Bundesverfassungsgericht: Internetüberwachung des BND ist verfassungswidrig

Schwere Niederlage der Regierung vor dem Verfassungsgericht: Die Überwachung von Internetknoten durch den BND verstößt gegen das Grundgesetz.

Artikel veröffentlicht am ,
Der BND darf Internetknoten wie den DE-CIX nicht mehr wie bisher überwachen.
Der BND darf Internetknoten wie den DE-CIX nicht mehr wie bisher überwachen. (Bild: DE-CIX)

Die Telekommunikationsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Ausland ist in ihrer derzeitigen Form nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe nach einer Klage der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) und mehrerer ausländischer Journalisten. Die entsprechenden Paragrafen im BND-Gesetz seien nicht mit dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses und der Pressefreiheit vereinbar. Die deutschen Behörden seien auch im Ausland an das Grundgesetz gebunden.

Konkret hat das Bundesverfassungsgericht die Paragrafen 6, 7 und 13 bis 15 des BND-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Paragraf 19, Absatz 1 sowie ein Absatz von Paragraf 24 des BND-Gesetzes sind ebenfalls verfassungswidrig, soweit sie zur Verarbeitung von im Zusammenhang mit der strategischen Fernmeldeaufklärung erhobenen Daten ermächtigen. Bis zu einer Neuregelung des Gesetzes, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2021, kann der BND auf der Basis der aktuellen Rechtslage weiterarbeiten.

Funktionsträgertheorie verfassungswidrig

In dem Verfahren ging es um die Befugnisse des BND bei der sogenannten strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland. Das neue BND-Gesetz war Anfang 2017 in Kraft getreten. Nach Auffassung der Kläger legalisiert die Bundesregierung damit eine globale Massenüberwachung. Der BND könne im Ausland praktisch schrankenlos Telefonate abhören und den Internetverkehr auswerten.

Die Richter stellten sich in dem Urteil voll auf die Seite der Kläger. So heißt es in den acht Leitsätzen des Urteils unter anderem: "Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz ist nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt." Im zweiten Leitsatz erteilte das Gericht der sogenannten Funktionsträgertheorie eine Absage: "Personen, die geltend machen, in ihren eigenen Grundrechten verletzt zu sein, sind nicht deshalb vom Grundrechtsschutz des Grundgesetzes ausgeschlossen, weil sie als Funktionsträger einer ausländischen juristischen Person handeln." Auf Basis dieser Theorie hatte der BND im NSA-Untersuchungsausschuss die Überwachung von Deutschen im Ausland legitimiert.

Hohe Anforderungen an Auslandsaufklärung

Allerdings ist die sogenannte strategische Auslandstelekommunikationsüberwachung nicht grundsätzlich mit dem Fernmeldegeheimnis unvereinbar. "Als anlasslose, im Wesentlichen nur final angeleitete und begrenzte Befugnis ist sie jedoch eine Ausnahmebefugnis, die auf die Auslandsaufklärung durch eine Behörde, welche selbst keine operativen Befugnisse hat, begrenzt bleiben muss und nur durch deren besonderes Aufgabenprofil gerechtfertigt ist", heißt es im vierten Leitsatz. Darin stellen die Richter auch hohe Anforderungen an eine verfassungskonforme Regelung der Telekommunikationsüberwachung.

Erforderlich sind demnach "insbesondere Maßgaben zur Aussonderung der Telekommunikationsdaten von Deutschen und Inländern, eine Begrenzung der zu erhebenden Daten, die Festlegung qualifizierter Überwachungszwecke, die Strukturierung der Überwachung auf der Grundlage eigens festgelegter Maßnahmen, besondere Anforderungen an gezielt personenbezogene Überwachungsmaßnahmen, Grenzen für die bevorratende Speicherung von Verkehrsdaten, Rahmenbestimmungen zur Datenauswertung, Vorkehrungen zum Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen, die Gewährleistung eines Kernbereichsschutzes und Löschungspflichten".

Auflagen für Kooperation mit anderen Diensten

Kritisch sehen die Richter zudem den Datenaustausch des BND mit anderen Geheimdiensten. "Vor der Übermittlung an ausländische Stellen ist eine Vergewisserung über den rechtsstaatlichen Umgang mit den Daten geboten; hierbei bedarf es einer auf die betroffene Person bezogenen Prüfung, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass diese durch die Datenübermittlung spezifisch gefährdet werden kann", heißt es in Leitsatz 6. Kooperationen mit anderen Diensten seien nur dann verfassungsgemäß, wenn die Regelungen sicherstellten, "dass die rechtsstaatlichen Grenzen durch den gegenseitigen Austausch nicht überspielt werden und die Verantwortung des Bundesnachrichtendienstes für die von ihm erhobenen und ausgewerteten Daten im Kern gewahrt bleibt".

Die automatisierte Nutzung von Suchbegriffen, die ein anderer Dienst zur Verfügung stelle, erfordere "eine sorgfältige Kontrolle dieser Suchbegriffe sowie der hieran anknüpfenden Trefferfälle". Auch die massenhafte Weiterleitung von Metadaten vom BND an den US-Geheimdienst NSA, wie sie durch den NSA-Skandal bekanntwurde, setzt nach Ansicht der Richter "einen qualifizierten Aufklärungsbedarf im Hinblick auf eine spezifisch konkretisierte Gefahrenlage voraus".

Kontrolle gestärkt

Gestärkt wird in dem Urteil auch die Kontrolle der Geheimdienste. Laut Leitsatz 8 erfordert dies für die Kontrollorgane "ein eigenes Budget, eine eigene Personalhoheit sowie Verfahrensautonomie". Sie seien sächlich so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen können. Ein weiter wichtiger Punkt bei der Kontrolle: " Dabei ist auch dafür Sorge zu tragen, dass die Kontrolle nicht durch die 'Third Party Rule' behindert wird." Unter Berufung auf entsprechende Vereinbarungen mit den USA und Großbritannien wurde beispielsweise im NSA-Ausschuss des Bundestages Unterlagen zur NSA oder zum GCHQ zurückgehalten.

Besonders peinlich für den Gesetzgeber: Nach Einschätzung der Richter wurde in dem Gesetz auch gegen das sogenannte Zitiergebot verstoßen. "Der Gesetzgeber hat die Grundrechte bewusst als nicht betroffen erachtet, obwohl sie auch hier anwendbar sind. Sie genügen auch zentralen materiellen Anforderungen der Grundrechte nicht", heißt es in Leitsatz 2.

Die große Koalition muss nun versuchen, das BND-Gesetz auf Basis der Vorgaben neu zu verabschieden. Allerdings dürfte es rein technisch nicht so einfach sein, "Maßgaben zur Aussonderung der Telekommunikationsdaten von Deutschen und Inländern" zu formulieren. Denn anders als bei früheren Telefonleitungen gibt es im Internet keine Backbones mit reinem Auslandstraffic. Auf diese Problematik hatte der Betreiber des Frankfurter Internetknotens DE-CIX schon in der Debatte um das nun für unzulässig erklärte Gesetz hingewiesen.

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wolf.duttlinger 19. Mai 2020

Es lebe der Rechtsstaat!

ko3nig 19. Mai 2020

Das übliche gewurstel unserer geschätzten HutBürger. Nein, Du Dumpfbacke, das hei...

wurstdings 19. Mai 2020

Also auf deutsch: Hallo Geheimdienst, was ihr da macht verstößt zutiefst gegen unser...

Eheran 19. Mai 2020

Und... UND... MUSKATNUSS! MUSKATNUSS HERR MÜLLER!



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