Assange-Auslieferung: Kein Freibrief für die Pressefreiheit
Ein Londoner Gericht hat die Auslieferung Julian Assanges abgelehnt. Doch die Begründung überzeugt die Verfechter der Pressefreiheit nicht.

Julian Assange dürfte es zunächst einmal egal sein, aus welchen Gründen er nicht von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden darf. Die Gefahr, dass er aus Angst vor der Behandlung in den dortigen Gefängnissen seinem Leben lieber ein Ende setzt, dürfte nach den Ausführungen der Gutachter tatsächlich "erheblich" sein, wie es die Richterin Vanessa Baraitser formulierte. Doch für das von ihm gegründete Projekt Wikileaks bedeutet die Entscheidung, dass Whistleblower nicht generell vor einer Auslieferung geschützt sind. Ganz gleich, wie wichtig ihre Enthüllungen für die Öffentlichkeit sind.
So heißt es in dem 132-seitigen Urteil: "Die freie Meinungsäußerung stellt keine 'Trumpfkarte' dar, selbst wenn Angelegenheiten offengelegt werden, die die Öffentlichkeit ernsthaft beunruhigen, und sie bietet einigen, wie Herrn Assange, kein uneingeschränktes Recht, über das Schicksal anderer auf Grundlage ihrer teilweise informierten Risikoeinschätzung zu entscheiden."
Diese Einschätzung betrifft beispielsweise die Veröffentlichung ungeschwärzter Botschaftsdepeschen. Darin wurden Namen von Personen genannt, die US-Diplomaten über die Situation in ihrem Heimatland informiert haben. Das konnte die Menschen in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Dem Urteil zufolge verwiesen die USA in dem Prozess darauf, dass die Vorwürfe gegen Assange auf Dokumente beschränkt seien, die nicht geschwärzte Namen von Quellen enthielten.
Reporter ohne Grenzen besorgt
Ob die Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen tatsächlich von Wikileaks beabsichtigt wurde und inwieweit die genannten Personen tatsächlich gefährdet wurden, wird von Assanges Anwälten und den USA unterschiedlich bewertet. Die Richterin kommt daher zu dem Schluss: "Assange würde durch die Auslieferung in die USA keine Ungerechtigkeit oder Beeinträchtigung erleiden, wenn er vor Gericht seinen Fall verteidigen könnte."
Für Assanges Unterstützer wie die Organisation Reporter ohne Grenzen geben diese Teile des Urteils jedoch "Anlass zu großer Sorge". Geschäftsführer Christian Mihr, der den Prozess in London mitverfolgen konnte, sagte der Nachrichtenagentur dpa weiter: "Die Richterin hält die Anklagepunkte der USA in der Sache für gerechtfertigt und gibt dem Auslieferungsantrag nur deshalb nicht statt, weil Assange in schlechter gesundheitlicher Verfassung ist. Das lässt eine Hintertür offen für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten weltweit, die geheime Informationen von großem öffentlichen Interesse veröffentlichen, wie es Assange getan hat."
Diese Aussage trifft in ihrer Pauschalität sicherlich nicht zu. Folgt man der Argumentation der USA, dürfte selbst US-Whistleblower Edward Snowden nicht ausgeliefert werden, da er mit der Weitergabe streng geheimer NSA-Unterlagen keine Personen gefährdet hat. Zudem wollte die Bezirksrichterin eben nicht die schwierige Abwägung übernehmen, ob die Gefährdung von Personen mit dem Interesse der Öffentlichkeit an den Dokumenten gerechtfertigt werden kann.
Kein pauschaler Freibrief für Whistleblower
Einen pauschalen Freibrief für Whistleblower gibt es mit der Entscheidung daher nicht. Nach Ansicht des britischen Guardian hat das Gericht daher "die richtige Entscheidung mit den falschen Gründen" getroffen. Denn im Fall Assange gehe es "um Journalismus, die freie Presse und vor allem um die Möglichkeit, Gräueltaten aufzudecken, die von der letzten verbliebenen Supermacht der Welt begangen wurden".
Das ist sicher richtig. Aber richtig ist auch, dass sich Assange mit der Veröffentlichung der unredigierten Dokumente angreifbar gemacht hat und die USA nun versuchen, diesen wunden Punkt auszunutzen. Journalisten und Nachrichtenmedien wissen, dass die Pressefreiheit nicht grenzenlos ist und einen verantwortungsvollen Umgang mit Informationen und Informanten verlangt. Die erste Instanz zur Auslieferung Assanges war offenbar nicht der geeignete Ort, über die damit verbundenen Grundsatzfragen zu entscheiden.
IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach).
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