Nicht nur die Nerds schützen
"Es ist zu wenig, die Privatsphäre nur von denjenigen Menschen zu schützen, die sich durch Verschlüsselung selbst schützen können", sagte der frühere Europaabgeordnete. Seiner Ansicht nach wird die Verordnung ohnehin in der geplanten Form vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheitern. Denn bei der Chatkontrolle würden nicht nur die Metadaten, sondern sogar die Inhalte der Kommunikation überwacht werden.
Durchgängige Kritik äußerten die Experten zudem an der geplanten Altersverifikation von Anbietern und Appstores. "Im Klartext heißt das in Zukunft: kein E-Mail-Account mehr ohne einen Altersnachweis", sagte Reda. Menschen, die mangels Papieren ihr Alter nicht nachweisen könnten, könnten dann online nicht mehr kommunizieren.
Open-Source-Projekte gefährdet
"Besonders dramatisch" sei diese Forderung für Open-Source-Software wie den Messenger Signal. Die Projekte verfügten oft gar nicht über eine zentralisierte Stelle, um das Alter der Nutzer zu überprüfen. Das gelte beispielsweise auch für alternative Appstores wie F-Droid. Damit würden Versuche der EU konterkariert, die Marktmacht von Anbietern wie Apple oder Google einzuschränken.
Die Behauptung von CCC-Sprecherin Eickstädt, es gebe keine technische Möglichkeit, Dienste mit Altersverifikation anonym oder pseudonym zu nutzen, dürfte aber nicht ganz zutreffen. Solche Konzepte ließen sich mit Null-Wissen-Beweisen (Zero Proof Knowlegde) realisieren, wie die Sicherheitsexpertin Lilith Wittmann erläutert. Dabei würde ein Anbieter beispielsweise aus einem elektronischen Personalausweis nur abfragen, ob Nutzer volljährig sind. Doch das Problem an diesem Konzept: Gerade Kinder haben häufig noch gar keine Ausweisdokumente, geschweige denn eine eID.
Auch Kinderschutzbund gegen Chatkontrolle
Zu den wenigen positiven Aspekten, die die Sachverständigen an dem EU-Vorschlag hervorhoben, gehört nach Ansicht des Kinderschutzbundes die Tatsache, dass das Thema Kindesmissbrauch in der Öffentlichkeit diskutiert werde. Die konkreten Vorschläge lehnt der Bund jedoch ab. Die vertrauliche Kommunikation sei "eine Säule der freien Meinungsäußerung und damit der Demokratie", in der Kinder möglichst angstfrei und ohne die Sorge vor Überwachung aufwachsen sollten, sagte Vorstandsmitglied Joachim Türk und fügte hinzu: "Diese unsere Überzeugung macht es uns unmöglich, die anlasslose Chatkontrolle als Option zu akzeptieren."
Teresa Widlok vom FDP-nahen Digitalverein Load sieht in der vorgeschlagenen Risikoabschätzung durch die Dienste einen positiven Aspekt. Insgesamt gefährde der Entwurf jedoch ein mögliches Recht auf Verschlüsselung und solle komplett zurückgezogen werden.
Wie geht es weiter?
Doch was folgt dann? Die EU-Kommission warnte schon davor, dass durch das Auslaufen der Interimsverordnung den Providern verboten würde, serverseitig Kommunikationsinhalte auf Missbrauchsmaterial zu scannen. Türk schlug daher vor, zumindest diese Zwischenlösung zu verlängern und auf EU-Ebene eine zentrale Behörde einzurichten, um die Abhängigkeit von der US-amerikanischen NCMEC zu beenden.
Reda schlug vor, dass der Bundestag eine sogenannte Artikel-23-Stellungnahme (PDF) beschließt. Damit könnte Deutschland zusammen mit anderen Ländern wie die Niederlande oder Österreich versuchen, durch eine Sperrminorität den Entwurf zu stoppen. Sollte sich Deutschland zu lange mit seiner Kritik zurückhalten, könne es irgendwann für einen solchen Schritt zu spät sein.
Dass ein solcher Beschluss im Bundestag eine Mehrheit finden würde, ist nicht unwahrscheinlich. Aus den Fragen der Abgeordneten ging hervor, dass die Pläne sowohl bei Koalition als auch bei Opposition auf wenig Gegenliebe stoßen.
Nachtrag vom 4. März 2023, 11:26 Uhr
Wittmann erläuterte im Anschluss an die Bundestagsanhörung die Möglichkeiten, eine anonyme Alterskontrolle im Internet vorzunehmen. "Das Problem liegt hier zwischen Theorie und Praxis. Während es theoretisch möglich ist, ist es praktisch schwer umzusetzen und wäre vermutlich am Ende selbst auf einer technischen Ebene eher pseudonym als anonym", schrieb sie in einem Twitter-Thread.
Nach ihrer Einschätzung gibt es "keinen sinnvollen Weg, Beschränkungen im Internet so zu bauen, dass es weiterhin für Erwachsene zugänglich bleibt und Kinder bis zu ihrem 18. Lebensjahr schützt". Denn dahinter stecke ein soziales und kein technisches Problem. "Ein soziales Problem, das wir in den letzten 20 Jahren erfolglos mit Technik beworfen haben, um uns nicht die Gedanken darüber machen zu müssen, wie wir es im Sozialen lösen", schrieb Wittmann.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
- ohne Werbung
- mit ausgeschaltetem Javascript
- mit RSS-Volltext-Feed
Bundestagsanhörung: Experten zerpflücken Chatkontrolle in fast allen Aspekten |
- 1
- 2
also sollten wir nerds einfach Server außerhalb der EU Mieten und damit diese Verordnung...
EU-Ausländer = Ein Nicht-EU-Bürger = "Drittstaatler" Oh dann solltest du schnell die...
Es ist relativ einfach einen eigenen Chatserver oder Forum im TOR Netz aufzusetzen und da...
This exactly, oder wie ich mittlerweile zu sagen pflege, das Land is so fertig...
Kommentieren