Balkonkraftwerk: Wer verdient an dem verschenkten Strom?

Für die Nutzer von Balkonkraftwerken ist es ein Ärgernis, das von fast allen klaglos akzeptiert wird: Bei der Anmeldung ihrer Anlage verlangen Netzbetreiber in der Regel ausdrücklich einen Verzicht auf eine Einspeisevergütung nach den Fördergesetzen. Ein Praxistest von Golem.de hat gezeigt, dass rund die Hälfte des erzeugten Stroms kostenlos ins Netz eingespeist wird. Doch wie wird dieser Strom verrechnet und wer verdient am Ende daran?
Zunächst gilt es festzustellen: Wird Strom von einem Haushalt ins Netz eingespeist, fließt er natürlich in einen anderen Haushalt und wird dort vom Stromzähler erfasst. Der Verbrauch des Balkonstroms durch den Nachbarn wird dabei von dessen Stromanbieter am Jahresende abgerechnet. Bedeutet das, dass dieser damit vom kostenlos generierten Strom durch das Balkonkraftwerk profitiert?
Zwei von Golem.de angefragte Anbieter wiesen das zurück. Diese berufen sich darauf, dass die Erfassung des verbrauchten Stroms die Aufgaben des zuständigen Messstellenbetreibers ist. Gerade überregionale Stromanbieter haben in der Regel ohnehin keinen Einfluss darauf, welcher Strommix von ihren Kunden konkret verbraucht wird. Er muss bei der Anmeldung als Energielieferant(öffnet im neuen Fenster) zumindest nachweisen, dass er den benötigten Strom auch beschaffen kann. Für Ökostrom gelten laut Umweltbundesamt gesonderte Herkunftsnachweise(öffnet im neuen Fenster) .
Allerdings ist durch Balkonkraftwerke vermehrt Strom im Netz, der von keinem Stromlieferanten bezahlt werden muss. Die Summe des von Steckersolargeräten erzeugten Stroms ist bislang aber noch nicht sehr hoch.
Welchen Wert hat der eingespeiste Strom?
Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur gibt es derzeit etwa 230.000 angemeldete Balkonkraftwerke und 30.000 Anlagen, die aufgrund ihrer Leistung ebenfalls Steckersolargeräte sein könnten. Diese kämen auf eine Gesamtleistung von derzeit 170 Megawatt. Unklar ist allerdings, wie viele unangemeldete Steckersolargeräte im Einsatz sind.
Die Bonner Regulierungsbehörde schätzt die erzeugte Strommenge der gemeldeten Anlagen auf maximal 170 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. Unter der Annahme, dass davon die Hälfte eingespeist wird, wären dies 85 GWh. Was bedeutet das finanziell?
Im Jahr 2023 lag der durchschnittliche Strompreis an der Börse bislang bei etwa 100 Euro pro Megawattstunde (MWh) oder 10 Cent pro Kilowattstunde (kWh)(öffnet im neuen Fenster) . Demnach entspricht der von Balkonkraftwerken eingespeiste Strom einem Wert von 8,5 Millionen Euro. Das ist nicht besonders viel. Allerdings lag der durchschnittliche Börsenstrompreis im Jahr 2022 mit 235 Euro pro MWh deutlich höher(öffnet im neuen Fenster) . Dann hätte sich der Preis des einspeisten Stroms auf fast 20 Millionen Euro summiert.
Der Unterschied zwischen Balkonkraftwerken und anderen Stromerzeugern besteht darin, dass deren Einspeisung nicht in Echtzeit erfasst wird. Daher ist es nicht möglich, diesen Strom überhaupt zu vermarkten oder zu regeln, wie dies bei größeren PV-Anlagen durch ein Einspeisemanagement(öffnet im neuen Fenster) möglich ist.
Um den eingespeisten Strom zu erfassen, ist der Einbau eines sogenannten Zweirichtungszählers erforderlich.
Strommengen von Balkonkraftwerken noch nicht erfasst
Beim Test des Balkonkraftwerks durch Golem.de setzte der Netzbetreiber Stromnetz Berlin dies voraus, um die Anlage in Betrieb nehmen zu dürfen. Somit kann der Messstellenbetreiber bei der nächsten turnusmäßigen Ablesung erfassen, wie viel Strom im zurückliegenden Jahr eingespeist wurde.
Doch bislang ist das für die Netzbetreiber noch Neuland. Auf Anfrage von Golem.de teilte Stromnetz Berlin mit: "Für das Berliner Verteilungsnetz liegen uns aktuell noch keine belastbaren Daten über nennenswerte Einspeisestrommengen aus Balkonanlagen vor." Allerdings seien im ersten Halbjahr 2023 bereits 2.800 Balkonanlagen angemeldet worden. "Jedoch erst mit der jährlichen turnusmäßigen Ablesung der Stromzähler dieser Anlagen/Kunden im kommenden Jahr werden wir über entsprechende Daten und Prognosemengen verfügen" , sagte Unternehmenssprecher Olaf Weidner.
Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich
Was macht ein Stromnetzbetreiber dann mit diesen Daten? "Die Einspeisemengen aus den bei uns angemeldeten Balkonanlagen werden dem Bilanzkreis des Übertragungsnetzbetreibers gutgeschrieben" , sagte Weidner. Eine "Vermarktung" durch Stromnetz Berlin erfolge nicht. "Somit entsteht uns auch kein wirtschaftlicher Vorteil" , sagte der Sprecher.
Das heißt konkret: Der bei unserem Test im Frühjahr dieses Jahres eingespeiste Strom landet irgendwann im nächsten oder übernächsten Jahr im sogenannten Bilanzkreis des Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB)(öffnet im neuen Fenster) . Von diesen gibt es deutschlandweit vier: 50Hertz Transmission, Amprion, TransnetBW und Tennet TSO.
Bilanzkreise und EEG-Konten
Für die Abrechnung des Balkonstroms ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) relevant. "Strommengen aus erneuerbaren Energien, die nicht im Rahmen der Direktvermarktung an den Markt gelangen, werden durch die Übertragungsnetzbetreiber über die sogenannten EEG-Bilanzkreise vermarktet" , schreibt 50Hertz(öffnet im neuen Fenster) .
Amprion erläutert dazu(öffnet im neuen Fenster) : "Ein Bilanzkreis besteht aus Entnahmen und/oder Einspeisungen. Der Bilanzkreisverantwortliche ist dafür verantwortlich, dass in jeder Viertelstunden-Messperiode die Leistungsbilanz des Bilanzkreises ausgeglichen ist. Die Leistungsbilanz ist dabei die Summe der Entnahmen einerseits sowie die Summe der Einspeisungen andererseits." Daraus wird klar, dass Strom aus Balkonkraftwerken in den aktuellen Bilanzkreisen nicht auftauchen kann, da er nicht viertelstündlich gemessen wird.
Wann erfolgt dann die Gutschrift des Stroms durch die ÜNB?
Werte können bislang nur geschätzt werden
"Wenn die Anlagen dem EEG-Bilanzkreis des Verteilnetzbetreibers zugeordnet sind, wird dieser Strom vom Verteilnetzbetreiber an uns als Übertragungsnetzbetreiber weitergeben" , sagte TransnetBW-Sprecherin Claudia Halici auf Anfrage von Golem.de. TransnetBW vermarkte den Strom zusammen mit dem sonstigen Öko-Strom. "Die Einnahmen davon fallen auf dem EEG-Konto an und werden entsprechend zur Finanzierung der Förderung erneuerbarer Energien (EE) verwendet" , sagte Halici weiter.
Allerdings räumte Halici ein, dass dieser Wert nur geschätzt werden könne: "Die Balkonkraftwerke verfügen in aller Regel nicht über eine Lastgangmessung. Demzufolge ist es nicht möglich, unterjährig anlagenscharfe Leistungsauswertungen vorzunehmen. Des Weiteren werden erzeugte Strommengen von Balkonkraftwerken nicht getrennt ausgewiesen oder vermarktet, da es sich grundsätzlich um reguläre PV-Strommengen handelt."
Bundeshaushalt wird entlastet
Die erwähnten EEG-Konten werden ebenfalls von den Übertragungsnetzbetreibern geführt. Laut Bundesnetzagentur(öffnet im neuen Fenster) generieren die ÜNB Einnahmen auf dem Konto, in dem sie den von kleineren Anlagen erzeugten Strom an der Strombörse vermarkten. Im Jahr 2022 stammte ein ebenso großer Anteil (PDF)(öffnet im neuen Fenster) in Höhe von fast 9 Milliarden Euro allerdings aus der EEG-Umlage. Diese wird erhoben, weil die Einspeisevergütung die Einnahmen aus dem Stromverkauf deutlich übersteigt.
Die EEG-Umlage für die Verbraucher wurde jedoch im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg abgeschafft(öffnet im neuen Fenster) und wird inzwischen vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert. Am Ende des Tages entlastet also jede Kilowattstunde, die ein Balkonkraftwerk kostenlos ins Netz einspeist, den Bundeshaushalt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sollte sich daher über jedes Solarpanel freuen, das er irgendwo an einem Balkon entdeckt.
Bundesnetzagentur hat keine Daten
Über die Höhe dieser Entlastung kann vorerst jedoch nur spekuliert werden. Angesichts der Milliardensummen bei der Umlage fällt sie jedoch kaum ins Gewicht. Auf Anfrage von Golem.de teilte die Regulierungsbehörde mit: "Der Bundesnetzagentur liegen keine Zahlen dazu vor, welche Strommengen von den Netzbetreibern als Netzeinspeisung aus Balkonanlagen verrechnet und vermarktet werden. Die Daten liegen dazu in keiner ausreichenden Differenzierung vor." Weiter hieß es: "Die Netzbetreiber verwenden Schätzverfahren auf Basis von Beispielanlagen, die mit der Jahresmessung kalibriert werden."
Belastbare Zahlen der einzelnen Netzbetreiber dürften daher vermutlich erst dann vorliegen, wenn die von neuen Zweirichtungszählern gemessenen Werte ausgelesen und verrechnet worden sind. Wenn alles richtig funktioniert, sollte das irgendwie bilanztechnisch dazu führen, dass Einnahmen auf den EEG-Konten der ÜNB landen, die nicht wieder als Einspeisevergütung ausgezahlt werden müssen.
Einspeisevergütung durchaus möglich
Wer das als Betreiber eines Balkonkraftwerks nicht möchte, kann jedoch auch einen anderen Weg gehen. "Es steht den Betreibern dieser Anlagen wie auch allen anderen Anlagenbetreibern frei, ihre Anlage beim zuständigen Anschlussnetzbetreiber zu melden und die gesetzlichen EEG-Förderzahlungen in Anspruch zu nehmen" , sagte Transnet-Sprecherin Halici.
Ob sich das lohnt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. In unserem Fall haben wir seit Ende April etwas mehr als 100 kWh eingespeist. Damit hätten wir rund 9 Euro eingenommen. Da wäre es auf jeden Fall sinnvoller, den Eigenverbrauch möglichst zu steigern.



