Wer des Kindesmissbrauchs verdächtigt wird, ist erledigt

Wer auch nur in den Verdacht gerät, kinderpornografisches Material zu besitzen und zu verbreiten, ist gesellschaftlich erledigt. Was passiert, wenn böswillige Akteure einem Politiker oder Prominenten solches Material per Whatsapp auf sein Handy schicken? Die Filter könnten sofort anschlagen und die betroffene Person käme in große Erklärungsnöte oder gleich in Teufels Küche. Ein solcher Angriff ist bislang nicht möglich, da die Geräte nicht permanent überwacht werden. Man müsste dazu nur die Handynummer des Opfers kennen.

Dauerhafte Onlinedurchsuchung

Es ist kein Zufall, dass der Entwurf den Anbietern "wirksame interne Verfahren" vorschreibt, um den Missbrauch der Technik zu verhindern oder diesen aufzudecken. Denn wer einmal einen solchen privilegierten Zugang zu dem Gerät seiner Nutzer hat, kann dort beliebig nach Inhalten suchen und diese ausleiten lassen.

Dass Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste früher oder später davon Gebrauch machen würden, darf als sicher gelten. Personen, bei denen solches Material gefunden würde, wären zudem sehr leicht erpressbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich selbst das Material besorgt haben oder es ihnen untergeschoben wurde.

Für eine solche Onlinedurchsuchung, die nur in Einzelfällen möglich ist, setzt der Gesetzgeber mit Recht sehr hohe Hürden. Doch die EU-Kommission will dieses schwerwiegende Instrument nun im Grunde dauerhaft bei allen Nutzern aktivieren. Es braucht dazu nicht einmal einen Staatstrojaner, der unbekannte Sicherheitslücken ausnutzt. Ein wirklich beispielloser Vorgang.

Warum nicht gleich auf Betriebssystemebene?

Im Grunde muss man der Kommission vorwerfen, dass ihr Vorschlag inkonsequent und auf halbem Wege steckengeblieben sei. Warum verpflichtet sie nicht gleich die Hersteller von Betriebssystemen wie Windows, Linux, Android oder iOS, die Endgeräte der Nutzer nach solchen Inhalten zu durchsuchen? Das wäre viel umfassender und würde die Detektionsrate vermutlich noch erhöhen.

Zumal Apple ohnehin schon einen solchen Fotoscan plante, diesen aber nach dem Aufschrei von Nutzern und Sicherheitsexperten nicht umsetzte. Apple lege mit dem angekündigten Fotoscan den Grundstein für globale Zensur, Überwachung und Verfolgung, warnten damals 90 Menschenrechtsorganisationen.

Kein Vergleich zu Spamfiltern

Der Vergleich mit Spamfiltern und Antivirensoftware, den Johansson bemühte, überzeugt dabei nicht. Es ist etwas gänzlich anderes, ob Nutzer freiwillig ihre Kommunikation von ungewolltem Werbemüll befreien wollen, oder ob sie ungewollt sämtliche Inhalte nach verdächtigem Material durchsuchen lassen müssen. Die Unzuverlässigkeit von Spamfiltern zeigt, wie leicht es zu falschen Verdächtigungen kommen könnte.

Zuletzt warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wegen des russischen Angriffskrieges sogar vor der Antivirensoftware von Kaspersky. Andererseits sollen nun sämtliche Provider und Messengerdienste dazu gezwungen werden, Schnüffelfunktionen zu installieren.

Ein solches Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung kennt man eigentlich nicht aus demokratischen Staaten. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jens Zimmermann twitterte daher zu Recht: "Ohne Anlass, ohne Verdacht. Das gehört eher nach Russland als nach Europa." Es ist fast beschämend, dass dieser Vorschlag ausgerechnet während des laufenden Angriffs Russlands auf die Ukraine vorgestellt wurde. Während die Ukraine ihre Freiheit mit Waffen verteidigen muss, opfert die EU-Kommission die wichtige Grundrechte der Bürger auf dem Altar der Kriminalitätsbekämpfung.

IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)

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 Chatkontrolle: Ein totalitärer Missbrauch von Technik
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