Chaos Communication Camp 2015: Donnerschläge, Cert-Taucher und Bimmelbahnhacker

Es fühlte sich ein wenig an wie in der Sahara und nicht wie in Brandenburg: Das Chaos Communication Camp 2015 dürfte als eines der heißesten in die Geschichte eingehen. Erst am vorletzten Abend gab es eine kurze, aber sehr heftige Abkühlung. Geholfen hat diese aber kaum etwas. Geschwitzt wurde zwischen Vorträgen zu Twitter-Bots oder Car-Hacking trotzdem. Abkühlung verschafften sich die Hacker in den naheliegenden Gewässern, was einem iPhone fast das Leben kostete. Die Sanitäter vom Cert (Chaos Emergency Response Team) mussten zu Hilfe eilen.




















Das alle vier Jahre stattfindende Sommercamp des Chaos Computer Clubs (CCC) wurde diesmal auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegeleifabrik nördlich von Berlin ausgetragen. Der Ziegeleipark Mildenberg ist ein Freiluftmuseum, die Zelte der Hacker standen zwischen alten Baggern und Gleisanlagen, die das gesamte Gelände durchzogen. Die Straße von Berlin dorthin führt zunächst durch Mildenberg, das Ortsschild weist Neuland als nächste Ortschaft aus - ein beliebtes Fotomotiv für die Hacker.
Hacker am Rande der Zivilisation
Dass der Ziegeleipark nicht mal eben in der Nähe einer großen Stadt ist, merkt man schon bei der Recherche im Internet. Das Kartenmaterial von Bing und Apple zu der Umgebung ist nicht vergleichbar mit dem, was der Großstadtbewohner gewöhnt ist. Nur mit Mühe kann der Anwender dort navigieren. Auch die Google-Daten, immerhin etwas detaillierter, werden dem Ort nicht gerecht. Immerhin wusste die Navigations-App unter Android, wohin der Weg führt.
Die auf dem Gelände des Ziegeleiparks liegenden Gleisanlagen sind aber nicht verzeichnet. Selbst die Openstreetmap-Daten zeigten sie nicht an. Doch das änderte sich im Lauf der Camp-Vorbereitung stark, wie am Changelog zu sehen ist. Die Gleise der beiden dort noch immer für Touristen und zeitweilig für Hacker verkehrenden Schmalspurbahnen (730 und 630 mm) sind verzeichnet, wenn auch nicht in Perfektion. So fehlen etwa einzelne Haltestellen der Tonlorenbahn, für die man vor Ort sogar einen Dampflokführerschein machen kann(öffnet im neuen Fenster) .
Hacker auf der Bimmelbahn
Vor Ort fuhr nur die Ziegeleibahn. Der Rundkurs wurde von den Hackern und vor allem deren zahlreichen Kindern ausgiebig genutzt, die dafür allerdings ein eigenes Ticket lösen mussten. Manch einem Hacker fehlte der Respekt vor den schweren, aber langsam fahrenden Zügen. Statt auf die Querung der Bahn zu warten, sahen wir einen Hacker, der einfach durch die offenen Waggons sprang. Abends fuhr ein Spezialzug samt Bar und ein zu einem Bällebad umfunktionierter Waggon - alles schön beleuchtet.
Gleise, überall Gleise
Die Gleise waren für die Mitglieder des Network Operation Center (NOC), die sich um die Infrastruktur des Camps kümmerten, allerdings zuweilen ein Ärgernis: Versehentlich über die Gleisanlagen gelegte Glasfaser-Kabel überlebten einen Spurkranz nicht. Dementsprechend abenteuerlich sah die Verlegung von Strom-, Wasser- und Internetkabeln aus: Entweder wurden die Gleisanlagen unterbuddelt oder mit Brückenkonstruktionen für Kabel überspannt. Insgesamt war es ein sehr interessanter Mix aus moderner Infrastruktur und dem Problem des Verlegens in Verbindung mit jahrhundertealter Technik, über die es im Ziegeleipark viel zu erfahren gab.
Und zwar nur dort. Ein paar Suchanfragen offenbarten: Über die interessante Geschichte des Ortes, den die Veranstalter sich für das Camp aussuchten, gibt es im Internet eigentlich fast gar keine Informationen. Wer Details erfahren will, muss hinfahren.
Abenteuerliche Anfahrt mit den Öffis
Doch das war für die Hacker ohne eigenes Auto alles andere als einfach. Das Land Brandenburg hat in den letzten Jahrzehnten mit der Einstellung von Bahnverbindungen massiv zur Landflucht beigetragen. Das Konzept der Rufbusse - vor Abfahrt muss bei vielen Verbindungen die Verkehrgesellschaft 90 Minuten im Voraus per Telefon informiert werden - kennt der moderne Stadtnutzer mit seinem Smartphone nicht. Obendrein werden in den Apps der BVG und des VBB Rufbusse als solche nicht unbedingt angezeigt, so lange der Anwender sich nicht die Haltestellenübersicht anzeigen lässt. Erst dort, unter der Endhaltestelle, findet sich der Hinweis auf sie.
Wir hingegen hatten Glück. Als wir am Samstag den 838er zur Regionalbahnstation Zehdenick nehmen wollten, wartete schon ein übermüdeter Teilnehmer, der bereits auf dem Heimweg war und den Rufbus rechtzeitig gerufen hatte. Was dann kam, war allerdings nur ein kleiner Transporter für 8 Personen. Der Fahrer sagte uns: Nur wenn genug Fahrgäste anrufen, holt er schon mal den großen Bus. Gefahren wird allerdings nur die Strecke, die auch angefordert wurde. Ist der Bus voll oder nur für eine bestimmte Strecke gebucht, hat der Mitfahrer Pech gehabt. So ist das am Rande der Zivilisation.
Automatenbenutzung nur bei fehlenden Automaten
Immerhin war die Fahrt kostenlos, denn unser Rufbus hat keinen Ticketautomat. An der Regionalbahnstation der 13.000-Einwohner-Stadt Zehdenick erwartete uns dann gleich das nächste Problem: Ein Automat, 7 Minuten für den Umstieg und vier Personen. Wer schon einmal einen Deutsche-Bahn-Automaten bedient hat, weiß, dass es fast unmöglich ist, den Zug samt gültiger Fahrkarte zu erwischen.
In Brandenburg gilt zudem: Das Ticket muss auf Wunsch des Bundeslandes vor Betreten des Zuges gelöst werden. Der Automat im Zug ist nur für Bahnhöfe ohne ebensolche (sic!), und die Zugbegleiter dürften eigentlich gar keine Tickets mehr verkaufen. Sie sind noch kulant auf dem Land, verweisen aber darauf, dass der Fahrgast eigentlich dafür sorgen sollte, rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Wir haben die Situation am Abreisetag nicht mehr beobachtet, können uns aber denken, was für eine Überlastung die hundertfach abreisenden Hacker im Verkehrsnetz erzeugt haben dürften. Der Anblick der wartenden, erschöpften Hacker an der Busstation am Ziegeleipark reichte uns. Immerhin organisierten sich die Hacker selbst. Es gab einen Bus auf Spendenbasis für 3 Euro pro Fahrt, und Mitfahrgelegenheiten gab es dank hilfsbereiter Teilnehmer ebenfalls.
Dürfen sie das tolle Internet behalten?
Doch nicht nur die Verkehrsanbindung ist alles andere als ideal. Eine Internet-Verbindung in der Gegend ist Glückssache. Besucher aus der Umgebung fragten die Hacker, ob das tolle Internet auch bleibe, wenn sie wieder fort seien. Wir waren sowohl mit O2- als auch Telekom-SIM-Karten auf dem Camp. Nur letztere hatten schnellen 3G-Empfang. Der Grund lag in einem von der Telekom geparkten mobilen Mobilfunkturm. Mit einer Richtfunkverbindung verband sich dieser mit einer anderen Zelle und verteilte das Signal in Richtung des Camps.
Dank einer hervorragenden WLAN-Infrastruktur waren Mobilfunkverbindungen aber nicht unbedingt notwendig. Mit zahlreichen Leihgaben und Spenden von Netzwerkequipment, das sich für Einzelpersonen laut der Veranstalter für Geld weder mieten noch kaufen lässt, gelang der Aufbau eines gigantischen Glasfaser- und Kupferkabelnetzes für die etwa 4.500 Teilnehmer. Das funktionierte vor allem dank guter Kontakte, denn so mancher Admin des CCC-Camps arbeitet ohnehin beispielsweise bei einem Hoster, der dem CCC positiv gegenüber eingestellt ist und etwas Equipment bereitstellt. "Wir geben aber alles zurück," hieß es beim Abschlussvortrag des NOC.
Marder, die Feinde der Glasfaserkabel
Die Details zu der Internetversorgung hat der Kollege bei Zeit-Online, Patrick Beuth, in einem Artikel niedergeschrieben(öffnet im neuen Fenster) . Wir beschränken uns dementsprechend auf ein paar Statistiken. Mehr als 10.000 WLAN-Geräte gab es auf dem Camp, von denen rund ein Drittel gleichzeitig online war. Im Durchschnitt wurden 1,27 GBit/s ins Camp gebracht und 3,38 GBit/s vom Camp nach draußen geführt. Weitere Details sollten sich unter dashboard.camp.ccc.de(öffnet im neuen Fenster) finden, derzeit ist die Webseite allerdings offline. Wohl auch deshalb waren Anwohner etwas neidisch, in Anbetracht der Leistung, die das CCC-Camp vollbrachte und nach Zehdenick brachte. Lediglich der eine oder andere Marder wollte wohl das "tolle Internet" verhindern und knabberte die Glasfaserleitungen zum Camp an. Das Kabel wurde dann einfach in die Höhe verlegt.
Evakuierung, per WLAN verfolgt
Das WLAN offenbarte interessante Bewegungsprofile der Anwender. Bestimmte Access-Points an Partylocations zeigten gegen Abend verstärkten Traffic. Auch sichtbar war etwa die Auslastung der Vortrags- oder Workshop-Zelte. Besonders interessant wurde es, als das Camp am Sonntagabend evakuiert werden musste. Mit lautem Grollen kündigte sich laut Augenzeugen ein Gewitter an, das wir selbst nicht erlebten. Die Feuerwehr entschied dann, einem Evakuierungplan zu folgen und das Camp zu räumen. Hacker wurden in die umliegenden festen Gebäude und in ihre Autos beordert. Entsprechende Fluchtbewegungen waren über die WLAN-Access-Points gut erkennbar. Das dürften durchaus auch allgemein interessante und verwertbare Informationen über Fluchtströme sein.
In der Nähe des Camps schlug dann tatsächlich ein Blitz ein. Der Strom war aber zuvor vorsorglich abgeschaltet worden. Weder wurden Hacker verletzt, noch wurde die Infrastruktur beschädigt. Nach etwa einer Stunde zog das Gewitter vorüber.
Heringe, die Feinde der Hackerfüße
Dieses kleine Gewitter war eine willkommene Abkühlung auf dem Camp. Denn auch wenn das Camp außerhalb der urbanen Hitzeöfen lag, die baulich bedingt nachts kaum abkühlen, war es teils unerträglich heiß. Vor allem in den Vortragszelten. Die hatten prinzipbedingt wenig Licht durchgelassen, doch diese Lichtvermeidung blockierte auch die Durchlüftung, so dass wir uns immer wieder schweißgebadet in der Sonne abkühlen mussten. Die Aufforderung an die Hacker, viel zu trinken, war ernst zu nehmen. Hitzebedingte Vorfälle gab es aber nicht, das Cert registrierte hauptsächlich Verletzungen an Fuß und Knöchel, zugezogen an Zeltheringen. Das Cert schickte ein Team durch das Camp, das allzu schlecht platzierte Stolperfallen monierte.
Erste Hilfe für Mensch und Maschine
Das Cert tat sich bei der Rettung von Hardware aber besonders hervor. Beim Schwimmen versank ein iPhone eines Hackers im nahegelegenen Badesee. Aus 1,80 Meter Tiefe wurde es von den Tauchern des Certs geborgen, trockengelegt, abgetupft und soweit aufgepeppelt, dass es anschließend wieder einwandfrei funktionierte. Auch die Solidarität der Hacker untereinander wurde auf der Abschlussveranstaltung gelobt. Ein über Nacht vor einem Zelt liegengebliebener Laptop war am nächsten morgen nicht nur immer noch da, er war sogar inzwischen an ein Netzteil angeschlossen und aufgeladen worden. Was das Chaos Commuincation camp so besonders macht und warum Hacker gerne dorthingehen, hat Kai Biermann bei Zeit Online treffend beschrieben(öffnet im neuen Fenster) .
Das nächste Chaos Communication Camp findet in vier Jahren statt. Ob auch 2019 der Ziegeleipark nahe Zehdenick in Brandenburg als Ort ausgewählt wird, steht noch nicht fest. Dem Vernehmen nach wünscht man sich allerdings eine Fortsetzung, und auch die Verantwortlichen des Ziegeleiparks waren mit dem Besuch der Hackerhorden offenbar zufrieden.



