Atomic Heart im Test: Kreativ-Kolchose trifft Schrotgewehr

Nicht Computerprozessoren, sondern ein Polymer verändert den Verlauf der Geschichte in Atomic Heart. Weil der Kunststoff von Erfindern in Laboren der Sowjetunion entsteht, verkürzt sich der Zweite Weltkrieg und das Reich im Osten gelangt zu Ruhm und Reichtum. Nur um dann Probleme zu bekommen, die es überall geben könnte: Die Roboter drehen durch.
Unser Job in Atomic Heart ist es, als Agent P3 in der Ich-Perspektive möglichst viele Maschinenwesen in Altmetall zu verwandeln und herauszufinden, was eigentlich los ist. In der rund 15 Stunden langen Kampagne, die mit Nebenmissionen ungefähr doppelt so umfangreich ausfällt, kommen wir nach und nach hinter allerlei düstere Geheimnisse.
Das Spiel lebt sehr von der Optik. So steigen wir unmittelbar nach dem Einstieg in ein Auto - aber wir fahren damit nicht, sondern werden von einem Flugroboter emporgehoben und zum Einsatzort geflogen. Und zwar über Wolken und mit prächtiger Aussicht auf schwebende Städte!
Später sind wir viel in Innenräumen unterwegs, auch in Lüftungsrohren. Zwar kommen wir immer wieder an die frische Luft und sind in scheinbar weiten Umgebungen unterwegs, eine offene Welt gibt es aber nicht. Atomic Heart ist letztlich sogar ein recht lineares Spiel.
Neben den schwebenden Städten wirken noch weitere Details wie Leihgaben aus Bioshock: Spielerisch gibt es eine Mischung aus Kämpfen mit Waffen und übernatürlichen Fähigkeiten, angereichert mit Rätseln und Rollenspielelementen.
Die Gestaltung erinnert mit vielen 50er-Jahre-Elementen an Fallout. Wir haben außerdem öfter an Control (monumentale Gebäude) und an Portal (einige Rätsel) gedacht.
In den Kämpfen müssen wir vor allem auf kurze Distanz aufpassen, nicht Opfer feindlicher Spezialangriffe zu werden - teils müssen wir sie wie bei Quicktime-Events abwehren. Wir fanden das eher nervig, es lässt sich aber durch Distanz halbwegs gut vermeiden. Der mittlere von drei Schwierigkeitsgraden ist durchaus fordernd. Neben Standardgegnern gibt es auch Oberbosse.
Eine von vielen Besonderheiten: Wir müssen stellenweise in schwebende Gänge aus Polymer eintauchen und darin wie in Wasser schwimmen. Zwar ohne Luftknappheit, aber die Orientierung ist wegen der verschwommenen Sicht nicht ganz einfach.
Ebenfalls wichtig ist unser Hightech-Handschuh namens CHAR-les. Der versorgt einen Teil unserer Ausrüstung mit Energie, vor allem aber spricht er als Sidekick mit uns und hilft bei der Orientierung oder beim Einordnen von Ereignissen.
Nebenbei saugt er mit seinen Superkräften nützliche Gegenstände und Munition an - was übrigens todschick animiert ist. Atomic Heart ist eines dieser Spiele, in denen wir ständig auf Knopfdruck etwa Schubladen, Kleiderschränke, Roboterleichen und mehr durchsuchen müssen.
Die auf der Unreal Engine 4 basierende Grafik macht über weite Strecken einen hervorragenden Eindruck. Insbesondere die Roboterwesen mit ihren aufwendigen Animationen finden wir beeindruckend - sie sehen nicht wie in einem Spiel, sondern wie in einem aufwendigen Film aus.
Dennoch braucht das Programm keinen auffällig leistungsstarken Rechner ( Systemanforderungen ). Merkwürdig: Die im Vorfeld besonders herausgestellte Unterstützung von Raytracing fehlt. Größere Bugs und Abstürze sind uns nicht aufgefallen, ein paar kleinere Fehler dürften noch per Patch korrigiert werden.
Atomic Heart: Bezug zu Russland, Verfügbarkeit und Fazit
Das Spiel ist aus politischen Gründen umstritten - die ukrainische Regierung fordert sogar einen Verkaufsstopp . Grund: Das Entwicklerstudio hat seinen Sitz auf Zypern, die Gründer stammen aber aus Russland. Neben dem chinesischen Technologiekonzern Tencent gibt es mit Gaijin Entertainment und Gem Capital auch Investoren mit russischem Hintergrund, die an Gewinnen beteiligt sein dürften.
Es könnte also sein, dass man mit dem Kauf von Atomic Heart indirekt den Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Publisher von Atomic Heart ist das französische Unternehmen Focus Entertainment.
Mundfish hält sich mit öffentlichen Stellungnahmen zu Politik und Krieg zurück - möglicherweise schlicht aus Rücksicht auf die Sicherheit von Familie und Freunden in Russland. Bekannt ist primär ein Beitrag auf Twitter(öffnet im neuen Fenster) , in dem man sich als "globales Team" und als "Pro-Frieden-Organisation" bezeichnet, und "Gewalt gegen Menschen" ablehnt.
Der aus Australien stammende, in der Spielebranche bekannte Komponist Mick Gordon hat sein Honorar für die Musik in Atomic Heart über das Rote Kreuz für Krisenhilfe in der Ukraine gespendet. In einem längeren Beitrag auf Twitter(öffnet im neuen Fenster) findet er nur freundliche Worte über die Entwickler bei Mundfish.
Die im Spiel gezeigte Sowjetunion und einige nebensächliche Anspielungen auf Hitler-Deutschland wirken auf uns unpolitisch. Handlung und Szenario kann man auch dahingehend verstehen, dass hinter den prächtigen Fassaden des Reichs ziemlich viel Übles passiert.
Atomic Heart ist für Playstation 4 und 5, Xbox One und Series X/S (jeweils 70 Euro) sowie für Windows-PC (Steam, rund 60 Euro) erhältlich. Außerdem ist es im Spieleabo PC/Xbox Game Pass (ab rund 10 Euro/Monat) enthalten.
Es gibt weder Mikrotransaktionen noch Multiplayer. Die deutsche Sprachausgabe ist gelungen, insbesondere die Stimme der Hauptfigur finden wir sogar angenehmer als die großmäulig klingende englische Version. Die USK hat eine Freigabe ab 18 Jahren erteilt.
Fazit
Mit den Ideen aus Atomic Heart könnte man locker zwei bis drei Spiele füllen. Vor allem optisch ist der Ausflug ins sowjetische Paralleluniversum eine Wucht. Egal ob Lagerhalle oder Außengebiet: Fast alle Umgebungen sehen schön bis spektakulär, gleichzeitig aber auch irgendwie ungewöhnlich aus - und das bei akzeptablen Hardwareanforderungen.








Ähnlich gilt das für viele Details, etwa für die vielen fantastisch gemachten Robotergegner - aber nicht nur. Selbst so etwas Nebensächliches wie Türschlösser wirken viel interessanter gestaltet als in den allermeisten anderen Spielen.
Nicht ganz so begeistert sind wir vom Gameplay. Die Mischung aus größtenteils originellen Rätseln und Rollenspielelementen plus Kämpfen und Klettern mit Springen ist zwar enorm abwechslungsreich.
Just bei den Feuergefechten schwächelt Atomic Heart allerdings. Das Gunplay wirkt wenig wuchtig, viele feindliche Angriffe werfen uns zu stark durch die Gegend - das nervt stellenweise sehr. So etwas wie Flow kommt kaum auf.
Das wird noch verstärkt durch die ärgerlich verworrene Handlung und den merkwürdig deplatziert wirkenden Helden. Warum steuern wir eine Billigversion von Duke Nukem, wenn ein Artjom (aus Metro) so offensichtlich viel stimmiger wäre?
Unterm Strich ist Atomic Heart als Spiel dennoch eine klare Empfehlung, auch wenn es etwas mehr als nötig und wünschenswert von der wahnsinnig guten Optik lebt und Schwächen beim Gameplay hat.



