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Arbeitsrecht: Was bei einer Krankschreibung erlaubt ist

Wer blaumacht, muss mit einer Kündigung rechnen. Das heißt aber nicht, dass man bei einer Krankschreibung ans Haus gefesselt ist. Je nach Erkrankung ist sogar ein Urlaub möglich.
/ Harald Büring
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Gute Besserung: Wer krank ist, sollte sich zu Hause auskurieren. Auf jeden Fall sollte er oder sie nichts "Genesungswidriges" machen, sonst schreitet möglicherweise der Arbeitgeber ein. (Bild: Pixabay)
Gute Besserung: Wer krank ist, sollte sich zu Hause auskurieren. Auf jeden Fall sollte er oder sie nichts "Genesungswidriges" machen, sonst schreitet möglicherweise der Arbeitgeber ein. Bild: Pixabay

Rund zehn Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland machen gelegentlich blau. Das hat eine Umfrage von Harris Interactive im Auftrag von Glassdoor ergeben - höhere Dunkelziffer nicht ausgeschlossen. Neben einer fristlosen Kündigung kann vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit für Arbeitnehmer auch strafrechtliche Folgen haben. Hier kommt vor allem ein Betrug gemäß § 263 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)(öffnet im neuen Fenster) in Betracht.

Häufiger sind aber arbeitsrechtliche Folgen. Grundsätzlich ist eine fristlose Kündigung zulässig, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)(öffnet im neuen Fenster) besteht. Dabei muss im Einzelfall abgewogen werden, ob das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher zu gewichten ist als das Interesse des Arbeitnehmers an einer Fortsetzung. Durch das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit verletzen Arbeitnehmer auf schwere Weise ihre Pflichten und missbrauchen das Vertrauen ihres Arbeitgebers auf erhebliche Weise.

Doch auch wenn Arbeitnehmer wirklich arbeitsunfähig sind, müssen sie aufpassen. Denn sie dürfen sich nicht genesungswidrig verhalten. Tun sie es, dürfen Arbeitgeber sie unter Umständen ebenfalls fristlos kündigen.

Aber was heißt genesungswidrig - oder anders gefragt: Wann machen Arbeitnehmer blau, indem sie Arbeitsunfähigkeit vortäuschen? Was dürfen krankgeschriebene Arbeitnehmer in der Freizeit machen und was nicht? Diese Fragen stellen sich besonders, wenn Mitarbeiter ihr Freizeitverhalten etwa bei Facebook, Whatsapp oder Instagram posten.

So war es bei einer Mitarbeiterin, die als Gesundheits- und Krankenpflegeassistentin tätig war. Ihr Dienstplan sah vor, dass sie Samstag und Sonntag im Spätdienst arbeiten sollte. Stattdessen meldete sie sich wegen Grippe krank. Am Montag darauf stellte ein Arzt ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) aus, allerdings nicht wegen einer Grippe, sondern wegen psychischer Probleme.

Nachdem ihr Arbeitgeber auf einige Fotos bei Whatsapp aufmerksam geworden war, wonach sie an dem besagten Wochenende an einer White-Night-Ibiza-Party teilgenommen hatte, kündigte er ihr fristlos. Die Mitarbeiterin war damit nicht einverstanden und erhob Kündigungsschutzklage. Damit hatte sie allerdings keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht Siegburg wies ihre Klage ab. Die Richter begründeten das damit, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe. Das ergebe sich daraus, dass sie laut der Whatsapp-Bilder an der Party teilgenommen hatte.

War es nun eine Grippe - oder eine psychische Erkrankung?

Nach Einschätzung des Gerichtes war auf den Bildern gut zu erkennen, dass sie sich in einem Top-Gesundheitszustand befunden hatte. Zudem sei der Beweiswert der nachträglich ausgestellten AU dadurch "erschüttert" , dass sie (mündlich) beim Arbeitgeber eine andere Erkrankung angegeben hatte, als in der nachträglich ausgestellten AU stand (Urteil vom 1. Dezember 2022, Aktenzeichen 5 Ca 1200/22)(öffnet im neuen Fenster) . Diese Entscheidung ist mittlerweile rechtskräftig.

Anders ging die Sache für eine Gesundheits- und Altenpflegerin aus, die sich, nachdem sie selbst gekündigt hatte, zweimal kurz hintereinander hatte krankschreiben lassen.

Bei Krankschreibung nicht ans Haus gefesselt

Die erste AU war für vier Tage ausgestellt worden, die zweite für zwölf Tage. Nachdem sie auf Facebook gepostet hatte, dass sie während des zweiten Zeitraums einen etwa einwöchigen "wunderbaren Urlaub auf Sylt mit meinem Liebsten" verbracht habe, wandte sich ihr Arbeitgeber an die Krankenkasse der Arbeitnehmerin. Er forderte sie zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung auf. Als es dazu nicht kam, kündigte der Arbeitgeber der Frau fristlos.

Sie klagte dagegen und berief sich darauf, dass sie psychisch krank gewesen und unter einer Belastungsreaktion gelitten habe. Der Arbeitgeber warf ihr hingegen vor, ihre Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und ein genesungswidriges Verhalten an den Tag gelegt zu haben.

Das Arbeitsgericht Hamm gab der Klage der Mitarbeiterin statt, der Arbeitgeber ging in Berufung - und hatte damit keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Hamm sah die Berufung als unbegründet an.

Die Begründung: Es fehle an einem wichtigen Grund, denn ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit seien aufgrund der Bezeichnung des Sylt-Aufenthaltes als Urlaub nicht ersichtlich. Denn Arbeitnehmer müssen sich bei einer Krankschreibung nicht zwangsläufig zu Hause aufhalten.

Wenn ein Patient laut der AU unter einer "Reaktion auf eine schwere psychische Belastung" leidet, spreche dies nicht gegen einen einwöchigen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel. Hierdurch werde die Richtigkeit dieser Bescheinigung nicht in Zweifel gezogen.

Wenn auf den bei Whatsapp geposteten Bildern zu erkennen ist, dass es dieser Arbeitnehmerin gut geht, sei dies bei einer psychischen Belastungsreaktion positiv zu sehen. Es spreche dafür, dass sie sich auf dem Weg der Besserung befindet. Wegen der fehlenden Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit spiele es hier keine Rolle, dass die Arbeitnehmerin die vertrauensärztliche Untersuchung nicht wahrgenommen hat.

Urlaub in diesem Fall nicht genesungswidrig

Darüber hinaus könne der Arbeitnehmerin auch kein genesungswidriges Verhalten vorgeworfen werden, weil sich der Aufenthalt auf ihre Genesung positiv auswirke (Urteil vom 13. März 2015, Aktenzeichen 1 Sa 1534/14)(öffnet im neuen Fenster) . Diese Entscheidung ist ebenfalls rechtskräftig.

An diesen beiden Fällen wird deutlich: Die Frage, wann Arbeitnehmer Arbeitsunfähigkeit vortäuschen beziehungsweise sich grob genesungswidrig verhalten, ist gar nicht so leicht zu beantworten.

Ein grob genesungswidriges Verhalten kommt vor allem in Betracht, wenn Arbeitnehmer trotz Krankschreibung für die Konkurrenz tätig sind. Das hat das Bundesarbeitsgericht in dem folgenden Fall klargestellt.

Hier war ein angestellter Schlosser wegen eines Zervikalsyndroms mit ausstrahlenden Schmerzen im Nacken- und Halsbereich krankgeschrieben, verrichtete aber bei Nachtschichten eine körperlich anstrengende Tätigkeit. Das Gericht ging hier also davon aus, dass er die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hatte. Das Bundesarbeitsgericht hat die Sache zwecks Überprüfung an die Vorinstanz zurückverwiesen (Urteil vom 26. August 1993, Aktenzeichen 2 AZR 154/93).

Vorsicht beim Verpetzen von Kollegen

Ähnliches gilt für Freizeitaktivitäten, die nicht mit dem Ziel der Genesung in Einklang zu bringen sind. Das hatte das Bundesarbeitsgericht beispielsweise bei einem Arbeitnehmer bejaht, der wegen einer Hirnhauterkrankung krankgeschrieben worden war. Gleichwohl fuhr er in die Alpen zum Skifahren und brach sich bei einem Skiunfall das Schien- und Wadenbein, was zu einer Verlängerung seiner Arbeitsunfähigkeit führte (Urteil vom 2. März 2006, Aktenzeichen 2 AZR 53/05)(öffnet im neuen Fenster) .

Übrigens muss längst nicht jedes bei Facebook gepostete Verhalten bedenklich sein. Das sollten neben dem Arbeitgeber auch Arbeitskollegen berücksichtigen, die etwa ein vermeintlich verdächtiges Foto bei Facebook oder Whatsapp vorfinden.

Beispielsweise war ein Arbeitnehmer von seinen Kollegen gemeldet worden, weil er sich angeblich während seiner Krankschreibung wegen einer Knieverletzung in Cafés aufgehalten habe. Er war bei Facebook auf einem Bild in einem Café zu sehen, allerdings stammte das Foto gar nicht aus dem Zeitraum, in dem er krankgeschrieben war.

Er beschimpfte die Kollegen daraufhin als "Speckrollen" und "Klugscheißer" , weshalb ihm der Arbeitgeber kündigte. Das Arbeitsgericht Duisburg hob zwar hervor, dass solche Beleidigungen eigentlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Gleichwohl sah das Gericht die Kündigung als unwirksam an, weil er die Äußerungen im Affekt wegen der nicht zutreffenden Anschuldigungen gemacht habe (Urteil vom 26. September 2012, Aktenzeichen 5 Ca 949/12)(öffnet im neuen Fenster) .

So war es auch im Fall eines Lageristen, der wegen einer Magen-Darmentzündung krankgeschriebenen war und den ein Vorgesetzter beim Einpacken von Pizzas in Pizzakartons beobachtet hatte. Er machte ein Foto von ihm, was zur Folge hatte, dass der Arbeitgeber dem Lageristen fristlos kündigte. Er warf ihm vor, seine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht zu haben - zumindest aber, dass er sich grob genesungswidrig verhalten habe.

Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers war erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht Köln entschied, dass die Kündigung rechtswidrig war. Die Richter begründeten das damit, dass der Arbeitgeber seine Vorwürfe nicht beweisen konnte.

Freundschaftsdienst nicht genesungswidrig

Nach Darstellung des Arbeitnehmers hatte es sich nur um einen zehnminütigen Freundschaftsdienst gehandelt. Das konnte der Arbeitgeber laut Gericht nicht widerlegen (Urteil vom 10. Dezember 2020, Aktenzeichen 8 Sa 491/20)(öffnet im neuen Fenster) .

Genauso sah das das Arbeitsgericht Berlin bei einer Vertriebsmitarbeiterin, die trotz Krankschreibung wegen einer Hüfterkrankung weiterhin an ihrem Abendstudium der Betriebswirtschaftslehre teilgenommen hatte und dabei von einem Vorgesetzten erwischt worden war.

Das Gericht sah hierin kein grob genesungswidriges Verhalten und erst recht kein Indiz für eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass sich die Schule in der Nähe ihrer Wohnung befand, so dass sie dorthin nur etwa fünf Minuten mit dem Auto benötigte. Es gab der Klage der Arbeitnehmerin statt und stellte fest, dass die fristlose Kündigung des Arbeitgebers unwirksam war (Urteil vom 15. April 2016, Aktenzeichen 28 Ca 1714/16)(öffnet im neuen Fenster) . Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

Fazit

Krankgeschriebene Arbeitnehmer müssen sich normalerweise nicht nur zu Hause aufhalten. Jedoch können das Ausüben von Nebenbeschäftigungen, von Risikosportarten und ausgiebiges Durchfeiern zum Problem werden.

Mitarbeiter sollten zudem darauf achten, dass ihre Postings in sozialen Netzwerken keine Missverständnisse hervorrufen. Ebenso wenig dürfen Arbeitgeber und Kollegen daraus voreilige Schlüsse ziehen.


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