Corona-Tracing: Eine App, die nicht zuverlässig funktioniert
Deutschland hat bei der zentralisierten Corona-App dabei womöglich auf den falschen Ansatz gesetzt. Ohne Unterstützung von Google und Apple wird sie nur schlecht funktionieren - und genau daran fehlt es.

Zentral oder dezentral - das ist gerade die entscheidende technische Frage, die in Sachen Corona-Tracing-App diskutiert wird. Deutschland und Frankreich setzen auf den zentralisierten Ansatz, doch das könnte nicht nur aus Datenschutzsicht die falsche Wahl sein.
Bislang wenig beachtet wurde die Frage, wie stabil und zuverlässig eine solche App überhaupt funktionieren würde. Es spricht einiges dafür, dass ein dezentraler Ansatz, wie er zur Zeit in der Schweiz und Österreich verfolgt wird, besser funktionieren wird. Google und Apple wollen die App-Entwicklung unterstützen - aber nur dezentral.
Die Idee bei den geplanten Apps ist in beiden Szenarien, dass Smartphones über eine Technik namens Bluetooth Low Energy miteinander kommunizieren. Damit eine solche App funktioniert, müsste sie permanent mit anderen Geräten in der Umgebung kommunizieren. Doch dabei gibt es eine Reihe von technischen Problemen.
Dauerhaft laufende Apps werden vom Betriebssystem beendet
Auf Apples iPhones ist eine solche Bluetooth-Kommunikation für Apps nur dann erlaubt, wenn das Telefon entsperrt ist. Wird der Bildschirm gesperrt, dann wird die Kommunikation unterbunden. Auf Android-Telefonen wiederum kommt es häufig vor, dass dauerhaft laufende Apps vom Betriebssystem aus Energiespargründen beendet werden. Dabei verhalten sich die Telefone unterschiedlicher Hersteller auch uneinheitlich, so dass davon auszugehen wäre, dass die korrekte Funktionsweise einer solchen App ein Glücksspiel wäre.
Angesichts dieser Probleme erscheint es kaum realistisch anzunehmen, dass eine entsprechende Corona-App bei der Mehrzahl der Nutzer zuverlässig funktioniert. Um effektiv zu sein, müsste eine Corona-App allerdings von einem Großteil der Bevölkerung genutzt werden und natürlich auch technisch funktionieren. Eine Simulationsstudie des britischen Imperial College nannte hier eine Zahl von 60 Prozent, die im Idealfall eine solche App nutzen sollten.
Die beste Möglichkeit, diesen Problemen zu begegnen, ist es, die Funktion direkt im Betriebssystem zu verankern, doch das können nur die Hersteller der Smartphone-Systeme, also Google und Apple. Das sieht auch Chris Boos so, der Kopf hinter dem Projekt PEPP-PT, das mit der Bundesregierung bei der App-Entwicklung zusammenarbeitet und das zuletzt stark in der Kritik stand. "Wenn man eine stabil laufende Applikation haben will, dann braucht man auf jeden Fall die Hilfe von Google und Apple", sagte Boos im Gespräch mit dem Autor.
Google und Apple, die zusammen nahezu den gesamten Smartphone-Markt dominieren, haben bereits angekündigt, eine entsprechende Funktion bereitzustellen. Doch der in Deutschland entwickelten App wird das möglicherweise nicht weiterhelfen. Denn die Schnittstelle, die die beiden Techkonzerne bereitstellen wollen, orientiert sich am dezentralen Ansatz, der beispielsweise in der Schweiz zum Einsatz kommen soll. Die Bundesregierung hatte zwar zuletzt noch erklärt, dass sie zentrale und dezentrale Ansätze prüft, aber die Entwicklung einer App mit dem zentralen Ansatz läuft hinter den Kulissen bereits seit mehreren Wochen.
Boos hofft darauf, dass Apple und Google auch für zentralisierte Apps eine Schnittstelle bereitstellen, und sagt, dass er mit den beiden Firmen im Gespräch sei. Doch ob sich die beiden Konzerne darauf einlassen, erscheint fragwürdig. Zumindest bisher sieht es so aus, dass die beiden Techgiganten die dezentrale Lösung als datenschutzfreundlicher ansehen - und kein Einfallstor schaffen möchten, mit dem Regierungen zentrale Datensammelapps erstellen können.
Erpressung von Google und Apple?
Chris Boos sieht ein solches Vorgehen als Erpressung, spricht davon, dass Google und Apple demokratischen Regierungen nicht vorschreiben sollten, wie sie ihre Apps entwickeln. Und er fragt, wer die Kontrolle über die Daten haben soll - Regierungen oder die Techkonzerne. Doch die Techkonzerne, so scheint es im Moment zumindest, wollen in diesem Fall gar keine Kontrolle über die Daten. Diese sollen auf den Geräten der Nutzer verbleiben.
Dass eine solche dezentrale Lösung datenschutzfreundlicher ist, sehen viele Datenschutzexperten und Wissenschaftler so, auch wenn es einzelne Außenseiterstimmen gibt. Der zentralisierte Ansatz sieht vor, dass man dem Betreiber eines zentralen Servers vertrauen muss und darauf, dass dieser die Daten nicht missbraucht.
Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Konzepten: Beim dezentralen Ansatz verbleiben die gesammelten Kontaktdaten in den Endgeräten, beim zentralen Ansatz werden diese im Falle einer Infektion auf einen Server hochgeladen, der das Infektionsrisiko der kontaktierten Nutzer berechnet.
Eine zentralisierte Lösung wäre möglicherweise zu rechtfertigen, wenn diese deutliche Vorteile bringt. Boos sagt dazu, dass mit einer zentralisierten App mehr epidemiologische Daten bereitstehen würden, mit denen Institutionen wie das Robert-Koch-Institut arbeiten könnten. Der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé zweifelt solche Begründungen an und sieht keine Probleme mit einer dezentralen App. Das Robert-Koch-Institut hat eine Anfrage hierzu bislang nicht beantwortet.
Am Ende könnte es darauf hinauslaufen, dass Google und Apple nur die dezentrale Lösung unterstützen - und Länder, die auf einen zentralisierten Ansatz setzen, keine zuverlässig funktionierenden Apps bekommen. Manch einer wird dann den Techkonzernen die Schuld dafür geben. Doch diese Argumente dürften wenig überzeugend sein, wenn gleichzeitig in Österreich, der Schweiz und anderen Ländern gut funktionierende Apps bereitstehen.
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Ich kenn mich mit iOS-Programmierung zwar nicht aus, aber zumindest bei Android sollte es...
Und wenn alle Hersteller nur noch rosa Autos machen, dann werden sie sich blendend...
Angeblich wollen Apple und Google der Regierung doch die APIs zugänglich machen :-(
Den Unterschied zwischen dem zentralen und dezentralen Ansatz habe ich anderst...