Bargeld nervt: Startups und Kryptowährungen mischen die Finanzbranche auf

Die Zukunft vorherzusehen, ist manchmal gar nicht so schwer - zumindest wenn es um technologische Neuerungen geht. In innovationsfreudigen Länder wie Norwegen, Schweden oder den Vereinigten Staaten wird neue Technik oft mit einigen Jahren Vorsprung breit akzeptiert: Bargeldloser Zahlungsverkehr ist ein gutes Beispiel dafür.
Wer in Schweden etwas bezahlt, kommt gut ohne Bargeld aus. Supermärkte bieten Self-Service-Kassen an, Wochenmärkte Kreditkartenterminals, Gaben für den Klingelbeutel der Kirche können Gläubige per Checkout in den digitalen Opferstock legen und sich mit Paypal an der T-Bana, einer Straßenbahn-Haltestelle, einen Snack aus dem Automaten ziehen. Alles ist bargeldlos und digital möglich. Das geht sogar schon so weit, dass einige Geschäfte gar kein Bargeld mehr annehmen wollen.
Skandinavier rücken vom Gelddrucken ab
Die Diskussion um die Abschaffung des Bargelds ist in vielen skandinavischen Ländern sehr rege. Die Noten- und Zentralbanken hebeln die Verpflichtung zur Akzeptanz von Bargeld im Handel aus oder rücken gar komplett von der Bargeldproduktion und -versorgung ab, wie gerade in Dänemark(öffnet im neuen Fenster) : Dort druckt der Staat ab 2017 kein Geld mehr(öffnet im neuen Fenster) . Regierungen, Handelskammern und Wirtschaft sehen keine Notwendigkeit mehr für Bargeld und wollen außerdem dadurch Kosten einsparen.
Es spielen aber auch noch andere Aspekte eine Rolle in dieser Diskussion(öffnet im neuen Fenster) : Stockholms Polizeipräsidentin nennt Bargeld "das Blut in den Adern der Kriminalität" . Gegner halten entgegen, dass Steuerbetrüger und Kriminelle auf Gold oder andere Werte ausweichen könnten. Und sie kritisieren zu Recht, dass die Gesellschaft durch den Verzicht auf Bargeld leichter zu überwachen ist. Der ehemalige Bundesbank- und EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing hat Bargeld vor diesem Hintergrund auch einmal als "geprägte Freiheit" bezeichnet.
Ob das Bargeld abgeschafft wird oder nicht, eines ist klar: Die Zukunft des Geldwesens wird immer digitaler. Die EC-Karte bekommt Konkurrenz durch das Smartphone, die Banken durch Startups und die Kreditauskunfteien durch den allmächtigen Algorithmus. Die Neuerungen, die auf uns alle zukommen, werden immer mehr den Alltag jedes Nutzers beeinflussen - und sich nicht mehr auf die Infrastrukturen im Hintergrund beschränken. Doch so neu sind einige grundlegende Veränderungen im Geldwesen wie der bargeldlose Verkehr gar nicht: Den Wechsel, eine Zahlungsanweisung in Wertpapierform, kannten schon die alten Römer, und unser modernes Buchgeld stammt aus dem vorletzten Jahrhundert.
Vertrauen ist alles
Im 19. Jahrhundert wurden nicht nur die heute bekannten Banknoten etabliert, sondern auch das sogenannte Giral- oder Buchgeld, eine immaterielle oder auch bargeldlose Geldform, die es Banken ermöglicht, Geld zu erschaffen durch Kreditvergabe. Lediglich ein Prozent muss eine Bank in Deutschland als Eigenkapital vorweisen, bis zu 99 Prozent darf sie erschaffen. Wechsel, Schecks und Überweisungen kamen auf und machten schon zum Ende des 19. Jahrhunderts die Hälfte des Zahlungsverkehrs aus - noch auf Papier.
Deshalb war in der Entwicklung des Geldwesens Vertrauen schon immer wesentlich: Der Aussteller eines Wechsels musste darauf vertrauen, dass dieser auch eingelöst wird. Auch Währungssysteme sind von Vertrauen abhängig: Beim Warengeld war das noch einfach, eine Kuh bleibt eine Kuh. Aber im Gegensatz dazu besitzt ein staatlich ausgegebenes Zahlungsmittel, sogenanntes Fiat-Geld, in sich keinen Wert.
Es wird durch allgemeine Vereinbarung zum Ersatz für das Warengeld, zum neuen Tauschmittel: Ein Staat definiert eine Währung und verspricht einen Wert, und jeder, der am öffentlichen Handel teilnimmt, muss darauf vertrauen, dass der Wert erhalten bleibt. So wird eine Währung durch schlichte Akzeptanz zum Geld. Das Vertrauen der Bürger in das Geldwesen schützen Regierungen auch durch die Regulierung des Geldwesens und bewahren damit das Finanzsystem - oder versuchen es zumindest.
IT im Geldwesen: So neu nicht
Das Thema Bargeld ist hochemotional aufgeladen, so dass zumindest in Deutschland langfristig kein Abschied von der geliebten Banknote zu befürchten ist. Allerdings sind viele Gründe, die für Bargeld zu sprechen scheinen, eher Vorurteil als Fakt. Bargeld ist nicht sicher, es kann wie oben dargelegt jederzeit entwertet werden. Seinen Wert erhält es nur durch Vertrauen und Akzeptanz.
Und Vertrauen muss der Bürger Mittlern wie Banken schenken - die dieses Vertrauen oft genug erschüttert haben. Der unter dem Namen Satoshi Nakamoto bekannte Bitcoin-Erfinder sieht genau darin das Problem der Fiat-Währungen: Dass man Mittelspersonen und Banken vertrauen muss. Satoshi will beim Bitcoin das Vertrauen durch Verschlüsselung ersetzen. Statt den Banken sollen Nutzer der unkorrumpierbaren Technologie vertrauen.
Banken sind bei der Digitalisierung hinterher
Dabei sind die Banken selbst alles andere als technologiefeindlich. Tatsächlich haben die technologischen Fortschritte, die die Gesellschaft verändert haben, auch immer das Geldwesen und die IT-Nutzung der Banken nachhaltig beeinflusst. In den 60er Jahren gehörten Banken zu den ersten Anwendern der Großrechner. In den 70er Jahren kam das sogenannte Time-Sharing und führte zum Ende der direkt bedienten Großrechner, Mitarbeiter bekamen Terminals und Rechenzeit für Bildschirm-Dialog-Anwendungen, die Kredite, Spar- und Wertpapierabwicklungen verarbeiteten.
Und die 80er brachten PCs und eine Verlagerung der Intelligenz vom Großrechner auf den einzelnen Arbeitsplatz in der Bank. Die 90er führten schließlich zu Vernetzungen, nicht nur der Arbeitsplätze in den Bankfilialen, sondern auch mit Geschäftskunden und später mit Privatkunden.
Trotz des frühen Einsatzes der Informationstechnologie hinken Banken der Digitalisierung hinterher. Jahrelang wurde nur Altbekanntes digital abgebildet: Das Überweisungsformular beispielsweise wurde durch Onlineüberweisung ersetzt - zu wenig Innovation.
Neben der inneren Einstellung der Banken zur IT, die eher als Kostenfaktor gesehen wurde, dürften die systemtechnischen Altlasten der Banken ein ausschlaggebender Punkt für die fehlende Neuentwicklung sein: Grob gesagt ist auf den alten Systemen immer wieder ein Überbau errichtet worden. Das hat den Effekt, dass die Funktions- und Datenstrukturen der operativen Bankensysteme, sozusagen das Betriebssystem der Banken, geradewegs aus den 60er und 70er-Jahren stammen.
Sieht man von den kundennahen Anwendungen für Berater in der Filiale und dem Onlinebanking ab, ist die Informationstechnologie im Bankensektor bisher eher in der Infrastruktur zu finden. Aus der bequemen Position des Monopolisten wurde das Bankwesen aufgescheucht, als ein eigener Zweig der digitalen Wirtschaft sich mit Banken-IT und Digitalisierung auseinandersetzte: die Fintech-Branche.
Fintech und Banken
Den vielen Startups aus der Finanztechnologie(öffnet im neuen Fenster) , kurz Fintech, wird viel zugetraut, sogar die Disruption einer ganzen Branche. Die Startups wollen sich alle möglichen Bereiche des traditionellen Bankwesens erneuern: Privates Finanzmanagement mit automatisierten Haushaltsbüchern realisiert das Startup Numbrs(öffnet im neuen Fenster) mit Hilfe von Algorithmen, die Zahlungen in einer Konto-App kategorisieren. Den Zahlungsverkehr im Geschäftsleben adressiert mit Payleven(öffnet im neuen Fenster) ein Startup, das Kartenzahlungsmöglichkeiten für Kleinstfirmen mit einem Smartphone-Kartenleser und einfachen Gebührenstrukturen schafft. Und die Bezahl-App Cringle(öffnet im neuen Fenster) nimmt sich mit einem Peer-2-Peer-Zahlungsservice den privaten Zahlungsverkehr vor: Mal schnell mit dem Smartphone seinen Freunden einen geliehenen Betrag zurückzahlen, abgebucht wird bequem vom Bankkonto.
In der Realität führen Regulation und Gesetzgebung allerdings eher dazu, dass kaum eines der jungen Unternehmen eine Banklizenz bekommt oder bekommen könnte. Und diese Lizenz ist nötig, um Kredite zu vergeben oder Zahlungen selbst abzuwickeln. Als Resultat müssen die Startups mit den angestaubten Konkurrenten, die sie eigentlich erschüttern wollten, gemeinsame Sache machen. Kooperation ist das Motto, nicht Disruption. Fintech-Experte Andre Bajorat dazu: "Es geht in den seltensten Fällen um das Ersetzen der Banken, sondern meist darum, den Kunden anders oder sehr speziell anzusprechen. Kein Fintech-Startup will eine klassische Bank nachbauen. Vielmehr betreiben die Startups eine Art Cherry-Picking und nehmen sich bewusst bestimmte Bereiche der Banken vor, um ihren Nutzern diese anders und modern anzubieten."
Das fällt der Fintech-Branche auch leichter, denn die Banken sitzen teilweise auf uralten Kernbankingsystemen, die eine innovative Entwicklung von Kundenanwendungen stark erschweren. Fintech ist demnach agil und innovativ darin, die typischen Bankdienstleistungen auf den Kunden abgestimmt zu gestalten.
Viele Banken holen auf, bringen eigene, moderne Anwendungen - durch die Kooperation mit Startups wächst auch bei den Banken das Know-how. Sie bieten mittlerweile mit White-Label-Lösungen Bankdienste an. Andererseits gewähren Startups wie Figo anderen Startups über eine API Zugang zu Bankdiensten und den Banken wiederum Zugang zu innovativen Softwarelösungen. Langfristig wird sich das Spiel auf Arbeitsteilung einpendeln: Banken machen Infrastruktur und Fintech-Startups Front-End-Anwendungen.
Das Drama des mobilen Bezahlens
Aber nicht nur im klassischen Bankdienstleistungsbereich, sondern auch im Bereich Mobile Payment breiten sich Startups aus. Allerdings mit Schwierigkeiten: Die Mobile-Payment-Branche(öffnet im neuen Fenster) liegt immer noch brach, vor allem in Deutschland. Schuld daran sind neben dem generellen Desinteresse der Nutzer und seltsamen Registrierungs- und Setup-Prozessen vor allem aufwendige und schlecht durchdachte Angebote ohne bleibenden Mehrwert.
Mobiles Bezahlen als einzigen Vorteil zu verkaufen ist gescheitert, es hätte als ein Feature angeboten werden müssen, das Bestandteil von etwas Größerem ist. In den USA ist das der Payment-Messenger-App Venmo(öffnet im neuen Fenster) gelungen, die viele junge Kunden anzieht, indem sie das Bezahlen zum sozialen Ereignis macht: So gehört es beim Bezahlen mit der App zum guten Ton, eine möglichst witzige oder verrückte Begründung für die Ausgabe in den sozialen Newsfeed der App zu posten.
Apple folgt mit Apple Pay einer ähnlichen Strategie: Die kontaktlose Bezahlfunktion ist für Apple nur eine Nebenfunktion des iPhones oder der Apple Watch. Und die Nutzer sind quasi schon vorregistriert - rund 800 Millionen Kundendaten sind bei iTunes hinterlegt. Gleiches gilt für Google und Android Pay. Alle Hürden sind damit abgebaut: keine seltsamen Registrierungsprozesse, kaum Aufwand für den Kunden.
Nicht jeder hat so traumhafte Startbedingungen wie ein neuer Apple-Service, für viele Startups ist das Geld anfangs knapp. Zum Glück tut sich deshalb auch für Startups in Sachen Kreditvergabe einiges am Markt.
Das Scoring der Zukunft
Auch die Grundlage für die Kreditvergabe steht auf dem Plan der findigen Startups: das Scoring. Egal ob Mobilfunk- oder Internetanschluss, Dispokredit, Auto-Finanzierung oder selbst das simple Bestellen in einem Onlineshop - das Kredit-Scoring ist ein wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens. Datengrundlage für Bonitätsprüfungen können Negativmerkmale in Auskunfteien sein, die beispielsweise unbezahlte Rechnungen speichern, aber auch geografische Daten wie das Wohnumfeld sowie Personenbezogenes wie Alter, Vorname und Geschlecht. Die verbreiteten Scoring-Verfahren sind nicht mehr zeitgemäß und produzieren oft Ergebnisse, die wenig mit der tatsächlichen Kreditwürdigkeit eines Menschen zu tun haben.
Hier beginnt der Zwiespalt zwischen dem Wunsch des Verbrauchers nach einer gerechten Einschätzung und dem Schutz persönlicher Daten: Um bessere Ergebnisse zu erzielen, müssten moderne Scoring-Verfahren ihre Algorithmen mit mehr Daten füttern können. Unternehmen wie Kreditech, die Verbraucher um die freiwillige Freigabe von Social-Media-Daten bitten und anhand von Meta-Daten Plausibilität und Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditvertrags berechnen, sind ein Beispiel für das Scoring der Zukunft.
Die vor Jahren unbezahlte Rechnung spielt dabei weniger eine Rolle, geprüft wird vielmehr, ob die Angaben des Kunden konsistent sind: "Wenn jemand angibt, in Hamburg zu wohnen, jedoch in Berlin gemeldet ist, sich mit dem Computer in Frankfurt aufhält und jeden Tag Selfies mit dem Hashtag #München postet, dann werden wir den Antrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ablehnen" , sagt Kreditech-CEO Sebastian Diemer.
Technologie als Antrieb
Die Technologie ist zu einem wesentlichen Antrieb der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung geworden und das betrifft auch das Geld- und Bankwesen. Zwar kann niemand in die Zukunft sehen, aber eines steht fest: So wie wir es heute kennen, wird es in seiner angestaubten Form nicht weiterbestehen.
Dass Fintech-Startups mehr und mehr die Aufgaben der traditionellen Banken übernehmen, ist eine Möglichkeit, ebenso aber könnten die Banken selbst dazulernen und sich wandeln - oder die beiden Kontrahenten werden, wie es sich aktuell abzeichnet, mehr und mehr Synergien entdecken und verschmelzen. Ob Banken angesichts hochtechnisierter Kryptowährungen wie Bitcoin in ferner Zukunft überhaupt noch gebraucht werden, lässt sich zwar schwer voraussagen. Aber den Innovationsgrad und die Faszination solcher Technologien sollten die heutigen Big Player in jedem Fall ernst nehmen.
Dieser Text erschien zuerst auf t3n, dem Magazin der digitalen Wirtschaft. In der aktuellen Ausgabe(öffnet im neuen Fenster) geht es u.a. um die Digitalisierung unserer Bildung, Virtual Reality und Künstliche Intelligenz.



