Codecks.io: Ein Projektmanagement-Tool wie ein Sammelkartenspiel

Videospiele zu entwickeln, ist komplex - und wie jedes andere Softwareprojekt ohne Projektmanagement-Tool kaum zu überblicken. Spieleentwickler haben sich deshalb die Frage gestellt: Kann dieses Management nicht auch Spaß machen?
Riad Djemili vom Spielestudio Maschinen-Mensch(öffnet im neuen Fenster) hat für sein Projektmanagement viel mit Jira, Hansoft und Trello herumprobiert. Er suchte nach einem Tool, das sich "so modern und eingängig anfühlt wie die eigenen Spiele," wurde aber nicht fündig.
Also wird er selbst aktiv und gründet zusammen mit einer Handvoll Kollegen, dem Programmierer Daniel Berndt und dem Projektmanager Emmanuel Tabarly 2019 Codecks.io(öffnet im neuen Fenster) .
Djemili und seine Mitgründer wollen ein Projektmanagement-Werkzeug schaffen, das die Balance zwischen großem Funktionsumfang, Verständlichkeit und spielerischem Augenzwinkern halten kann, mit Fokus auf Einbindung einer Community. Herausgekommen ist ein Tool, das schon auf den ersten Blick an Sammelkartenspiele oder Deckbuilder erinnert. "Die Metapher eines Kartenspiels hat super gepasst. Das hat sich als sehr übersichtlich und intuitiv herausgestellt," sagt Djemili.
Derzeit nutzen ihm zufolge etwa 600 Teams Codecks.io. 95 Prozent sind nach seinen Angaben klassische Spielestudios, der Großteil davon mit maximal 100 Angestellten. Aber auch Handwerksbetriebe oder Firmen aus dem Bereich KI, VR, Web3 oder Robotik verwalteten ihre Projekte zum Teil über Codecks.io.
Djemili sieht in dieser Hinsicht noch Luft nach oben. "Generell sehe ich keinen Grund, warum nicht auch andere Firmen die gleichen coolen Werkzeuge wie Spielefirmen einsetzen können sollten." Dass Firmen und Teams gerade aus dem Bereich der Softwareentwicklung Codecks.io theoretisch einsetzen können, ist klar.
Das Projektmanagement und seine Phasen
Damit ein Projektmanagement-Tool effizient ist, muss es laut David Bergens eine Handvoll zentraler Funktionen erfüllen. Bergens ist Geschäftsführer von Pix Software, das neben einem Private-Cloud-Dienst vor allem Beratung zu und Implementierung von Projektmanagement-Lösungen wie Jira anbietet.
Zu den zentralen Funktionen solcher Tools gehören das Verwalten und Verfolgen von Aufgaben, die Möglichkeit, dass mehrere Mitarbeiter gleichzeitig an zentral gelagerten Dokumenten arbeiten können, eine Zugriffskontrolle, die Ressourcenplanung und die Berichterstellung. Zudem sollten Fortschritte und Ergebnisse auf einem Dashboard abgebildet werden können, Drittanbieterintegration über APIs möglich sein und sowohl Support als auch Bedienung einsteigerfreundlich und intuitiv sein.
Diese Grundfunktionen werden zu unterschiedlichen Anteilen in den verschiedenen Projektmanagementphasen abgebildet. Generell spricht das Project Management Institute, das mit dem PMBOK Guide eine Art Standardwerk herausgebracht hat, von fünf Stufen: Initialisierung, Planung, Durchführung, Performancemessung, Abschluss.




Im Bereich der Softwareentwicklung ist derzeit ein sechsstufiges, agiles Modell aktuell, das sich aus Konzeptionierung, Anforderungsermittlung, Entwicklung, Veröffentlichung, Produktion und Ausmusterung zusammensetzt. Welches Tool welche Phasen am besten abbilden kann, hängt laut Bergens primär vom Projekt selbst ab.
"Bis zu einem gewissen Grad sind alle Tools für alle Zwecke nutzbar," sagt der Experte. Je nach Umfang, Anzahl der Teammitglieder, Budget oder Zeit eigneten sich manche Dienste besser als andere. "Jira ist mit einer verzweigten Projektstruktur besser geeignet für knappe Termine, während ein Tool wie Trello besser geeignet ist, um kleine Projekte zu koordinieren."
Agil und verspielt statt statisch und stumpf
Codecks.io verfolgt rein optisch einen einzigartigen Ansatz, bedient aber grundsätzlich alle Bedürfnisse für Projektmanagement im IT-Bereich, von der Planungs- bis zur Reporting-Phase. Das Tool implementiert Aspekte klassischer Agile-Konzepte wie Kanban oder Scrum, baut diese allerdings für seine Bedürfnisse um.
Ein Beispiel: Der Standardablauf in Codecks.io gleicht dem von Jira oder Trello. Projektmitglieder erstellen innerhalb des Projekts eine Karte für eine Aufgabe, beispielsweise die Anfertigung von Profilbildern für die Social-Media-Auftritte eines Produkts.
Der Karte werden Priorität, spezielle Tags sowie eine Aufwandseinschätzung zugewiesen, die tatsächliche Aufgabe wird kurz in einem Markdown-fähigen Texteditor beschrieben. Hier empfiehlt es sich, durch die Projektleitung klare Richtlinien vorzugeben, vor allem bei den Tags, da es sonst schnell unübersichtlich werden kann.
Statt die Karte dann auf ein Board zu schieben, wird sie einem Deck, also einer thematischen Gruppe, oder direkt der Hand zugeordnet, quasi der persönlichen To-do-Liste. Das für die Aufgabe verantwortliche Teammitglied beginnt mit einem Klick auf das Play-Symbol mit der Arbeit daran.
Treten Probleme bei der Erledigung der Aufgabe auf oder ist sie bereit für den Review-Prozess, können gesonderte Chats mit Kollegen gestartet werden. Die finden nicht auf der Karte selbst, sondern in einem ausklappbaren Seitenmenü statt, in dem sich die Konversationen zudem nach Typ filtern lassen.
Dieses Organisieren nach Quasi-Forenthreads erhöht die Nachvollziehbarkeit und vermeidet Kommentarwust und Durcheinander auf der Karte selbst. Ein weiteres smartes Produktivitätsfeature: Codecks.io weist automatisch auf offene Gesprächsfäden hin, was dabei hilft, Diskussionen nicht versanden zu lassen. Ist die Aufgabe abgeschlossen, wird die Karte abgehakt und landet im Erledigt-Stapel, von wo aus sie nach einer bestimmten Zeit automatisch ins Archiv verschoben wird.
Karten durchlaufen also keine Kanban-typische Swimlane von links nach rechts, sondern bilden diese Fortschritts-Pipeline direkt selbst ab. "Die Bedienung der Task-Pipeline ist intuitiv und macht eine schnelle Einarbeitung möglich," sagt Projektmanagement-Experte David Bergens. "Einfache Softwareentwicklungsprozesse lassen sich umgehend damit umsetzen."
Wer sich zu Beginn trotzdem etwas verloren fühlt, arbeitet das logisch gestaffelte Learning-By-Doing-Tutorial von Codecks.io ab und erhält für jede erledigte Aufgabe Erfahrungspunkte für ein Level-up - ganz gamingtypisch eben.
Gute Basis, bessere Bonusfeatures
Der starke Fokus auf Karten statt Boards spiegelt sich auch in zwei weiteren besonderen Features wider: den Hero Cards, die als Dach für die verschiedenen Teilaufgaben, beispielsweise bei der Erstellung eines Spiele-Assets, fungieren und die mit den Epics des agilen Managements vergleichbar sind, sowie den Journeys. Mit Letzteren lässt sich die Erstellung von Kartenpaketen, die immer wieder gebraucht werden, mit einem Klick automatisieren und zum Beispiel ein immer wieder verwendbares Template für den Bau eines Levels in einem Spiel erstellen.
Wer bei der Entwicklung seines Produkts Wert auf Feedback aus der Community legt und dafür Discord nutzt, für den hat Codecks.io mit Decky ein mit wenigen Klicks aufsetzbares Tool. Darüber können Mitglieder des entsprechenden Discord-Servers Featurewünsche einreichen, die als Karte in einem neuen Deck landen.
Die Kommunikation zwischen Team und einreichendem Fan findet auch über die Karte selbst statt, was Ablenkung minimiert. Diese Pipeline ist laut Codecks.io-Mitgründer Riad Djemili einer der Aspekte, die das Tool so besonders machen.




"Firmen und Marken konstruieren sich um Communities herum. Feedback und Kundenbindung sind nicht mehr nice-to-have, sondern stehen im Mittelpunkt der Entwicklung," sagt Djemili. "Existierende Tools sind unserer Meinung nicht ausreichend auf diese Entwicklung ausgerichtet. Wir wollten ein Werkzeug bauen, in dem Projektmanagement und Community-Anbindung verschmelzen."
Neben Discord lässt sich Codecks.io auch in Github, Bitbucket, Gitlab und Slack integrieren. Die diesbezügliche Vielfalt anderer Tools erreicht Codecks.io nicht, über die API lassen sich jedoch im Zweifel eigene Integrationen bauen - wenn man die Zeit hineinstecken will.
Guter Datenschutz bei Standardpreisen
So frisch und einsteigerfreundlich sich Codecks.io in Sachen UI, UX, Workflow und Aufgaben-Pipeline anfühlt - hinsichtlich der Preisstruktur orientiert sich das Tool am Industriestandard und versteckt einige wirklich sinnvolle Ergänzungen hinter der Paywall. Der Gratisaccount ist auf fünf Projekte und fünf Nutzer limitiert, bietet keine Zugriffskontrolle oder unterschiedliche Rollen, keine Zeiterfassung und keine Fristensetzung. Support gibt es trotzdem schon ab dieser Stufe via Mail und Discord.
Auch das nächstgrößere Paket, Plus, hat keinen größeren Funktionsumfang und kostet fünf Euro pro Monat und User. Es hebt lediglich die Projekt- und Nutzerlimitierung auf und ermöglicht das Hochladen größerer Dateien. Richtig sinnvoll wird Codecks.io erst ab der Pro-Stufe für neun Euro pro Monat und User, die Kernfeatures wie Time-Tracking freischaltet. Bezahlt werden kann via Stripe per Lastschrift oder Kreditkarte, zusätzlich lässt sich der eigene Account in Prepaid-Art im Vorfeld mit Guthaben aufladen.
Obwohl die pro Stufe verfügbaren Features sich bei beliebten Tools wie Jira oder Trello unterscheiden, ist die preisliche Struktur der unterschiedlichen Accounts nahezu identisch mit der von Codecks.io. So arbeitet Trello mit 5 und 10 US-Dollar für seine Standard- und Premium-Accounts, Jira verlangt mit knapp 8 und etwa 15 US-Dollar etwas mehr.
Alle drei Tools bieten auch eine Enterprise-Variante, die bei Jira allerdings erst ab 800 Nutzern verfügbar ist. Codecks.io setzt diese Untergrenze bei 20 Nutzern, eine Zahl, die die meisten mittelgroßen Entwicklerteams leicht erreichen dürften. Im Gegenzug gibt es ein personalisiertes Onboarding und, nicht unwichtig, die Möglichkeit, eine Instanz von Codecks.io selbst zu hosten.
Wer ein zu kleines Team hat oder genau auf seine Kosten achten muss, für den ist die Cloudversion des Tools allerdings völlig ausreichend und aus Datenschutzsicht grundsätzlich unbedenklich. Codecks.io hostet seine Plattform auf einem Hetzner-Server in Deutschland, es werden keine Integrationen genutzt, die Datenflüsse bewegen sich im Rahmen der DSGVO-Vorgaben.
Von normalen Nutzern wird beispielsweise grundlegend nur die Mailadresse, der Nutzername und ein Session-Cookie gespeichert, sofern kein echter Name oder Profilbild hinterlegt wird oder der Nutzer nichts mit der Abrechnung zu tun hat. Entsprechend werden die Daten auch nur mit Stripe geteilt. Nutzergenerierte Inhalte wie Bilder oder Dokumente, die auf Karten hochgeladen werden, landen auf einer AWS-Serverfarm in Frankfurt.
Codecks.io: eine echte Alternative für kleine bis mittelgroße Teams?
Übersichtliche Preisstruktur, ungewöhnliches Design, sinnvolle Integration und Kombination unterschiedlicher Aspekte von agilem Management: Obwohl Codecks.io laut Entwickler Riad Djemili dem Grundsatz des "opinionated design" folgt, also von Natur aus nicht für alle Zwecke geeignet ist und eine klar vordefinierte Aufgaben-Pipeline hat, macht die Community-Integration das Tool nicht nur für Spielestudios, sondern auch für andere moderne Teams aus dem Softwarebereich interessant.
Wer vorher Jira, Trello, Asana oder andere Tools benutzt hat, muss sich allerdings definitiv erst mal umgewöhnen. Aber wer ein wenig Zeit in das Tutorial steckt und etwas herumprobiert, kann sich die Grundzüge in nicht mal einer Stunde draufschaffen.




Fraglich bleibt, wie gut Codecks.io ab der magischen Grenze von 100 Teammitgliedern skaliert. Es dürfte schließlich kein Zufall sein, dass die meisten Firmen, die das Tool schon jetzt nutzen, kleinere Indie-Studios sind.
Auch Pix-Software-Geschäftsführer David Bergens schätzt die Plattform als geeignet für überschaubare Teams ein. "Für kleine und mittlere Organisationen ist ein Einsatz für uns - im Vergleich mit unseren üblichen Tools - absolut denkbar." Was Codecks.io aber in jedem Fall gelingt: Komplexe Systeme in einen leicht zu erlernenden, in Sachen Handling und Optik intuitiven und ansprechenden Workflow zu verpacken - genau so, wie es auch gute Games machen.



