Europäischen Weltraumorganisation Esa: Die Konzentration von Stickstoffdioxid in der Luft sank in diesen Wochen signifikant, dem schädlichen Gas, das von Kraftfahrzeugen, Kraftwerken und Industrieanlagen ausgestoßen wird und jedes Jahr Millionen Menschen schwer erkranken lässt(öffnet im neuen Fenster) - viele davon sogar tötet ( European Heart Journal: Lelieveld et al., 2019(öffnet im neuen Fenster) ).
Die Nasa geht davon aus, das hänge mit der wirtschaftlichen Abkühlung durch den Coronaausbruch zusammen. Frühere Ereignisse, etwa die Weltwirtschaftskrise 2008, hätten sich ebenfalls auf die Luftqualität ausgewirkt, noch nie aber war ein so dramatischer Rückgang über einem so großen Gebiet beobachtet worden. Ähnliches zeigt sich etwas später in Norditalien(öffnet im neuen Fenster) , einer weiteren Region, die besonders von dem Virus betroffen ist: Die Stickstoffdioxidwerte waren in der Region von Venedig und Mailand, wo die italienische Regierung Anfang März als Erstes die Bewegungsfreiheit von etwa 16 Millionen einschränkte, deutlich niedriger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Weniger CO2
Das Virus wirkt sich aber auch auf weitere Treibhausgasemissionen, besonders CO2, aus. Berechnungen des Umweltanalysten Lauri Myllyvirta für die Klimawandel-Website Carbon Brief ergeben, dass die verschiedenen Maßnahmen in China, besonders das Zurückschrauben der Industrie, die CO2-Emissionen des Landes(öffnet im neuen Fenster) in den vier Wochen nach dem Chinesischen Neujahr potenziell um ein Viertel, vielleicht sogar noch weit mehr, gesenkt hätten.

Geht man davon aus, dass China, der weltweit größte CO2-Emittent, 2020 mindestens genauso viele Treibhausgase produziert hätte wie 2019, würde das bedeuten, dass die kurzfristigen Maßnahmen im Kampf gegen Corona die weltweiten Emissionen um 200 Megatonnen CO2 reduziert hätten. Die Datenanalyse bezieht sich in ihrer Auswertung auf die Angaben des chinesischen Bundesamtes für Statistik(öffnet im neuen Fenster) .
Die Emissionen sinken auch deshalb, weil der Flugverkehr zurückgeht. Nach Angaben der Datenbank Flightradar24(öffnet im neuen Fenster) sank der gewerbliche Flugverkehr im Februar um 4,3 Prozent. Im ersten Drittel des März scheint die Zahl der Flüge sogar noch etwas mehr, um fast fünf Prozent zu sinken(öffnet im neuen Fenster) . In Deutschland fiel die Zahl der Flüge an einem einzigen Tag, am Donnerstag der vergangenen Woche, um 56 Prozent im Vergleich zum Vorjahr(öffnet im neuen Fenster) , und Italien ist noch stärker betroffen.
Weniger Luftverkehr heißt auch: weniger Emissionen, die den Klimawandel weiter vorantreiben. Etwas also, das wir unbedingt tun müssen. Experten wie etwa Rob Jackson, Vorsitzender des Global Carbon Project, sagen aber, dass solche Rückgänge sich nur dann signifikant auswirken, wenn sie zu einer langfristigen Verhaltensänderung führen.
Die Luftfahrt ist zwar bislang nur für einen geringen Teil (drei Prozent) der globalen Emissionen verantwortlich, allerdings ist sie zugleich eine der am schnellsten wachsenden Emissionsquellen. Die Luftfahrtbehörde der Vereinten Nationen etwa erwartet, dass sich ihre Emissionen durch den wachsenden Reisesektor bis 2050 verdreifachen ( ICAO Global Environmental Trends 2019, PDF(öffnet im neuen Fenster) ).
Der Mensch rückt der Natur zu nahe
Mitte März verbreitete sich mit einem Tweet die Nachricht, dass das Wasser im italienischen Venedig durch die ausbleibenden Touristenströme so sauber sei, dass Schwäne, Fische und sogar Delfine, so twitterte ein weiterer Nutzer, zurückgekehrt seien. Das stellte sich als Falschinformation heraus(öffnet im neuen Fenster) . Die Bilder stammen von anderen Orten, an denen die Tiere öfter gesichtet werden. Dazu kommt: Die Wasserstraßen Venedigs scheinen vor allem deshalb klarer, weil weniger Bootsverkehr auf den Kanälen bedeutet, dass die Sedimente am Boden bleiben und nicht aufgewirbelt werden. Ob sich die Wasserqualität tatsächlich verbessert hat - was durchaus nicht ausgeschlossen ist -, müssen Untersuchungen erst noch zeigen.
Auf diese Ergebnisse will der Mensch oft nicht warten. Aktuell finden sich immer wieder Stimmen im Internet, die das Virus als Strafe dafür ansehen(öffnet im neuen Fenster) , wie schlecht wir unser Ökosystem und die Natur behandeln. Mutter Natur habe uns das Virus zugeworfen(öffnet im neuen Fenster) , um uns auf noch Schlimmeres vorzubereiten - nämlich auf die Extremereignisse des Klimawandels.
Aber auch Experten sagen, es sei kein Zufall, dass das Virus gerade jetzt ausbricht, und noch weniger, dass es sich so schnell verbreiten kann. "Wir schauen zu wenig auf die Tatsache, dass ein falsches Mensch-Natur-Verhältnis viele unserer Probleme befeuert, meist sogar verursacht" , sagt Johannes Vogel, Direktor des Berliner Naturkundemuseums(öffnet im neuen Fenster) und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität zu Berlin. "Nicht nur Viren breiten sich aus. Ganze Länder werden überflutet, Wälder brennen, Gletscher schmelzen, Ozeane erwärmen sich und Insekten sterben. Die großen Herausforderungen - der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und eben das Aufkommen ganz neuer Erreger, die den Menschen letztlich wieder bedrohen - hängen alle zusammen."




Ende 2019 meldete China der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Häufung von Lungenentzündungen unklarer Ursache aus Wuhan. Eine Woche später identifizierten Forscher ein neuartiges Virus als Ursache: Sie nannten es 2019-nCov. Es gehört zur Gruppe der Coronaviren. Mittlerweile ist es als Sars-CoV-2 bekannt (CoV steht für Coronavirus, Sars für eine Atemwegserkrankung, die durch einen ähnlichen Erreger ausgelöst wird).
Sars-CoV-2 könnte sich von einem Lebensmittelmarkt in Wuhan aus verbreitet haben. Dort wurden auch exotische Tiere wie Reptilien verkauft. Die Lungenkrankheit, die das neue Virus auslösen kann, wird mittlerweile als Covid-19 (englisch für Coronavirus disease, Coronaviruskrankheit) bezeichnet. Die Erkrankung ist eine sogenannte Zoonose - eine Seuche durch einen Erreger aus dem Tierreich. Teile des Virenerbguts von Sars-CoV-2 gleichen Erregern, die Fledermäuse befallen. Das neue Virus könnte über einen noch unbekannten Zwischenwirt auf Menschen übertragen worden sein.
Wir nehmen der Natur immer mehr weg. Ressourcen wie Öl, Kohle, Kupfer oder Zinn, die sie über Jahrmillionen aufgebaut hat, beuten wir aus. Der Mensch brennt Wälder ab, um sie zu Agrarflächen zu machen, er überfischt die Meere und dringt immer tiefer in den Dschungel ein. Es stimmt, ein zu enger Kontakt zwischen Mensch und Tier steht oft am Anfang von Epidemien, ob bei der Spanischen Grippe oder beim Buschfleisch, das Ebola-Ausbrüche triggerte.
Rund 60 Prozent aller Krankheiten, die Menschen haben können, stammen ursprünglich vom Tier ( Nature: Jones et al., 2008(öffnet im neuen Fenster) ). Auch beim aktuellen Ausbruch steht am Anfang ein Wildtiermarkt in Wuhan, ein sogenannter wet market, auf dem etwa Schildkröten, Salamander, Krokodile, Skorpione, Ratten, Füchse, lebendige Wolfsjunge und Zibetkatzen, eine Art von Schleichkatzen, verkauft wurden.
Noch immer ist unklar, ob sich das Virus nur von diesem Markt aus verbreitete. Es scheint aber immer mehr darauf hinzudeuten, dass das Virus dort von illegal nach China geschmuggelten Schuppentieren auf den Menschen übersprang. In den Malaiischen Pangolinen, die auf dem Markt verkauft werden, entdeckten Forscher Coronaviren, die nachweislich eng mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 verwandt sind.
Die Forscher schreiben in der am 26. März 2020 in der Fachzeitung Nature erschienenen Studie ( Lam et al., 2020(öffnet im neuen Fenster) ), dass der Grad der Ähnlichkeit zwar nicht ausreiche, um zu belegen, dass die Pangoline die Zwischenwirte waren, die direkt am aktuellen Sars-CoV-2-Ausbruch beteiligt sind. Sie zeigen aber deutlich, dass ihr Verkauf auf Wildtiermärkten verboten werden sollte, um zukünftige Virusübertragungen auf den Menschen zu verhindern.
"Während der illegale Handel mit Wildtieren bisher fast ausschließlich aus Artenschutzgründen kritisiert wurde, stehen nun Themen wie Biosicherheit, öffentliche Gesundheit und wirtschaftliche Auswirkungen im Zentrum" , sagt der Vorsitzende des Deutschen Naturschutzrings(öffnet im neuen Fenster) Kai Niebert. "Was seit Jahrzehnten von Wissenschaftlern und Umweltverbänden vergeblich gefordert wird, wird nun - hoffentlich - die Ökonomie lösen."
Weitere Analysen von Virusgenomen legen nahe, dass das Virus auf diese Tiere wiederum von einer Fledermaus übertragen worden sein könnte ( Biorxiv: Zhou et al., 2020(öffnet im neuen Fenster) ). Und bereits jetzt wissen Forscherinnen und Forscher, dass wohl auch die Übertragung des Vorgängervirus Sars durch die Abholzung von Wäldern und den engeren Kontakt von Menschen und Fledermäusen wahrscheinlicher geworden ist ( PLOS Neglected Tropical Diseases: Hotez, 2017(öffnet im neuen Fenster) ).
Leider sind wir alle supermobil
"Normalerweise stoßen Ausbrüche von Viren allein durch die Geografie an ihre Grenzen, durch Gebirge oder Küsten etwa, die sie natürlich begrenzen" , sagte der Professor für Biodiversität Vogel Zeit Online und schreibt es auch im Tagesspiegel(öffnet im neuen Fenster) . "Doch bei Sars-CoV-2 handelt es sich um ein Virus, das sich auf eine ungewöhnliche Art von Beute gestürzt hat: eine hochmobile, individuenreiche und supervernetzte globale Art: den Menschen."
Jetzt müssen wir uns zurückziehen und dieser Rückzug zeigt auch: Wenn wir zu Hause bleiben, unsere Verkehrswege einschränken und weniger oder zumindest anders einkaufen, dann schafft es die Natur, sich von uns zu erholen. Das alles ist kein Trost dafür, dass weltweit gerade Tausende Menschen sterben. Es heißt nicht, dass das so sein oder so bleiben soll. Der Umgang mit der Pandemie aber zeigt, wie extrem der Mensch auf seine Umwelt einwirkt - und wie extrem es sich auswirkt, wenn er das nicht mehr tut.
Die Veränderungen werden vorübergehend sein. Niemand wünscht sich, dass die Welt ihren CO2-Fußabdruck auf diese Art und Weise reduziert. Die Frage ist, was wir daraus lernen. Bereits jetzt sagen Experten, dass der Umgang mit der aktuellen Krise zwar zeigt, dass wir unsere Klimaziele theoretisch erreichen könnten, dass wir sie aber vermutlich trotzdem verfehlen werden. Schon jetzt kündigen Automobilhersteller an(öffnet im neuen Fenster) , keine wirtschaftlichen Kapazitäten zu haben, den anvisierten Klimazielen nach der Krise noch folgen zu können.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Chef der Internationalen Energieagentur der OECD Fatih Birol warnt davor(öffnet im neuen Fenster) , billiges Öl könne den Übergang zu sauberer Energie weltweit verlangsamen. Schon jetzt ist vorherzusehen, dass wir, wird der Ausbruch vorbei sein, die Quarantäne und die soziale Isolation aufgehoben sein, allzu gern in alte Muster zurückverfallen und uns das gönnen werden, worauf wir so lange verzichtet haben.
"Wir müssen die Evolution der Menschheit und der Planeten verstehen" , sagt Vogel. "Und dann müssen wir unser Zusammenleben hoffnungsvoll planen, trotz allem. Denn wenn das Prinzip der Hoffnung nicht drinsteckt, klappt sowieso gar nichts." Langfristig müssen wir ein Gleichgewicht zwischen Menschheit und Ökosystem finden. Und dafür ist es notwendig, die aktuelle Krise mit anderen Krisen zusammenzudenken.



