Autotracker Tanktaler: Wen juckt der Datenschutz, wenn's Geld gibt?

Schöne neue Autowelt: Die vernetzten und automatisierten Fahrzeuge der Zukunft werden permanent getrackt und senden alle wichtigen Daten zu Strecke und Auto an eine Cloud. Per Smartphone lässt sich von der Couch aus nicht nur der Standort des Wagens herausfinden und ein digitales Fahrtenbuch verwalten, auch Daten wie Tankfüllung oder Batteriezustand können abgelesen werden. Um an dieser schönen neuen Autowelt teilzuhaben, muss man aber nicht seinen alten Wagen verkaufen und sich ein Hightech-Modell anschaffen. Die Münchner Thinxnet GmbH hat ein Konzept entwickelt, das aus jedem Fahrzeug mit OBD2-Schnittstelle und einer App ein "smartes Auto" machen soll. Der Clou: Anstatt dafür zu bezahlen, erhalten die Nutzer sogar noch Geld: sogenannte Tanktaler(öffnet im neuen Fenster) . Doch ist das Grund genug dafür, seine Daten zu verkaufen und ein "gläserner Autofahrer" zu werden?
Erst kürzlich hat der ADAC die Autokonzerne dafür kritisiert , die Fahrzeuge ihrer Kunden heimlich auszulesen, ohne selbst zu wissen, was mit den Daten passiert. Zudem scheint sich das Interesse der Autofahrer am Tracking ihrer nicht vernetzten Fahrzeuge in Grenzen zu halten. Ein recht teures Produkt des Mobilfunkunternehmens O2 für 99 Euro wurde inzwischen wieder eingestellt. Offenbar waren nur wenige Autofahrer von Preis und Nutzen des Angebots überzeugt. Thinxnet sollte daher einiges anders und besser machen, um erfolgreich zu sein.

Rein technisch dürften sich das O2-Car-Connection-Kit und der Tanktaler wenig unterscheiden. Bei beiden Angeboten geht es darum, über den OBD2-Anschluss bestimmte Daten auszulesen, die Fahrten zu tracken und alles per Mobilfunk an einen Server zu senden. Der Thinxnet-Stecker verfügt dazu über einen eigenen Beschleunigungssensor, ein GPS/GSM-Modul, eine SIM-Karte, eine CPU sowie einen Flash-Speicher. Je nach Automodell werden Kilometerstand, Batteriespannung und Tankfüllstand ausgelesen. Eine eigene Batterie sorgt dafür, dass die Daten auch erhalten bleiben, wenn die Autobatterie einmal ausfallen sollte.
Autostandort ständig per App verfügbar
Fährt das Auto los, sendet der Stecker zudem Daten zu Standort, zurückgelegtem Weg und Durchschnittsgeschwindigkeit an den Tanktaler-Server. Die gefahrene Strecke und der aktuelle Standort lassen sich dann in Echtzeit über das Smartphone verfolgen. Jede Fahrt wird einzeln über die App protokolliert und lässt sich nachträglich wieder detailliert aufrufen, einschließlich Entfernung, Durchschnittsgeschwindigkeit, Fahrtzeit und maximaler Motordrehzahl. Die genaue Strecke ist per Google Maps protokolliert. Der Fahrer weiß daher immer, wo sich sein Auto gerade befindet - was ganz praktisch sein kann. Sei es auch nur, um in einer fremden Stadt nicht ewig nach der kleinen Seitenstraße zu suchen, in der man das Auto geparkt hatte. Und schließlich könnte es auch sein, dass Autodiebe den kleinen Stecker übersehen ...
Für jeden gefahrenen Kilometer etwa 0,24 Cent
Falls einem Autofahrer diese Gründe nicht ausreichen sollten, hat Thinxnet sich das Konzept der Tanktaler ausgedacht. Auf diese Weise können die Autofahrer daran "verdienen" , dass sie während der Fahrt ihre Daten an Thinxnet übertragen. Um die Provision zu bekommen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen erhält man für jeden gefahrenen Kilometer einen Tanktaler, der derzeit einem Gegenwert von 0,1 Cent entspricht. Für jeden getankten Liter Sprit werden zusätzliche 20 Tanktaler (zwei Cent) gutgeschrieben. Bei einem Verbrauch von sieben Litern pro 100 Kilometer ergeben sich daher rechnerisch 240 Tanktaler pro 100 Kilometer, was 24 Cent entspricht. Bei einer Fahrleistung von 20.000 Kilometern im Jahr sind das immerhin 48 Euro.







Doch das ist noch nicht alles. So gibt es Zusatzpunkte, wenn man bei Partnerunternehmen einkauft. Das merkt Thinxnet daran, dass der Firmenparkplatz aufgesucht wird. "Für unsere Partnerunternehmen, das können Tankstellen, Baumärkte, Supermärkte oder z. B. auch Onlinehändler wie Kiveda sein, ermöglicht Tanktaler offline wie online völlig neue Wege der gezielten Kundenansprache und der Kunden-Interaktion" , heißt es in den FAQ des Unternehmens(öffnet im neuen Fenster) . Während unseres Tests in Berlin gab es beispielsweise 300 Tanktaler extra für den Einkauf bei einer bestimmten Supermarktkette.
Nur in wenigen Regionen verfügbar
Allerdings zählt Berlin nicht zu den Regionen, in denen Tanktaler bereits im eigentlichen Sinne aktiv ist. Derzeit können nur Autofahrer in den Regionen München und Köln die Stecker kostenlos erhalten. In den übrigen deutschen Städten gibt es offenbar noch nicht genügend Interessenten, um Firmen zur Teilnahme an dem Konzept zu bewegen. Thinxnet bietet die Stecker aber auch für 79 Euro bei Amazon an(öffnet im neuen Fenster) , wobei sie derzeit nicht lieferbar sind. Zudem gibt es ein Drei-Jahres-Abo für 29 Euro im Jahr.
Doch Thinxnet will die Daten nicht nur für Werbezwecke nutzen "Mit Deiner Hilfe ist es möglich, Straßen sicherer zu machen und den Verkehrsfluss effizienter zu gestalten. Die Daten, die der Tanktaler-Stecker während jeder Fahrt sammelt, nutzen wir, um beispielsweise Straßenschäden zu erkennen oder Ampelschaltungen zu bewerten" , heißt es auf der Website. Müssen die Autofahrer also damit rechnen, dass ihre Daten an andere Firmen zur Analyse weitergeleitet werden?
Fahrzeugdaten zur Big-Data-Analyse
Thinxnet weist dies zurück. Das Unternehmen wolle sein Team im Bereich Data Science erweitern, "um umfassende Big-Data-Analysen ausführen zu können" , sagt Pressesprecherin Regina Werner auf Anfrage von Golem.de. Es sei geplant, beispielsweise Navigationssystem-Herstellern Schwarmdaten in Echtzeit zur Verkehrs- und Parksituation zur Verfügung zu stellen. "Ziel ist also die Weitergabe von Information, die wir selbst aus den Daten generiert haben, nicht aber der bloße Verkauf der Rohdaten. Persönliche Daten werden wir aber niemals verkaufen" , sagte Werner. Mit seinen derzeit 10.000 Nutzern zähle Tanktaler schon zu den größten Flotten vernetzter Fahrzeuge in Deutschland, sagte Produktmanager Christian Margolus bei einem Startup-Wettbewerb auf dem texanischen SXSW-Festival im März dieses Jahres.
Als dritte Einnahmequelle will das Unternehmen kostenpflichtige Zusatzangebote entwickeln. "Wir planen, neben einer Basisversion zukünftig einen Teil der Features in einem Premium-Modell anzubieten. Nutzer könnten so beispielsweise Tanktaler einlösen, um Funktionen wie das Fahrtenbuch freizuschalten" , sagte Werner. Derzeit lässt sich das Fahrtenbuch noch kostenlos im CSV-Format herunterladen.
Jede Tankstelle wird erkannt
Während unseres viermonatigen Tests haben App und Stecker tadellos funktioniert. Nun wissen wir, dass wir seitdem genau 1.931 Kilometer unter 130 km/h und 201 Kilometer über 130 km/h gefahren sind - natürlich nur auf der Autobahn. 588 Kilometer wurden in der Nacht gefahren. Das System erkennt automatisch, wenn innerhalb Deutschlands auf eine Tankstelle gefahren wird. Allerdings liest der Stecker bei unserem Testauto nicht den Tankfüllstand aus. Jeder Tankvorgang muss daher händisch eingetragen werden.
Etwas albern wirken jedoch die Hinweise über die gefahrenen Kilometer. So hieß es einmal: "Wenn Du so weiterfährst, legst Du im Jahr 2016 insgesamt 561 km zurück. Das ist in etwa die Länge der Donau von der Quelle bis ins Meer. Immerhin." Das sind in etwa 2.436 Kilometer weniger, als die Donau(öffnet im neuen Fenster) tatsächlich lang ist. Auch die Entfernung vom Nordpol zum Äquator, die als Vergleichsmaßstab genommen wird, gibt die App wahlweise mit 4.105 oder 7.396 Kilometern an. Wie gut, dass die Franzosen bei der Bestimmung des Urmeters(öffnet im neuen Fenster) nicht auf solch schwankende Entfernungsangaben angewiesen waren.
App als digitaler Fahrtenschreiber
Vor zwei Wochen aktualisierte Tanktaler aber seine App. Damit ist es nun möglich, jede Fahrt detailliert auf dem Smartphone nachzuvollziehen. Für jeden Ort der Strecke lassen sich der Zeitpunkt der Fahrt sowie die Durchschnittsgeschwindigkeit anzeigen. Somit verfügt die App praktisch über die Funktionen eines digitalen Fahrtenschreibers(öffnet im neuen Fenster) . Wird ein Autofahrer geblitzt, kann der Fahrer damit sehr gut nachvollziehen, ob er tatsächlich an einem bestimmten Punkt die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat.
Datenschutz? 'So ist das eben im Internet'
Mit der Tanktaler-App lässt sich in der Tat das eigene Auto auf einfache Weise vernetzen. Damit lässt sich für ältere Autos nachholen, was bei neueren Modellen vielfach schon inklusive ist und künftig wohl bei allen Autos Standard sein wird. Der Unterschied: Während sonst der Fahrzeughersteller die Daten erhält, ist das in diesem Fall ein Drittunternehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob Thinxnet verantwortungsvoller mit den Daten umgeht, als es die Autokonzerne derzeit offenbar tun. "Außerhalb der Konzerne weiß niemand, was mit ihnen passiert. Und ob die Unternehmen selbst schon wissen, was sie mit ihnen anfangen sollen, darf bezweifelt werden," schrieb der ADAC zuletzt kritisch über die "Datenautobahn zum Hersteller" . Zudem wüssten die Kunden gar nicht, welche Daten überhaupt übertragen würden.
Erste Tanktaler-Nutzer gehen mit der Problematik recht pragmatisch um: "Einziger Haken an der Sache ist, dass die Daten an die Firma übertragen und anonymisiert weiter verarbeitet werden. HALLO?! Juckt mich das? Ich hab schließlich auch ein Facebook-Account..." , schreibt Nutzer Lausbua auf Amazon(öffnet im neuen Fenster) . Ein anderer Nutzer meint dazu: "Aber ehrlich, wir nutzen auch Whatsapp kostenfrei und wissen, dass alle unsere Kontakte vom iPhone kopiert wurden und alle Inhalte ausgewertet werden. So ist das eben mit dem Internet. Ich habe damit kein Problem. Ich will den Nutzen und ich will sparen!"
Das Unternehmen geht auf die typisch deutschen Datenschutzbedenken ausführlich ein. In einem Blogbeitrag (öffnet im neuen Fenster) heißt es dazu: "Die rohen Daten der Tanktaler-Stecker landen zuerst einmal auf unseren Servern. In einem ersten Schritt werden diese verwendet, um den Nutzern ihre aktuelle Position anzuzeigen oder zum Beispiel die Tankstellenerkennung in Echtzeit zu ermöglichen." Nach Ende einer Fahrt würden die Daten aggregiert, gefiltert und sortiert. Anschließend würden alle Statistiken über diese Fahrt erstellt und in der Datenbank abgelegt. Sämtliche Daten würden in zwei Hochsicherheitsrechenzentren gespeichert: in München bei Domainfactory und in Frankfurt bei Softlayer.
Partnerfirmen tracken die Nutzer
Trotz aller Beteuerungen lässt sich der Eindruck des gläsernen Autofahrers nicht ganz vermeiden. So schreibt Thinxnet: "Ein erfolgreicher 'Kundenlead' ist bspw. dann gegeben, wenn Du bei einem unserer Partnerunternehmen einen Einkauf getätigt hast. Wir werden dann durch das Partnerunternehmen an Deinem Einkauf beteiligt, beispielsweise über eine feste Summe oder einen prozentualen Anteil Deines Warenkorbs." Da fragt man sich natürlich, wie die Partnerfirmen die Höhe des Einkaufs erfahren.
Laut Thinxnet wissen die Firmen über ein Tracking-Pixel, ob ein Kunde über die Tanktaler-App auf die Website gekommen ist und beispielsweise dort eingekauft oder einen Beratungstermin vereinbart hat. Zudem könnten Kunden bei einem Direktanruf gefragt werden, ob sie über Tanktaler auf das Angebot aufmerksam wurden. Thinxnet erhält dann einmal monatlich Auskunft, wie viele Kunden sich über Tanktaler gemeldet haben, und schreibt auf dieser Basis eine Rechnung.
Behörden könnten Daten anfordern
Wem dieses Tracking nicht gefällt, der wird sicherlich auch keine Payback-Karten nutzen. Allerdings bieten Stecker und App auch ohne diese speziellen Angebote schon einen Nutzen, so dass die Kooperation mit den Werbefirmen nicht gegen das Konzept spricht. Thinxnet weiß aber zumindest sehr genau, welcher Kunde wie viel bei welchem Tankstellenbetreiber getankt hat.
Zudem könnten auch Ermittlungsbehörden auf die Idee kommen, die Daten zu nutzen. Beispielsweise, wenn bei einem Unfall wegen überhöhter Geschwindigkeit Menschen getötet wurden und es auf anderem Wege nicht möglich ist, nachträglich die Geschwindigkeit des Unfallfahrzeugs zu bestimmen. In solchen Fällen wäre Thinxnet bei Vorlage eines richterlichen Beschlusses verpflichtet, relevante Daten an die Staatsanwaltschaft auszuhändigen. In absehbarer Zeit dürften jedoch ohnehin alle Fahrzeuge mit hoch- und vollautomatisierten Funktionen über Unfalldatenschreiber verfügen.
Autofahrer sollten Datenempfänger frei wählen können
Bei aller Fortschrittlichkeit des Systems wundert man sich, dass ein besonders fortschrittlicher Fahrzeugtyp keine Tanktaler sammeln kann: Elektroautos. Das liegt nicht daran, dass diese kein Benzin verbrauchen. Der Grund: "Die meisten Elektrofahrzeuge besitzen keine OBD-Schnittstelle und Hybride sind in ihrer Technologie sehr komplex" , schreibt Thinxnet. In Zukunft werde mit Sicherheit auch diese Art von Fahrzeugen unterstützt.
Dabei stellt sich die Frage, ob das überhaupt notwendig ist. Denn gerade Elektroautos wie der i3 von BMW oder auch Modelle von Tesla sind schon die reinsten Datenschleudern. Warum sollte man die Daten zusätzlich noch einem Drittanbieter geben? Wenn die Autokonzerne allerdings weiterhin so intransparent mit den Kundendaten umgehen, könnten Anbieter wie Thinxnet durchaus zu einer Alternative werden. Dann ließe sich vielleicht halbwegs sicherstellen, dass nicht jeder CD-Wechsel heimlich beim Hersteller registriert wird .
Autofahrer sollten daher tatsächlich Herr über die Daten ihrer Fahrzeuge sein und den Transfer zum Hersteller per Knopfdruck komplett einstellen können, wie es der ADAC gefordert hat. Dann könnte die schöne neue Autowelt wirklich dazu führen, dass nicht die Autokonzerne, sondern die Autofahrer selbst an ihren wertvollen Daten verdienen.
In einem Pilotprojekt mit Narando(öffnet im neuen Fenster) vertonen wir in den kommenden Wochen zwei bis drei Golem.de-Artikel pro Woche. Die Texte werden nicht von Robotern, sondern von professionellen Sprechern vorgelesen. Über Feedback unserer Zuhörer freuen wir uns - im Forum oder an redaktion@golem.de.



