Zum Hauptinhalt Zur Navigation

Besuch am Iter: "Riesendrama" bremst Kernfusion

4.500 Menschen arbeiten auf der Iter -Baustelle, damit der Fusionsreaktor dereinst saubere Energie liefert. Dass kaputte Teile alles weiter verzögern, sei "ein Riesendrama" heißt es vor Ort - wir haben es uns angesehen.
/ Christian J. Meier
168 Kommentare News folgen (öffnet im neuen Fenster)
Blick über die Montagehalle von Iter (Bild: Iter)
Blick über die Montagehalle von Iter Bild: Iter

Overalls wirken wie Zwerge. Über ihren gelben Helmen ragen zwei massive Gestelle in die Höhe eines fünfstöckigen Hauses auf, an ihnen hängen riesige, organisch geformte Stahlringe und in pinkfarbene Folien gehüllte Magnetspulen. Fast wirkt es wie die Filmkulisse, in der Aliens ein Raumschiff bauen.

Hier im Süden Frankreichs nahe Aix-en-Provence entsteht auf einer Fläche von 60 Fußballfeldern der mit Abstand größte Forschungsreaktor für Kernfusion, genannt Iter(öffnet im neuen Fenster) . Er soll einmal die Kerne von Wasserstoffatomen miteinander verschmelzen, wie im Innern der Sonne.

Mit der Kernfusion stünde eine unerschöpfliche Energiequelle bereit, die kaum Probleme macht: kein CO 2 und keine langlebigen radioaktiven Abfälle. Aus einem Gramm Brennstoff ließen sich 90.000 Kilowattstunden Wärmeenergie gewinnen, so viel, wie beim Verbrennen von elf Tonnen Kohle frei wird.

Unerwarteter Reparaturbedarf bremst Iter

Wann Iter zum ersten Mal Wasserstoffkerne fusionieren wird, ist unklar. Das Zieljahr 2025 hat die Iter-Führung im letzten Jahr aufgegeben, ein neues steht noch nicht fest. Einer der Gründe ist ein "Riesendrama" , wie es Sabina Griffith nennt, Communication Officer von Iter.

Das Projekt Iter - Iter Organisation
Das Projekt Iter - Iter Organisation (05:47)

An einem der Montagegestelle ragt ein Gerüst empor, auf dem mehrere Arbeiter herumklettern. Es sind hochprofessionelle Schweißer, die die Stahlringe ausbessern.

Die Reparaturen sind nötig, weil beim Zusammenschweißen der jeweils 440 Tonnen schweren Segmente aus Einzelteilen winzige Deformationen entstanden sind. Nun sind die Ränder der Segmente nicht präzise genug, um den Anforderungen der französischen Behörde für nukleare Sicherheit (Autorité de sureté nucléaire, kurz ASN) zu genügen.

Sie müssen durch Entfernen und Hinzufügen von Stahl so geglättet werden, dass sie präzise genug aneinanderpassen. Betroffen davon sind mindestens vier von neun Bauelementen dieser Art.

"Wir versuchen, die Segmente möglichst parallel zu reparieren," sagt Griffith und deutet auf eines der Gestelle aus meterdicken Stahlträgern. Es ist ein Kippwerkzeug für die Segmente, das jetzt zur Reparatur eines der Segmente dienen soll.

Lernen zu improvisieren

Dieses Segment ist stärker beschädigt als die anderen und muss deshalb im Liegen geschweißt werden. Die Techniker bei Iter müssen lernen, zu improvisieren.

Die reparaturbedürftigen Teile gehören zum Herzstück des Reaktors: das ringförmige Vakuumgefäß, in dem der Wasserstoff auf über 100 Millionen Grad erhitzt wird. Dabei verlieren die Wasserstoffatome ihre Elektronen. In dem Gemisch aus Elektronen und nackten Atomkernen, dem sogenannten Plasma, können Atomkerne zu Helium verschmelzen. Weil die Protonen und Neutronen des Heliums stärker gebunden sind als die des Wasserstoffs, wird bei dieser Reaktion Energie frei.

Wird Iter von Start-ups überholt?

Draußen auf dem Gelände steht ein zehnachsiger Anhänger, der eine riesige Stahlhülle trägt. Sie soll die tiefkalten supraleitenden Magnetspulen von der Hitze in der Vakuumkammer abschirmen. Aber beim Nähertreten erkennt man, dass ein Teil der dafür nötigen Kühlrohre entfernt wurde, wegen Korrosion . Bei Iter kämpft man derzeit mit unerwarteten Schäden , deren Reparatur Griffith auf zwei Jahre schätzt.

Die Instandsetzungen verzögern ein Projekt, dessen Betrieb nach den Plänen bei Baubeginn 2007 bereits neun Jahre später, also 2016, starten sollte. Doch dieses Datum wurde mehrmals verschoben, zwischenzeitlich auf 2024. Derzeit erarbeitet die Iter-Führung einen neuen Zeit- und Kostenplan, den sie im Juni dem Iter-Rat und den Mitgliedsländern präsentieren will.

Kernfusions-Start-ups preschen vor

Während die Verwirklichung von Iter immer mehr ins Stocken zu kommen scheint, erlebt die Kernfusionsforschung einen riesigen Hype , der sich in der Gründung von vielen privaten Start-ups widerspiegelt, über 40 gibt es davon inzwischen. Sie wollen mit Milliarden an privatem Risikokapital die Verwirklichung der Kernfusion vorantreibenn (g+) .

Fusionsreaktor ITER mit Drohne abgeflogen (ITER Organization)
Fusionsreaktor ITER mit Drohne abgeflogen (ITER Organization) (03:21)

Dabei verfolgen sie verschiedene Ansätze, neben dem von Iter genutzten Reaktortyp Tokamak auch den Stellarator und die sogenannte Laserfusion. Das US-Unternehmen Commonwealth Fusion etwa will bis 2035 ein funktionierendes Kraftwerk bauen. Iter hingegen ist für Stromproduktion gar nicht konzipiert, sondern erst ein Nachfolgeprojekt namens Demo(öffnet im neuen Fenster) , das nicht vor 2050 in Betrieb gehen soll. Eine Schätzung, die schon vor den aktuellem Reparaturbedarf galt.

Wird das Riesenprojekt Iter mit seiner extrem großen Komplexität von schlankeren, flexibleren Unternehmen, die rasch auf technische Fortschritte reagieren können, überholt und womöglich sogar überflüssig? Ist es schlicht überdimensioniert? Oder hat das bislang einzigartige Vorhaben bestimmte Vorteile, die seine Erfolgschancen gegenüber der Konkurrenz erhöhen?

Gigantische Baustelle

Was beim Besuch der Baustelle, auf der 4.500 Menschen arbeiten, sofort ins Auge fällt, ist die schiere Größe des Forschungsprojektes. Um die dunkelgraue, mit silbernen Streifen optisch aufgelockerte, Montagehalle dehnt sich ein Areal mit großteils noch unfertigen Anlagen, die den späteren Reaktor versorgen sollen. Dazu gehören ein Kontrollgebäude, in dem einmal 80 Operatoren die Anlage steuern sollen, das drittgrößte Umspannwerk Frankreichs und die weltweit größte Anlage zur Verflüssigung von Helium, das zur Kühlung der riesigen Magneten dient.

Neben der Montagehalle ruht eine in weiße Folie gehüllte Kuppel mit 30 Metern Durchmesser. Die stählerne Kappe eines sogenannten Kryostaten. Das ist ein Gefäß, das extrem tiefe Temperaturen für längere Zeit halten kann. Iter soll den größten Kryostaten der Welt bekommen, der den ganzen Reaktor umhüllen wird.

Die zwei unteren Teile des Kryostaten sind schon in der Grube. So nennen sie bei Iter das Herz der Anlage, das den eigentlichen Reaktor enthält. Dessen Kern ist das ringförmige Vakuumgefäß, das einmal das Plasma einsperren soll. Mit seinen 19 Meter Außendurchmesser ist es mehr als doppelt so groß wie das des bislang größten Forschungsreaktors, des Joint European Torus in England, der nach 40 Dienstjahren nun abgebaut wird .

Großforschung mit offenem Ausgang

"Wegen der Dimension des Projektes ist internationale Kooperation wichtig" , sagt Iter-Generaldirektor Pietro Barabaschi. Insgesamt 34 Länder sind an dem Projekt beteiligt, neben der EU sind das Großbritannien, die Schweiz, die USA, Russland, Indien, Japan und Südkorea. Jedes Land fertigt einzelne Komponenten, zum Beispiel Spulen aus supraleitenden Magneten oder Segmente für das Vakuumgefäß, und liefert sie nach Südfrankreich.

Die Frage, ob es nicht eine Nummer kleiner geht, drängt sich auf. Julien Hillairet reagiert mit einem alltäglichen Vergleich: "Stellen Sie sich zwei Häuser vor, ein großes und ein kleines. Was passiert, wenn die Heizung ausfällt?" Der Physiker von der französischen Energieforschungsorganisation CEA, die neben der Iter-Baustelle den viel kleineren Forschungsreaktor WEST betreibt, wartet nicht auf die Antwort: "Das kleine Haus wird schneller auskühlen als das große." Das liegt daran, dass das kleine Haus im Verhältnis zum geheizten Raumvolumen eine größere Oberfläche hat, durch die Wärme entschwindet.

Der Vergleich ist stark vereinfacht, aber im Kern gilt er auch für Fusionsreaktoren. Auch sie halten die Hitze länger im Plasma, je mehr Volumen sie haben. Eine hohe Temperatur lange zu halten, ist wesentlich. Fusionsreaktoren müssen das Plasma bis zu einem Punkt erhitzen, an dem die Fusion zündet. Ab dann sollen die bei der Fusion entstehenden Helium-Atomkerne das Plasma weitgehend heizen. Um diesen Punkt zu erreichen, muss das Plasma auch möglichst lange durch das Magnetfeld zusammengehalten werden. Es bildet dann einen schwebenden Ring, der die Wände nicht berührt.

Dazu braucht es möglichst starke Magnete. Einer von Iters Magneten sei "der stärkste, der je gebaut wurde" , sagt Griffith. Er könne einen Flugzeugträger aus dem Wasser heben, veranschaulicht die Iter-Sprecherin. Große und starke Magneten sollen Iter besonders leistungsstark machen. Das Ziel ist, dass Iter einmal 500 Megawatt Energie erzeugt, zehnmal so viel wie zur Heizung des Plasmas erforderlich sein soll. Mit weniger Effizienz würde wohl kein Kraftwerk gebaut werden.

Wozu Kernfusion - Iter
Wozu Kernfusion - Iter (01:25)

Iter will also weit in technisches Neuland vorstoßen, "Innovation im großen Stil" , nennt es Barabaschi. Auch wissenschaftlich soll das Grenzen verschieben. Es gibt unzählige offene Forschungsfragen. Einige Beispiele: Können die Magneten ein Plasma in dieser Größe bändigen? Mit welchen Materialien muss die Innenwand des Vakuumgefäßes ausgekleidet werden, um das Bombardement mit hochenergetischen Neutronen auszuhalten? Wie wird die enorme Hitze abgeführt?

Möglichkeit des Scheiterns gehört zum Konzept

Eine entscheidende wissenschaftliche Frage betrifft auch den Brennstoff künftiger Fusionsreaktoren. Um genügend Energie zu gewinnen, reicht es nicht, einfache Wasserstoffkerne, also Protonen, zu fusionieren. Vielmehr sollen deren schwerere Varianten Deuterium (ein Proton und ein Neutron) und Tritium (ein Proton und zwei Neutronen) verschmolzen werden.

Doch Tritium ist knapp und wegen seiner Radioaktivität schwer zu handhaben. Also soll es im Reaktor selbst erbrütet werden. Dazu sollen Wandelemente mit Lithium versehen werden. Wenn das Element Neutronen aus der Fusionsreaktion einfängt, zerfällt es in Helium und Tritium. Theoretisch kann so ein geschlossener Tritium-Kreislauf entstehen. Offen ist, ob dies auch praktisch im Iter-Maßstab gelingt.

Die Möglichkeit des Scheiterns gehört bei Iter zum Konzept. Barabaschi betont, dass es vor allem um die Wissensproduktion gehe. "Wir arbeiten zusammen, um ein öffentliches Gut zu schaffen" , sagt er. Die Forscher bei Iter wollen ihre Erfahrungen mit den privaten Fusionsunternehmen teilen. Ende Mai veranstalten sie einen privat-öffentlichen Fusions-Workshop(öffnet im neuen Fenster) im Iter-Hauptquartier neben der Baustelle.

Frust ist am Iter - trotz allem - nicht zu spüren

Vor Ort ist kaum Frust über die Reparaturen und die damit verbundenen Verzögerungen zu spüren, Barabaschi nennt sie einen "hick-up" , auf Deutsch "Schluckauf" . Überhaupt wirkt der Iter-Chef gelassen, wie jemand, der bei einem abenteuerlichen Projekt Hürden begegnet, die er nicht viel anders erwartet hat.

Das Iter-Personal, dem man begegnet, wirkt begeistert davon, an etwas Großem teilzuhaben, das die Energieversorgung der Welt grundlegend verändern kann. Unvorhergesehene Probleme betrachtet man als normal beim Betreten von Neuland und lässt sich davon nicht ausbremsen, wie Iter-Kommunikationschef Laban Coblentz anhand einer Anekdote illustriert.

Das erste von Korea gelieferte Segment des Vakuumgefäßes wurde 2022 in die Grube gehievt. "Man macht so etwas nicht an einem Nachmittag" , sagt Coblentz. Beim Heben müsse man äußerst vorsichtig sein. "Das wird monatelang geplant. Es geht darum, die richtigen Werkzeuge zu finden und so weiter." Erst als das Teil in der Grube war, entdeckte man den Reparaturbedarf. "Wir mussten es für die Reparatur wieder herausholen. Doch die Werkzeuge waren nicht für den Rückwärtstransport designt. Wir mussten sie neu konfigurieren."

Iter verliert an Bedeutung für die Fusionsbranche

Auch bei den fünf noch nicht gelieferten Segmenten erwartet Coblentz Reparaturbedarf. "Wir diskutieren noch, wo diese Arbeiten am besten gemacht werden können, hier oder beim Lieferanten." Im Februar 2025 könne jedoch mit dem Einbau des Vakuumgefäßes begonnen werden.

Iter - Einsetzen der Bodenplatte des Kryostat
Iter - Einsetzen der Bodenplatte des Kryostat (03:08)

Für die Verzögerungen macht Coblentz die aus seiner Sicht zu strengen Vorgaben der ASN mitverantwortlich. Die Vorschriften seien für Druckgefäße von Atomkraftwerken entworfen worden. Bei diesen bestehe die Gefahr einer Explosion, erklärt der Iter-Sprecher. Bei Iter gehe es aber um ein Vakuumgefäß, das wegen des Unterdrucks zwar implodieren könne, was jedoch keine großflächigen Auswirkungen hätte, wie Coblentz sagt. Außerdem enthalte der Reaktor im Betrieb nur wenige Gramm radioaktives Tritium.

Anderswo geht man andere Wege. Weil Fusionsreaktoren weniger Gefahren bergen als Kernspaltungskraftwerke - sie nutzen kein spaltbares Material und erlauben keine unkontrollierte Kettenreaktion -, unterstellt Großbritannien sie nicht der Genehmigungspflicht für kerntechnische Anlagen. Sie sollen gesondert reguliert werden. So will das Land die heimische Fusionsindustrie stärken.

In West Burton, nahe Nottingham, soll bis 2040 ein Prototyp für ein Kernfusionskraftwerk entstehen. An dem Projekt namens Step(öffnet im neuen Fenster) (Spherical Tokamak for Energy Production) sind auch private Unternehmen beteiligt. Es soll 100 Megawatt elektrischer Energie erzeugen, so viel wie ein kleines Kohlekraftwerk.

"Wir sollten mit einem ersten Kraftwerk nicht so lange warten"

Mit Step will Großbritannien zehn Jahre vor Iters Folgeprojekt Demo ein eigenes Demonstrationskraftwerk verwirklichen. Offenbar will die britische Regierung nicht auf Iter warten: Großbritannien wolle "neue Wege" finden, um mit Iter zu kollaborieren, heißt es in einem Strategiepapier des britischen Ministeriums für Energiesicherheit und Netto-Null.

Auch der Chef von Eurofusion, dem Betreiberkonsortium von Iter, hat sich jüngst in diese Richtung geäußert: "Wir sollten mit einem ersten Fusionskraftwerk nicht so lange warten müssen, bis das nötige Wissen durch Iter zur Verfügung steht" , sagte Tony Donné laut einem Bericht in Spektrum der Wissenschaft(öffnet im neuen Fenster) bei einer Konferenz in Berlin.

China, ein weiterer Partner von Iter, will mit einem eigenen Projekt einen Gang hochschalten. Es plant einen Forschungsreaktor, der sogar etwas größer werden soll. Der Chinese Fusion Engineering Testing Reactor(öffnet im neuen Fenster) , kurz CFETR, soll die "Lücke zwischen Iter und einem künftigen Demokraftwerk schließen" , schreiben chinesische Physiker in einem Forschungsartikel(öffnet im neuen Fenster) . CFETR soll in den 2030ern fertig werden. Im Jahrzehnt darauf soll er den gleichen Energieüberschuss erzielen wie er für Iter geplant ist. Das erste chinesische Demokraftwerk soll dann "um 2060" gebaut werden.

Uneinigkeit über den weiteren Weg in der Fusionsforschung

Die Gründe, warum es bei Iter zu langsam vorangeht, sehen manche weniger in technischen Hürden, sondern darin, wie das Unternehmen organisiert ist. Die einzelnen Staaten beteiligen sich durch Sachlieferungen an dem Projekt: Sie stellen Teile wie Magneten oder Hitzeschilde zu Hause her und liefern sie zur Baustelle.

Das sieht Frank Laukien kritisch, Mitbegründer des Start-ups Gauss Fusion(öffnet im neuen Fenster) in München. Die vielen Staaten "tun sich schwer damit, wirklich effizient zusammenzuarbeiten und zum Beispiel Bauteile gut aufeinander abzustimmen" , sagte Laukien in einem Interview mit Riffreporter(öffnet im neuen Fenster) .

Iter-Chef Barabaschi verteidigt die Strategie der Sachlieferungen: Sie helfe, Arbeit aufzuteilen und biete "Backups" , da das Wissen zur Herstellung an mehreren Orten vorhanden sei. Aber er räumt ein, dass sie zu kompliziert umgesetzt worden sei. Ein Beispiel für die Komplexität ist, dass nicht das ganze Vakuumgefäß in einem Land hergestellt wird, sondern Südkorea und Europa sich die Produktion der Segmente davon aufteilen.

Andererseits gibt es Step und CFETR bislang nur auf dem Papier, genauso wie die Anlagen der privaten Start-ups. Deren Boom würde es ohne Iter kaum geben, sagt Laban Coblentz. "Iter hat gezeigt, dass es möglich ist, technische Komponenten von der Größe und Präzision herzustellen, die die Kernfusion so schwierig machen" , erklärt er.

Stellarator Wendelstein 7-X - Bericht
Stellarator Wendelstein 7-X - Bericht (03:16)

Das habe zum Vertrauen der Start-up-Investoren in die Machbarkeit der Fusion beigetragen, meint Coblentz. Es gebe Einigkeit über die verbleibenden Herausforderungen. "Große Uneinigkeit herrscht darüber, wie lange es dauern wird oder was der beste Ansatz ist" , sagt der Iter-Sprecher. Wann man beginnen kann, ein Demokraftwerk zu planen und zu bauen, hänge von der Risikobereitschaft ab, meint Coblentz.

Mit neuen Technologien schneller zum Ziel?

Es geht aber auch um grundlegende Weichenstellungen, um das Abzweigen von Iters Weg. Denn während Iter langsam entsteht, könnten sich durch technische Innovationen neue, kostengünstigere Möglichkeiten auftun, ein Fusionskraftwerk zu bauen. So geht etwa Commonwealth Fusion davon aus, dass auch ein kleines Fusionskraftwerk effizient sein kann, wenn es mit neuartigen, besonders starken Magneten ausgestattet wird.

Im Herbst 2021 knallten in einem Labor am Massachussetts Institute of Technology in Boston die Champagnerkorken: Ein neuer Magnet aus einem neuen supraleitenden Material namens Rebco erreichte die Weltrekord-Magnetfeldstärke von 20 Tesla. Ein stärkeres Magnetfeld erlaubt es, den Plasmabehälter kleiner zu bauen. Commonwealth Fusion will damit einen Reaktor namens Sparc bauen , der zwar nur ein Fünftel so viel Leistung erzeugen soll wie Iter, dafür aber 40-mal weniger Volumen haben soll. Schon in den frühen 2030ern will das Start-up aus Devens bei Boston ein erstes Fusionskraftwerk in Betrieb nehmen. Wenn das klappt, könnte die Kernfusion dazu beitragen, bis zur Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen.

Allerdings ist auch Sparc Forschung mit offenem Ausgang. Wo die optimale Kombination aus Größe und Magnetfeldstärke liegt, muss sich zeigen. Kleinheit bringt neue Probleme: Baut man den Reaktor kleiner, erhöht sich auch die Hitzebelastung für die Wand, da diese im Verhältnis zum Volumen kleiner ist. Die Wärme muss viel effektiver abgeführt werden.

Positiv-Schlagzeilen kommen von einem anderen Ansatz

Commonwealth Fusion ist nicht die einzige Organisation, die einen anderen Weg zum Fusionskraftwerk gehen will als Iter. Der Versuchsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald etwa setzt auf ein anderes Verfahren zum Magneteinschluss des Plasmas. Ein Nachteil des Tokamak ist, dass er die Fusionsreaktion nur in Pulsen von einigen Minuten aufrechterhalten kann und dann neu starten muss.

Wendelstein 7-X hingegen ist ein Stellarator, der dank eines komplexer geformten Magnetfeldes prinzipiell ein durchgängiges Plasmabrennen ermöglicht. Dies führe zu geringeren Stromkosten für den Betrieb des Reaktors, wie Gauss Fusion mitteilt, das die Stellarator-Technik kommerzialisieren will. Doch auch für den Stellarator ist der Weg zum Kraftwerk noch weit. Wendelstein 7-X soll nur die Kerneigenschaft dieses Reaktortyps demonstrieren: den Dauerbetrieb. Um Energie zu erzeugen, ist die Anlage viel zu klein.

Die größten Schlagzeilen machte zuletzt indessen eine ganz andere Art von Kernfusion: die Laserfusion. Dabei wird der Fusionsbrennstoff in millimeterkleine Kapseln eingeschlossen. Starke Laser beschießen die Kapseln von allen Seiten, wodurch sie implodieren. Dadurch verdichtet und erhitzt sich der Brennstoff so sehr, dass eine Fusionsreaktion zündet. Ende 2022 wurde bei diesem Prozess erstmals mehr Energie freigesetzt, als die Laser in die Kapsel eingebracht haben.

Mit viel Geld schneller zum Erfolg?

Dieser "Break-Even" ist der heilige Gral der Fusionsforschung. Er gelang am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Aber die dortige Anlage hat denkbar wenig mit einem Kraftwerk zu tun. Nur ein winziger Teil der gesamten Laserenergie ist in die Kapsel gelangt. Insgesamt benötigte die Laseranlage das 200-Fache der in der Fusionsreaktion erzeugten Energie. Das Darmstädter Start-up Focused Energy will mithilfe von Milliarden Dollar Wagniskapital effizientere Laser entwickeln, um die Laserfusion kraftwerkstauglich zu machen.

Überhaupt gilt Geld als wesentlicher Faktor, um schneller ans Ziel zu kommen. Aber ob ein einzelnes Start-up allein dank Milliardenförderung große staatliche Projekte wie Iter überholen kann, ist fraglich. Genauso wichtig wie die Förderung der Industrie sei die der öffentlichen Fusionsforschung, sagte Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik bei einer Anhörung des Deutschen Bundestages im September 2023. Vieles sei noch "Grundlagenforschung" , betont der Physiker, der an der Planung von Demo mitwirkt.

Ein Fusionskraftwerk könne in den nächsten 20 Jahren entstehen, wenn in ein "Ökosystem" investiert werde, insbesondere in den wissenschaftlichen Nachwuchs, sagt Zohm. "Ganz wichtig ist die breite Ausbildung in den Fachrichtungen, die nötig sind, um ein Fusionskraftwerk zu bauen" .

Da müsse mehr passieren, fordert Zohm. Staatliche Projekte buhlten mit den vielen neuen Fusions-Start-ups um die talentiertesten Wissenschaftler, betont der Physiker. "Wir können viel reden, aber ohne die besten Köpfe werden wir dieses Fusionskraftwerk nicht bauen" , warnt Zohm.

Wie funktioniert Laserfusion
Wie funktioniert Laserfusion (00:47)

Bisher war Iter wichtig für dieses Ökosystem: Es hat Wissen generiert, auf das sich die Start-ups heute stützen. Iter habe die Fusionsforschung in der ganzen Welt beflügelt, obwohl die Anlage noch gar nicht läuft, sagte Frank Laurien im Interview mit Riffreporter.

Der Eindruck, dass der Weg noch weit ist, lässt sich kaum vermeiden

Commonwealth Fusion nutzte für Iter entwickelte Computersimulationen für das Design seiner eigenen Anlage. Vielleicht ist der Punkt erreicht, an dem Unternehmen, die deutlich schlanker organisiert sind als Iter, sich abnabeln und den Rest des Weges schneller gehen. Vielleicht aber auch nicht. Iter hat immer noch Alleinstellungsmerkmale, die entscheidend sein könnten. Die Zeit muss erst noch zeigen, welcher Weg zu dieser neuen Energiequelle führt.

Bei der Abreise im Bus öffnet sich noch einmal ein Blick über die Iter-Baustelle, mit hohen Kränen, unfertigen Betongebäuden und einer fußballfeldgroßen Freifläche, auf der palettenweise unverbaute Rohre und andere Teile lagern. Der Eindruck, dass der Weg bis zur Nutzung der Fusionsenergie noch ziemlich weit ist, lässt sich kaum vermeiden.


Relevante Themen