Selbst die Telekom ist skeptisch

Branchenexperten werfen auch die Frage nach dem Energieverbrauch von Open-RAN-Systemen bei den sehr anspruchsvollen 5G-Mobilfunkanwendungen auf. Sie bezweifeln, ob die einfache Standard-Hardware, auf die Open RAN setzt, am Ende die gleiche Energieeffizienz haben wird wie die Spezial-Hardware des traditionellen RAN, die mit Milliardeninvestitionen optimiert wurde. Schon ein kleiner Prozentsatz mehr Energieeffizienz wirkt sich bei vielen Tausend Basisstationen, die über viele Jahre betrieben werden, deutlich auf die Gesamtkostenbilanz und natürlich auch auf die Umwelt aus.

Durch die Integration unterschiedlicher Hersteller stellt sich bei Open RAN im Störungsfall die Frage, ob sofort geklärt werden kann, welcher Baustein wessen Herstellers die Störung verursacht. Und kein Nutzer oder Betreiber will längere Ausfälle des Netzes.

Bei allem - etwas erzwungen wirkendem - Enthusiasmus, den die Telekom zuletzt zu Open RAN an den Tag legt, gibt es auch skeptische Stimmen im Konzern. In Bezug auf die Kostenfrage von Open RAN sagte Neville Ray, der Technologiechef von T-Mobile US, neulich auf einer Industriekonferenz, Open RAN sei noch nicht reif für den Prime-Time-Gebrauch: "Ich werde nicht losziehen und einigen Einsparungen hinterherjagen, von denen ich nicht sicher bin, dass sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt existieren."

Die Frage, ob Open RAN tatsächlich einen signifikanten oder überhaupt einen Kostenvorteil gegenüber traditionellem RAN bietet, wird erst die Praxis zeigen.

Verringert Open RAN die Abhängigkeit von einzelnen Ausrüstern?

Offene Schnittstellen und entsprechend sehr viel mehr unterschiedliche Hardware- und Software-Hersteller sind der Hauptzweck des Open-RAN-Ansatzes. Doch sehr viel hängt von der konkreten Implementierung ab: Bei allen Vorteilen, die eine größere Flexibilität auf der Ebene einzelner Komponenten und Funktionalitäten bietet, stellt sich die Frage nach der Verantwortung für die Gesamtarchitektur des Systems. Oder wie IDC-Analyst Patrick Filkins formulierte: "Der 'Elefant im Raum' in Bezug auf Open RAN ist natürlich die Integration."

Deswegen positionieren sich zunehmend Systemintegratoren für Open RAN, die den Netzbetreibern die Bastelarbeit abnehmen und funktionstüchtige Ende-zu-Ende-Systeme versprechen. In Deutschland setzt zum Beispiel Telefónica bei seinen Open-RAN-Feldversuchen auf NEC aus Japan als Integrator. Und die Frage, die man sich auch in der Branche stellt, lautet, ob Integratoren sich am Ende nicht ebenso schwierig auswechseln lassen wie die Ausrüster beim traditionellen RAN.

Simon Fisher, Prinicpal Architect Access Network bei British Telecom, sieht jedenfalls die Gefahr, dass der eine übermächtige Ausrüster nur den anderen ersetzt, wenn der mächtige Systemintegrator den Komplettausrüster usurpiert.

Damit könnte ein ähnlicher Lock-in-Effekt wie derzeit bei Nokia, Ericsson oder Huawei entstehen. Denn wenn bestimmte Systeme einmal integriert wurden, wird kaum ein neuer Integrator die Verantwortung für ein bestehendes System übernehmen wollen und können. Alternativ könnten Netzbetreiber ihre Systeme selbst integrieren. Das wird aber den Aufbau erheblicher zusätzlicher Kompetenzen verlangen, was die Kosten noch einmal anders steigert als outgesourcete Dienstleistungen. Am Ende könnte die Formel stehen: Je weniger Lock-in es bei Open RAN durch externe Integratoren geben soll, desto höher sind Inhouse-Kosten und Risiken, die der Betreiber selbst tragen muss. Damit gilt ausnahmsweise der alte konservative Spruch, dass es nicht mehr Freiheit ohne mehr Verantwortung gibt - die auch noch ein Preisschild trägt.

Ist Open RAN sicherer als traditionelles RAN?

Im September vergangenen Jahres hat Jason S. Bowell, Head of Security Network Product Solutions bei Ericsson, in einem Blogeintrag davor gewarnt, dass Open RAN im Bereich der Sicherheit gegenüber traditionellem RAN zusätzliche Herausforderungen bringe. "Die Einführung neuer und zusätzlicher Berührungspunkte in der O-RAN-Architektur, zusammen mit der Entkopplung von Hardware und Software, hat das Potenzial, die Bedrohungs- und Angriffsfläche des Netzwerks auf zahlreiche Arten zu erweitern."

Open RAN führe eine ganze Reihe zusätzlicher Interfaces ein, Ericsson benennt fünf, wobei jedes neue Interface einen neuen potenziellen Angriffspunkt biete. Zudem sei die Vertrauenskette (Trust chain) zwischen Anwendungen und zugrundeliegender Hardware bei Virtualisierungs- und Cloud-Umgebungen ein Problem. Bowell verweist konkret auf Schwachstellen wie Meltdown und Spectre, die zeigten, dass es bei der gemeinsamen Nutzung von Hardwareressourcen erhöhte Sicherheitsrisiken geben könne. Ericsson erklärt, dass sich die Open RAN-Initiativen dieser Risiken bewusst seien und Arbeitsgruppen dabei seien, diese zu adressieren.

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 Wer gewinnt, wer verliert durch Open RAN?Fazit: Nutzen, Potenzial und Risiken von Open RAN 
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/mecki78 30. Jan 2021

Der Begriff Open RAN beschreibt aber keine Umsetzung, sondern eine Ideologie. Alles ist...

FlashBFE 28. Jan 2021

Danke +1 (Können wir nicht endlich mal Daumen-Hoch- / Daumen-Runter-Buttons am Ende von...

Kleba 26. Jan 2021

So liest er sich auch - aber auch von mir ein "Danke" dafür :-) Den werde ich mit...

etcshadow 26. Jan 2021

naja, die 3GPP hat alle wesentlichen Schnittstellen definiert (mit ein paar Ausnahmen, z...



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