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Autonomes Fahren: VW-Chef Diess will Tesla-Konzept kopieren

Bei der Entwicklung autonomer Autos will sich VW an Tesla orientieren. Auch beim Bau von Batteriefabriken spürt VW-Chef Diess den Konkurrenzdruck.
Aktualisiert am , veröffentlicht am / Friedhelm Greis
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VW-Chef Herbert Diess setzt auf eigene Softwareentwicklung. (Bild: Albert Gea/Reuters)
VW-Chef Herbert Diess setzt auf eigene Softwareentwicklung. Bild: Albert Gea/Reuters

Der Volkswagen-Konzern will bei der Entwicklung selbstfahrender Autos offenbar das Konzept von Tesla übernehmen. Die Tesla-Entwickler "setzen in der Umfelderkennung überwiegend auf Kameras und automatisieren immer komplexere Fahrsituationen zunächst im Level 2, also unter Verantwortung des Fahrers. Diesen Ansatz wird die Car.Software.Org verfolgen" , sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess in einem Interview mit der Wirtschaftswoche (Paywall(öffnet im neuen Fenster) ) und fügte hinzu: "Ich rechne damit, dass es zwischen 2025 und 2030 marktreife autonom fahrende Autos geben wird."

Volkswagen bündelt in der im Juli 2020 gegründeten Einheit Car.Software.Org die Softwareentwicklung des Konzerns. Diese soll unter anderem das firmeneigene Betriebssystem VW.OS entwickeln. Laut Diess konnte Volkswagen für die neue Organisation in den vergangenen Monaten zahlreiche Mitarbeiter gewinnen: "Wir haben in den letzten Monaten um die 500 neue IT-Spezialisten eingestellt. Wir kaufen auch ganze Firmen hinzu. Bis zum Jahresende werden wir fast 6.000 Leute in der Car.Software.Org haben."

Dem Konzernchef zufolge geht es zunächst darum, "Mitarbeiter von Audi, Porsche, Volkswagen und etlichen Tochterunternehmen dieser Marken zusammenzuführen. Dazu kommen noch die Mitarbeiter von zugekauften IT-Unternehmen. Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben wir vier Softwareunternehmen gekauft" . Das sei eine "riesige Integrationsaufgabe" .

Eigenes Betriebssystem erforderlich

Diess hält es für unverzichtbar, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln, um nicht von Softwarefirmen wie Google abhängig zu sein. "Wir würden uns in einem zentralen Bereich in die Abhängigkeit eines Unternehmens mit ganz anderen Interessen begeben, und das halte ich für keine echte Option. Wir werden alles tun, um diese Abhängigkeit zu vermeiden" , sagte der VW-Chef. Dabei geht er davon aus, dass sich ebenso wie bei Smartphones oder Computern auch im Autobereich "mehrere Betriebssysteme am Markt etablieren können" . VW hat seiner Ansicht nach "die ausreichende Größe für ein eigenes Betriebssystem" . Diess sagte zur Begründung: "Denn wenn wir allein unsere eigenen zehn Millionen Autos pro Jahr damit ausstatten, haben wir schon einen relevanten Marktanteil."

VW ID.3 Probe gefahren
VW ID.3 Probe gefahren (03:40)

Der VW-Chef zeigte sich langfristig offen für Kooperationen mit anderen Autoherstellern bei der Entwicklung von Betriebssystemen. "Zunächst aber müssen wir die Software für unsere vielen eigenen Marken und Modelle gut hinbekommen, was so schon eine Herausforderung darstellt. Kooperationen mit anderen Herstellern würden die Komplexität im Moment zu sehr erhöhen" , sagte Diess.

Die erste Phase bei der Softwareentwicklung wurde laut Diess mit der Fahrzeugplattform MEB erreicht, die dem vollelektrischen ID.3 zugrunde liegt. "Die nächste Stufe werden wir mit der neuen Elektroplattform PPE der Premiummarken Audi und Porsche erreichen. Die dritte Stufe ist das Projekt Artemis bei Audi, in dem wir bis 2024 zum ersten Mal unser eigenes Betriebssystem einsetzen. Das wird dann der neue Standard für den gesamten Konzern."

Vorsprung von zwei Jahren

Im Vergleich zu anderen traditionellen Autoherstellern hat VW nach Einschätzung von Diess einen Vorsprung von "rund zwei Jahren" bei der Elektrifizierung und Digitalisierung. Die anfänglichen Softwarefehler beim ID.3 und ID.4 seien nun behoben. "So ein System ist komplex und es dauert, bis man alle Fehler behoben hat. Das haben wir aber inzwischen getan, deshalb sollte es jetzt besser laufen. Dass es überhaupt diese Probleme mit der Software gab, liegt aber auch daran, dass wir einen besonders großen Schritt gemacht haben" , sagte Diess.

Nachholbedarf sieht Diess hingegen im Vergleich mit neueren Anbietern wie Tesla. "Sie verstehen das Auto eher als Softwareprodukt. Hier sind wir noch nicht auf Augenhöhe. Das gilt aber für die gesamte traditionelle Autoindustrie" , sagte Diess.

Beeindruck von Waymo-Autos

Einen Vorsprung von Tesla sieht Diess auch beim autonomen Fahren. Zwar zeigte er sich beeindruckt von den Fähigkeiten der Google-Schwesterfirma Waymo, die selbstfahrende Taxis entwickelt. "Ich bin zuletzt vor 18 Monaten mit einem Waymo-Auto gefahren, und das war beeindruckend. In einer ruhigen Verkehrsumgebung, bei gutem Wetter und Geschwindigkeiten unter 70 Kilometern pro Stunde funktioniert das alles schon recht gut" , sagte Diess und fügte hinzu: "Wir sind hier ein direkter Wettbewerber durch unsere Kooperation mit der Ford-Tochter Argo AI, an der wir uns beteiligt haben. Einige Wettbewerber geben jetzt auf, weil die Kosten unglaublich hoch sind. Wir haben bis dato schon zweieinhalb Milliarden Euro investiert."

Die Stärke des Tesla-Konzeptes sieht er hingegen darin, "dass sie mit ihrer inzwischen schon sehr großen Flotte von Fahrzeugen ständig Fahrdaten sammeln und mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz das System damit immer besser machen. Wenn Sie so wollen, ist Tesla nicht nur ein Autounternehmen, sondern ein neuronales Netz, das immer besser fahren lernt." Tesla-Chef Elon Musk lehnt den Einsatz von Laserscannern beim autonomen Fahren ab , während Hersteller wie Daimler dieses Sensorprinzip aus Sicherheitsgründen für unverzichtbar halten . Ob VW ebenfalls auf Laserscanner verzichten will, geht aus dem Interview jedoch nicht direkt hervor.

Diess fordert schnellen Kohleausstieg

Aber auch beim Thema Elektrifizierung muss Volkswagen dem Interview zufolge auf die Konkurrenz von Tesla reagieren. "Tesla baut in Deutschland eine große Batteriezellfabrik mit extrem aggressiven Kostenzielen. Wie stellen wir uns diesem Wettbewerb? Wie geht es mit der Ladeinfrastruktur weiter?" , fragte Diess mit Blick auf die Ankündigung von Tesla-Chef Elon Musk, in Grünheide bei Berlin die weltgrößte Batteriefabrik bauen zu wollen.

Mit Blick auf den Klimawandel forderte der VW-Chef einen schnellen Kohleausstieg. Der Grund: "Das ist die günstigste Methode, den CO2-Ausstoß zu senken. Es wäre völlig unsinnig, jetzt Elektromobilität einzuführen und nicht gleichzeitig die erneuerbaren Energien schnell auszubauen. Wenn wir unsere Elektroautos nur mit Kohlestrom laden, haben sie für den Klimaschutz keinen Vorteil gegenüber einem Verbrenner." Aus wissenschaftlicher Sicht müsse "jetzt einfach gehandelt werden, denn der Klimawandel ist real und duldet keinen weiteren Aufschub" . Allerdings müsse man bei der Regulierung aufpassen, dass man an der richtigen Stelle ansetze. "Man sollte den Klimaschutz so effizient wie möglich gestalten" , forderte Diess.

Nachtrag vom 9. Dezember 2020, 13:33 Uhr

Auf Anfrage von Golem.de sagte Firmensprecherin Maj-Britt Peters, dass VW bei autonomen Autos im Gegensatz zu Tesla nicht auf Laserscanner verzichten wolle. "Der Volkswagen Konzern setzt bei vernetzten Fahrerassistenzsystemen (Level 2) auf eine 360-Grad-Erkennung mittels Kameras und Radarsensoren rund um das Fahrzeug. Für höhere Automatisierungsgrade sieht unser skalierbares Architekturkonzept ergänzend Laserscanner vor. Diese Sensorvielfalt und damit verbundene zusätzliche Redundanz in der Umfelderkennung erhöht sowohl die Leistungsfähigkeit als auch die Sicherheit der Systeme."

Mit Blick auf das Betriebssystem VW.OS ergänzte Peters, dass das System schrittweise aufgebaut und bereits im MEB eingesetzt werde. Die "einheitliche Software-Plattform mit dem vollen Funktionsumfang" werde hingegen erst 2024 in dem Audi-Projekt Artemis eingesetzt. "Wir vollziehen damit den Paradigmenwechsel von einer vertikalen hin zu einer horizontal geschichteten Elektronik-Architektur und entkoppeln die Hardware von der Software" , sagte Peters weiter. Von Mitte des Jahrzehnts an sollen dann sukzessive alle neuen Modellgenerationen im Volkswagen-Konzern auf der einheitlichen Software-Plattform mit dem VW.OS laufen.


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