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Brain Drain: Trumps Angriff auf die Forschung und Deutschlands Antwort

Gestrichene Gelder, gestoppte Forschungen, Ausweisungen: Die USA gefährden gerade die Wissenschaftsfreiheit . Kann die deutsche Forschungswelt profitieren?
/ Mario Petzold
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Eine Demonstration für Wissenschaft und Forschungsförderung in Washington, D.C. (Bild: Allison Bailey via Reuters Connect)
Eine Demonstration für Wissenschaft und Forschungsförderung in Washington, D.C. Bild: Allison Bailey via Reuters Connect

Mit der Harvard University hat es eine, wenn nicht gar die renommierteste Universität der Welt getroffen: Mehrjährige Fördergelder(öffnet im neuen Fenster) in Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar werden zurückgehalten, weil Vorgaben der US-Regierung zur Meldung ausländischer Studenten oder zur Abschaffung von Diversitätsregelungen nicht eingehalten werden.

Auch die Columbia University in New York muss ihr Budget um 400 Millionen US-Dollar Fördergelder reduzieren, etwa 6 Prozent ihres gesamten Haushalts. Und an der Yale University in New Haven im US-Bundesstaat Connecticut verließen drei prominente Geisteswissenschaftler laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung(öffnet im neuen Fenster) (Paywall) das Land in Richtung Kanada. Die Geschichte sei zwar überinterpretiert, sagt einer von ihnen, der Historiker und Professor Timothy Snyder, nennt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung(öffnet im neuen Fenster) (Paywall) aber viele nachvollziehbare Gründe, die USA zu verlassen.

Die Verunsicherung steigt. Nicht nur im liberaleren Nordosten der USA und nicht nur in den Geisteswissenschaften werden Gelder gestrichen. Forschungen zu Themen wie Klimawandel oder erneuerbare Energien sollen nicht mehr gefördert werden. Stellen, die aufgrund von Diversitätsrichtlinien besetzt wurden, müssen teils neu ausgeschrieben werden.

Hinzu kommen Berichte über Inhaftierungen(öffnet im neuen Fenster) und Ausweisungen ausländischer Studentinnen und Doktoranden. Es gibt also für Wissenschaftler einige Gründe, die USA zu verlassen. Laut einer Umfrage von Nature denken 75 Prozent der befragten Wissenschaftler zumindest darüber nach.

Chance für Europa

Es wirkt wie eine gute Gelegenheit, Spezialisten, zukünftige Spitzenforscherinnen und Koryphäen in ihrem Fachgebiet nach Deutschland und Europa zu locken. Reagiert wurde zunächst mit einer gemeinsamen Erklärung(öffnet im neuen Fenster) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der großen deutschen Forschungsgesellschaften.

Aussagekräftig ist diese nicht. Die unbedingte Wissenschaftsfreiheit, die internationale Mobilität und Zusammenarbeit von Universitäten und Forschungseinrichtungen werden betont. Außerdem die globalen Herausforderungen vom Klimawandel über das Artensterben bis zu medizinischen Problemstellungen, die nur gemeinsam gelöst werden könnten.

Zögerliches Vorgehen

Man ist also eher vorsichtig, Wissenschaftlern aus den USA offensiv anzubieten, nach Deutschland zu kommen. Schließlich bestehen viele Kooperationen nach wie vor, und Geld von US-Universitäten fließt weiterhin in deutsche Forschungseinrichtungen. Auch Stipendien werden nach wie vor vergeben, wenn auch zu sich ändernden Regeln.

So müssen teils Vergaben von Forschungsstellen neu geprüft werden, wenn Diversitätsregelungen im Spiel waren. Auch Forschungsgebiete wie erneuerbare Energien, Klimawandel und weitere Umweltthemen sollen in den USA von staatlicher Finanzierung abgeschnitten werden. Viele andere Projekte hingegen sind nicht betroffen.

Die von Golem.de angefragten Universitäten äußern sich zurückhaltend. Die TU München erklärte, internationale Spitzenkräfte hätten schon früher nach Bayern geholt werden können. Man sei aber nicht daran interessiert, jetzt möglichst viele Forscherinnen und Wissenschaftler anzuwerben. Insgesamt gehe es um gerade einmal 16 zu vergebende Stellen pro Jahr, wobei die Anzahl der Bewerbungen aus den USA auf diese Stellen deutlich angestiegen sei.

Die RWTH Aachen nennt Möglichkeiten wie den Junior Principal Investigator(öffnet im neuen Fenster) . Darüber würden international Forschungsstellen vergeben. Zudem biete das Land Nordrhein-Westfalen ein Rückkehrerprogramm an, mit dem jährlich drei bis vier Rekrutierungen verzeichnet würden. Solche Programme, die Absolventen deutscher Universitäten mit attraktiven Forschungsprojekten und sicherer Finanzierung aus dem Ausland zurückholen sollen, könnten ausgebaut werden.

Viele Instrumente vorhanden

Insgesamt ließe sich die Aufzählung von Projekten und Initiativen zur Anwerbung ausländischer Forschungskräfte für die meisten Universitäten und Forschungseinrichtungen beliebig fortsetzen, so dass einige hundert Stellen geschaffen und besetzt werden könnten. Auch die EU selbst verfügt längst über ein Programm, um international als Forschungsstandort bestehen zu können.

Schon 2012 wurde der Zugang zum gesamten innereuropäischen Arbeitsmarkt erleichtert. So benötigt man neben dem Nachweis der akademischen Ausbildung nur noch ein konkretes Arbeitsplatzangebot mit entsprechendem Gehalt. Das muss allerdings vergleichsweise hoch ausfallen. Ärzte und MINT-Absolventen sind von der Gehaltsuntergrenze ausgenommen. Bei ihnen genügt es, genauso viel wie die weitere Belegschaft mit gleicher Qualifikation zu verdienen.

Dafür wird eine sogenannte Blaue Karte EU(öffnet im neuen Fenster) ausgestellt, auf die es bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch gibt. Sie kann also nicht verweigert werden. Für die USA, Australien, Japan und weitere Länder muss dafür noch nicht einmal ein Visum erteilt werden, weil die Einreise von dort visumfrei ist.

Das Anwerben und Einstellen hochqualifizierter Kräfte aus aller Welt gestaltet sich im Grunde nicht schwer - wobei nicht vergessen werden darf, dass in Deutschland die Sprachbarriere ziemlich hoch ist. Das gilt noch mehr, wenn man sich trotz Rechtsanspruch schlussendlich mit einer Behörde auseinandersetzen muss.

Europas Nachsehen

Dass die Wissenschaftsfreiheit in der EU gänzlich unangetastet ist, lässt sich zudem nicht ohne Weiteres behaupten. Anfeindungen gibt es auch hierzulande, wenn es etwa um Aussagen geht, dass sich die Erde unnatürlich schnell erwärme, Konsum nicht immer etwas Gutes sei, Fleischverzehr auch negative gesundheitliche Folgen haben könne und Atomkraft vielleicht doch sinnvoll sei.

Geisteswissenschaften sind, noch mehr als Naturwissenschaften, verschiedenen politischen Strömungen hierzulande verdächtig. Und dass man mit sichtbar fernem kulturellen Hintergrund unter Kollegen immer nur offen empfangen(öffnet im neuen Fenster) wird, entspricht ebenfalls nicht der Realität.

Geld entscheidet

Hinzu kommt, dass Geld für Forschung und damit auch für neue Stellen, Labore und Instrumente vor allem in den USA vorhanden ist. Schaut man sich die jährlichen Budgets deutscher, europäischer und US-amerikanischer Universitäten an, liegen Welten dazwischen. Wo Harvard mit sechs Milliarden US-Dollar planen kann, muss die TU München, eine der besten Adressen in Europa, mit einem Viertel davon haushalten.

Da diese Unterschiede bereits seit Jahrzehnten bestehen und tendenziell größer als kleiner werden, gibt es einen finanziellen Anreiz, in den USA zu bleiben oder dorthin zu gehen. Neben dem Gehalt liegt das an den Möglichkeiten, die eine teurere Ausstattung mit sich bringt.

Aber auch an anderer Stelle könnte Geld eine entscheidende Rolle spielen. Nicht die europäischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, sondern US-Unternehmen könnten die finanziellen Lücken schließen, die der Stopp von Fördergeldern aufreißt.

Forschungsgruppen, die sich mit der Ethik von KI, der Zukunft des Quantencomputers oder der Energiegewinnung der Zukunft befassen, wären in manchem Großkonzern, der die aktuelle politische Entwicklung in den USA unterstützt, gut aufgehoben. Dass eine große Anzahl Wissenschaftler und Forscherinnen nach Deutschland und Europa kommen, erscheint auch deshalb wenig wahrscheinlich.

Anders als Universitäten, die Forschungsergebnisse teilen und sich auf Konferenzen austauschen, sind Unternehmen aber an Offenheit nicht interessiert. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört jedoch, dass neben der freien Forschung der freie Austausch geschützt werden muss.

So ähnlich sieht das auch der Präsident der TU München, Thomas F. Hofmann. Er sagt: "Langfristig wird die Beschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre die USA gesellschaftlich und auch wirtschaftlich zurückwerfen." Man denke an den Sputnikschock(öffnet im neuen Fenster) - aber vielleicht ist der in den USA und andernorts wieder in Vergessenheit geraten.

Es bleibt nur der Gegenentwurf

Es gibt also Gründe für das eher zögerliche Verhalten der deutschen und europäischen Einrichtungen. Die freie Forschung, die in den USA bedroht ist, kann man schlecht schützen, wenn nur das Personal von bisherigen Partnern abgeworben wird.

Und was, wenn es in zwei oder vier Jahren oder angesichts der sprunghaften Regierung in Washington schon in sechs Monaten wieder anders aussieht? Dann wären ein gutes Stück Vertrauen verlorengegangen und der globale Austausch gestört.

Die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen, ist anstrengend und erfordert die Bereitschaft, mühsam erworbenes Wissen zu teilen. Unbestritten dürfte aber sein, dass der Austausch und freie Zugang zu Ideen vor allem in den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte in so gut wie jedem Lebensbereich mit sich brachten.

Unbestritten dürfte ebenfalls sein, dass dafür Geld nötig ist, und zwar nicht nur für eine Spitzenwissenschaftlerin, sondern für Dozenten, gut ausgestattete Seminarräume, offene Bibliotheken und den freien Zugang zu Bildung. Auch da sind die USA längst kein gutes Beispiel mehr.


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