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Coppolas Megalopolis: Science-Fiction wie von Bertolt Brecht

Der lang erwartete Megalopolis von Francis Ford Coppola ist ungewohnt und nicht durchweg zeitgemäß. Trotzdem ist er ein Geniestreich.
/ Daniel Pook
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Filmposter von Megalopolis (Bild: Constantin Film)
Filmposter von Megalopolis Bild: Constantin Film

47 Jahre und mehrere gescheiterte Anläufe hat Francis Ford Coppola von der ersten Idee an gebraucht, um sein Science-Fiction-Epos Megalopolis endlich ins Kino zu bringen. Obwohl Coppolas beste Zeiten als Filmemacher längst hinter ihm liegen, wir denken natürlich vor allem an Der Pate und Apocalypse Now aus den 70ern, hätte die Erwartungshaltung nicht höher sein können.

Immerhin hat der Regie-Altmeister Teile seines geliebten Weinguts verkauft(öffnet im neuen Fenster) , um rund 120 Millionen US-Dollar Produktionskosten für dieses Herzensprojekt, zuzüglich Marketingausgaben, aus eigener Tasche finanzieren zu können.

Dafür hatte er komplette künstlerische Freiheit und kein großes Filmstudio im Nacken, das ihm anders wahrscheinlich ständig reingeredet hätte. Wann sieht man schon noch einen Sci-Fi-Film mit derart hohem Budget, der nicht nur auf Massengeschmack zugeschnitten wurde oder auf einem etablierten Franchise beruht?

Laut internationalen Pressestimmen hat sich das Investment jedoch nur bedingt gelohnt. Zum heutigen Kinostart liegt der Metacritic-Score(öffnet im neuen Fenster) aus 42 Rezensionen bei 57 von 100 möglichen Punkten. Nicht katastrophal, aber auch nicht berauschend. Obwohl uns Megalopolis sehr viel besser gefallen hat, können wir viele der verhaltenen Reaktionen durchaus verstehen.

Megalopolis (Filmtrailer)
Megalopolis (Filmtrailer) (02:08)

Megalopolis verlangt von uns Zuschauern, einiges zu akzeptieren, was nicht unserer Gewohnheiten im Kino entspricht, um den Film als das genießen zu können, was er unserer Ansicht nach eigentlich ist: Episches Theater(öffnet im neuen Fenster) nach Bertolt Brecht, sehr konsequent in Filmform umgesetzt. Wer gar nicht erst versucht, in Coppolas fiktiver Zukunftsversion von New York eine beständige, glaubhafte Welt zu erkennen, in die man atmosphärisch eintauchen kann, als sei sie echt, hat schon einen ersten großen Schritt in Richtung Verständnis für den Film gemacht.

Was wir in Megalopolis sehen, sind Symbolfiguren auf Theaterbühnen und so behandelt Coppolas Drehbuch sie auch. Sie stehen für Konzepte, auch Institutionen aus unserer Realität, mit denen wir hier in Form von Personen konfrontiert werden, die uns zeigen sollen, wie sich die Welt entwickeln könnte, würde man nur die bestehenden Konventionen aufbrechen. Konflikte, die auf den ersten Blick wie Momente aus Daily Soaps wirken, entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Aufeinandertreffen von Ideen, als Modelldarstellungen großer Probleme unserer Zeit.

Sprechende Projektionsflächen vor flachen Kulissen

Kulissen sind dabei meistens unwirklich beleuchtet, Hintergründe wirken flach, manchmal nur rudimentär animiert, geradezu nebensächlich ausgestaltet. Die Schauspieler, allen voran Adam Driver, Giancarlo Esposito, Aubrey Plaza, Shia LaBeouf und Jon Voight meistern die Herausforderung, uns Charaktere näherzubringen, die eigentlich keine sind. Die uns nicht emotional manipulieren können, weil sie nie wie normale Menschen wirken. Auf deren persönliche Schicksale es auch nie ankommt, die trotzdem unsere Blicke voll auf sich ziehen und von Szene zu Szene eine ganz andere Bedeutung annehmen können als noch zuvor.

Es sind bloße Vehikel, um Ideen, Strömungen, Zustände zu repräsentieren. Dass sie uns dennoch nie langweilig geworden sind, vielleicht gerade weil sie ganz anders funktionieren als im typischen Hollywoodfilm, ist einem Cast zuzuschreiben, der sich sehr mutig auf ein solches Konzept eingelassen hat, für das nicht jeder Zuschauer empfänglich sein wird. Der seinem Regisseur selbst dann mit vollem Einsatz gefolgt ist, wenn die Geschehnisse in manchen Szenen auch für unseren Geschmack zu albern, gelegentlich zu holzhammermäßig ausformuliert wurden.

Zeitgemäße Mahnung in modernem Römer-Setting

Die Produktion hatte anfangs in modernen LED-Studios gefilmt werden sollen, Berichten zufolge(öffnet im neuen Fenster) kam es jedoch zu Zerwürfnissen zwischen Francis Ford Coppola und seinem damaligen VFX-Team. In Konsequenz soll dieses gekündigt und der Regisseur sich entschieden haben, zur Erschaffung seiner fiktiven Welt doch nur auf traditionelle Greenscreen-Effekte zurückzugreifen. Ungewollt fügt sich aber gerade das ganz gut in die kulissenhafte Darstellung der Welt, mit ihrem Fokus auf die Schauspieler, ein.

Es gibt trotzdem eine Reihe optisch fulminanter Szenen, die zum Großteil auf praktische Art zustande gekommen sind. Das Set einer riesigen Manege etwa, samt Streitwagenrennen. Oder ein ausgedehnter Drogentrip, bei dem Zeit und Raum verrücktspielen, als Effekt vermutlich handgemacht und durch geschickte Montage erschaffen. Bloß zumeist dann, wenn sich Ideen nur am Computer umsetzen ließen, sieht das häufig aus wie aus der Ära sehr früher 3D-Effekte oder auch alter Computerspiele.

Megalopolis(öffnet im neuen Fenster) bedeutet auf Griechisch große Stadt, bezeichnet außerdem Stadtlandschaften, sie sich aus mehreren Millionenstädten zusammensetzen. Im Film heißt so aber auch die Vision des Architekten Cesar Catilina (Adam Driver), der um die Chance ringt, seine Idee einer utopischen Zukunftsstadt wahr werden lassen zu dürfen.

Der künstlerische Freigeist setzt in seinen Plänen voll auf das mysteriöse Material Megalon, für dessen Entdeckung er den Nobelpreis erhielt. Neben anderen Fähigkeiten ermöglicht Megalon es ihm, in begrenztem Maße Zeit und Raum zu kontrollieren. Wie genau das funktioniert, wird nie erklärt.

Wichtig ist nur, dass er es kann und wofür diese Fähigkeit in seinen Händen hier eigentlich stehen soll. Für grenzenlose Möglichkeit von Kreativität, Weitsicht durch Vorstellungskraft und das Verhältnis von Künstlern zum Konzept Zeit im Allgemeinen. In diesem Fall sagt Coppola uns das im Film durch sein Drehbuch sehr direkt und widmet einer derartigen Auseinandersetzung mit dem Stoff Megalon längere, traumartige Sequenzen. Die uns übrigens an Doctor Manhattans Szenen aus Watchmen erinnert haben.

Wenn wir Protagonisten mit Namen wie Cesar Catilina oder Hamilton Crassus III kennenlernen, wird schnell klar, dass wir hier an der Oberfläche den Zerfall des Römischen Reichs als Metapher für den Untergang der heutigen USA als imperialistische Großmacht gezeigt bekommen. Die Catilinarische Verschwörung(öffnet im neuen Fenster) aus dem Jahr 63 vor Christus in einem solchen Zukunftsszenario nachzuerzählen, war laut Coppola immer schon Ausgangsidee für Megalopolis. Anhand von eingeblendeten Steintafeln mit historischen Zitaten und einem Erzähler aus dem Off, bestätigt uns der Film das sogar beinahe wortwörtlich schon ganz zu Beginn.

Hier sollten wir aber nicht aufhören, uns über die vielen Details und bewusst gewählten Motive von Megalopolis Gedanken zu machen. Interessanter als die großen, offensichtlichen Intrigen zwischen den Reichen und Mächtigen im neuen Rom, ist der Konflikt im Inneren der Gesellschaft. Und die Frage, weshalb Coppola ausgerechnet einen Architekten, der auch Künstler ist, zum Protagonisten seines Films gemacht hat.

Der Wunderstoff Megalon

Cesar Catilina, der die Zukunft sehen kann, für den sich die Gegenwart deswegen wie frustrierender Stillstand anfühlt, den ein persönlicher Schicksalsschlag aber in der Vergangenheit festhält, muss die Bevölkerung einer maroden, sterbenden Großstadt voller Leid und Armut davon überzeugen, alles, was sie haben, abreißen zu dürfen, um es von Grund auf besser für alle neu zu errichten. Seine politischen Widersacher stellen sich gegen den Fortschritt, plädieren für "Stahl und Beton" statt des Wunderbaustoffs Megalon.

Wer sich vom reinen Römer-Motiv löst, erkennt hier die wertvollere, zeitgemäße Mahnung von Megalopolis. Einerseits brauchen wir immer schneller immer mehr günstige Wohnräume. Andererseits wäre es fatal für die Zukunftsaussichten unseres Planeten, Großstädte immerzu weiter mit totem Beton zuzubauen, der nur begrenzte Haltbarkeit hat und beim Abriss nichts als Abfall zurücklässt. Lösen wir unsere Probleme jetzt schnell und billig, werden wir das auf lange Sicht bereuen. Bei Großbauprojekten in unserer Realität ist das aber beileibe noch nicht richtig angekommen.

Trügerische Sehnsucht nach einem Messias

Im Speziellen über Beton als Baustoff und die Wichtigkeit kreativer Architekten, welche neue Lösungen finden, alternative Materialien nutzen, unser Wohnen, unsere Städte neu denken sollen, erscheint am 03. Oktober der bildgewaltige Dokumentarfilm Architecton von Victor Kossakovsky.

Die A24-Produktion ist unserer Meinung nach ein kongeniales Begleitstück zu den zentralen Aussagen, die hinter Adam Drivers Filmfigur und seiner Vision der Utopie Megalopolis stecken. Die Doku aufgrund des zeitnahen Kinostarts bereits vorab gesehen zu haben, hat uns Coppolas Epos jedenfalls tatsächlich viel besser verstehen lassen.

Architecton (Filmtrailer)
Architecton (Filmtrailer) (02:02)

Uns wundert nicht, dass aus Megalopolis in den 1980ern um ein Haar eine viertägige Theateraufführung geworden wäre. Die DNA einer solchen ist unverkennbar, in diesem jetzt wohlgemerkt nur noch 138 Minuten langen Kinofilm. Dessen theaterhafte Präsentation wirkt gewollt und gelungen und macht ihn in unseren Augen viel interessanter, als hätte Coppola mit Kameramann Mihai Malaimare Jr. auf übliche Weise einen normalen Science-Fiction-Film gedreht.

Etwas bessere Effekte hätte Megalopolis dennoch gerne haben dürfen. Außerdem bleibt es in der Summe zwar bei vielen richtigen Metaphern über die Zustände unserer Welt und der Menschheit; was der Film als Lösung vorschlägt, ist im Endeffekt aber doch wieder nur das Prinzip Hoffnung in sehr romantisierter Form. Vor allem die trügerische Sehnsucht nach einem Messias und dessen einer genialer Erfindung, mit der sich alle Probleme lösen lassen, sehen wir skeptisch.

Francis Ford Coppola wollte bewusst einen, wie er es selber wiederholt beschrieben hat(öffnet im neuen Fenster) , intellektuellen Film machen. Einen Film gefüllt mit seinen eigenen Ansichten und Gefühlen über Kunst und die Welt, ganz besonders aber als Botschaft für eine bessere Zukunft.

Während ihm das in letzter Konsequenz inhaltlich nicht vollends gelungen ist, haben wir es hier handwerklich und erzählerisch trotzdem ohne Zweifel mit einem weiteren Paradestück Coppolas zu tun, das epische Theaterlogik und Filmkunst mutig und sinnvoll miteinander hat verschmelzen lassen. Das gefällt bestimmt nicht jedem, ist für uns aber ein großer Mehrwert. Auch über den eigentlichen Film hinaus, wie sich noch zeigen sollte.

Zwischen Fritz Lang und Bertolt Brecht

Bei unseren Recherchen sind wir beinahe zufällig auf einen kleinen Festival-Artikel(öffnet im neuen Fenster) gestoßen, der Megalopolis für uns nochmals in ein anderes interessantes Licht gerückt hat. Der kurze Text setzt die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny(öffnet im neuen Fenster) von Kurt Weill und, welch Überraschung, Bertolt Brecht in Zusammenhang mit Fritz Langs Film Metropolis(öffnet im neuen Fenster) .

Beide nutzen Motive, eigentlich Zerrbilder idealer Städte, um anhand derer Klassendisparitäten und moralische Defizite des Kapitalismus aufzudecken. Die Städte in beiden Werken seien zwar grundsätzlich verschieden, transportieren aber auf dieselbe Weise die gleichen Aussagen.

Coppolas Film Megalopolis, den wir ja ohnehin schon sehr nahe bei Brechts Theater eingeordnet haben und der im Übrigen nicht nur mit seiner Thematik der futuristischen Großstadt auch an Metropolis erinnert, kommt uns spätestens jetzt wie das fehlende Puzzlestück zwischen Fritz Langs Klassiker und Brechts Oper vor. Kann das Zufall sein? Wenn ja, hat dieser hier eine lohnenswerte Trilogie entstehen lassen.

Megalopolis ist am 26.09.2024 in den Kinos gestartet.


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