Altris: Kathodenmaterial für Natrium-Ionen-Akkus kommt aus Schweden

Natrium-Ionen-Akkus sollen auch in Europa hergestellt werden, nicht nur in China und Indien. Die Firma Altris baut dafür in Schweden eine Pilotfabrik für Kathodenmaterial(öffnet im neuen Fenster) , die eine Produktionskapazität von 1 Gigawattstunde (GWh) pro Jahr erreichen soll. Das entspricht 10 Tonnen am Tag und 2.000 Tonnen pro Jahr. Sie verwendet dafür einen selbst entwickelten Prozess. Die "Ferrum" genannte Pilotfabrik soll 2023 fertiggestellt sein und den Weg für noch größere Fabriken ebnen. Außerdem soll sie Kunden mit genug Akkumaterial für Prototypen und die Kleinserienproduktion versorgen.
Das Fennac genannte Material ist chemisch das gleiche Material, das auch der weltgrößte Akkuhersteller CATL in der ersten Generation seiner Natrium-Ionen-Akkus benutzt. Die chemische Struktur ist ein Preußisch-Blau-Analog, ähnlich dem blauem Farbstoff. Der Stoff wird aber weiß, wenn er wasserfrei und vollständig mit Natrium versetzt ist. Er heißt in dieser Form Preußisch Weiß. Der Name Fennac kommt von den Bestandteilen: Fe für Eisen, N für Stickstoff, Na für Natrium und C für Kohlenstoff. Die Produktion soll selbst bei niedrigen Lithium-Preisen 20 bis 30 Prozent billiger sein als die Herstellung von Lithiumeisenphosphat (LFP).
In der Energiedichte ist Fennac mit LFP vergleichbar. Aber Fennac nimmt wegen der niedrigeren Dichte von 2,1 g/cm³ in der Kathode mehr Volumen ein als LFP mit 3,7 g/cm³. Es hat eine Kapazität von 160 mAh/g und rund 500 Wh/kg, etwa 93 Prozent des theoretischen Maximums und genauso viel wie das Material von CATL. Altris konnte mit den entwickelten Akkuzellen im Labor 2.241 Ladezyklen demonstrieren, bis sie 20 Prozent der Kapazität nach dem ersten Ladezyklus verloren.


Testzellen halten über 2.000 Ladezyklen
Die Zellen von Altris verwenden Anoden aus einem einfachen kommerziell lieferbaren harten Kohlenstoff. Dazu kommen ein selbstentwickeltes Elektrolyt auf Basis von Bor statt Fluor und ein Bindemittel aus umweltfreundlicher Zellulose. Das Kathodenmaterial macht nur einen Teil des Akkus aus. Deshalb liegt das Entwicklungsziel für die eigenen Akkuzellen von Altris laut Technikchef Tim Nordh nur bei 140 Wh/kg, auch wenn das Kathodenmaterial allein auf 500 Wh/kg kommt. Das ist vergleichbar mit den angekündigten Akkuzellen von Lifun, die aber ein anderes Kathodenmaterial aus Schichtoxiden verwenden.


Natürlich können Akkus mit einem Kathodenmaterial, das 500 Wh/kg liefert, auch mehr als 140 Wh/kg erreichen. CATL stellte 2021 Akkus mit dem gleichen Material und 160 Wh/kg vor. Ein wichtiger Faktor ist in den Diagrammen von Altris zu sehen. In der Testzelle liefert das Fennac-Material im ersten Ladezyklus nur 130 mAh/g statt der 160 mAh/g, die es theoretisch liefern könnte. Der Rest des Natriums bleibt hauptsächlich im Anodenmaterial hängen. Inzwischen gibt es bessere, für Natrium optimierte Kohlenstoffe mit geringeren Verlusten und höherer Kapazität.
Laut Nordh könnte auch Altris mit einem Anodenmaterial mit 350 mAh/g Kapazität, wie es CATL vorgestellt hat, 160 Wh/kg erreichen. Bislang gibt es aber in Europa noch keine Hersteller von Kohlenstoff für Natrium-Anoden. Das ist ein ernsthafter limitierender Faktor, wenn die Produktion in Europa unabhängig von asiatischen Exporteuren sein soll. Aber Altris ist nicht auf den europäischen Markt angewiesen und bereitet längst den Export des Materials vor.
Die Ferrum-Fabrik soll dabei helfen, einen eigenen Kundenstamm für die nächste Fabrik aufzubauen.
Altris schafft sich die eigene Kundschaft
Der genaue chemische Prozess zur Herstellung von Fennac ist Altris' Geschäftsgeheimnis. Aber der Ausgangsstoff ist Natrium-Hexacyanidoferrat, auch bekannt als Lebensmittelzusatz E535, der das Verklumpen von Speisesalz verhindert. Den letzten Verarbeitungsschritt, die Trocknung zur Entfernung von Wasser, das chemisch in den Kristallen gebunden ist, muss der Hersteller in der Akkufabrik selbst durchführen. Denn danach ist das Material hygroskopisch, zieht also Feuchtigkeit an. Aber zuvor kann das Material bis zur Verwendung problemlos tonnenweise in sogenannten Big Bags transportiert und gelagert werden.
Transport- und Lagerfähigkeit sind wichtig. Denn das Ziel der Ferrum-Fabrik ist nicht nur, die Entwicklung eigener Akkus von Altris voranzutreiben, sondern auch anderen Firmen den Bau größerer Serien von Akku-Prototypen für industrielle Anwendungen zu ermöglichen. Für Laborversuche reichen wenige Kilogramm(öffnet im neuen Fenster) , aber Kleinserien von Akkupacks für Autos und Busse oder stationäre Stromspeicher benötigen tonnenweise Material, das Technologiefirmen nach der erfolgreichen Entwicklung der Akkuzellen im Labor oft nicht zur Verfügung steht.
Die Fabrik von Altris kann die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Akkus von verschiedenen Firmen anstoßen und ihre Kommerzialisierung beschleunigen. Je mehr Firmen erfolgreich Akkus damit entwickeln, desto mehr potenzielle Kunden gibt es für das Material von Altris. Besonders in China, wo die Entwicklung von Natrium-Ionen-Akkus staatlich unterstützt wird, ist das Interesse groß. Altris hat deshalb im November 2021 ein Büro in Guangzhou eröffnet.
Ohne CATL gab es kaum Geld für Natrium
China ist zum Zentrum der Natrium-Ionen-Akku-Technik geworden, obwohl sie ursprünglich aus Europa und den USA stammt, aber bisher immer wieder an fehlenden Investitionen scheiterte. So entstand die US-Firma Novasis aus dem E-Arpa-Programm der US-Regierung. Das stellte 2,9 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um vollständige Natrium-Ionen-Akkus zu entwickeln. In dem Rahmen wurden zwar nicht tausende Tonnen hergestellt, aber es wurde gezeigt, dass es beim Übergang vom Labormaßstab auf einige hundert Kilogramm von Preußisch Blau keine nennenswerten Probleme gibt. Es wurde auch gezeigt, dass zum Bau der Akkus die gleichen Industrieanlagen benutzt werden können, die für Lithium-Ionen-Akkus entwickelt wurden.
Aber die anschließend gegründete Firma Novasis fand keine interessierten Investoren. Das war kein Einzelfall. Laut dem Finanzportal Crunchbase musste die britische Firma Faradion von 2013 bis 2021 mit einer Finanzierung von 4 Millionen US-Dollar(öffnet im neuen Fenster) und Kooperationen mit anderen Firmen über die Runden kommen. Für Unternehmen in der Akkuindustrie sind das kaum nennenswerte Beträge. Erst als sich Ende 2020 eine Lithium-Knappheit einstellte, die bis 2022 zu mehr als einer Verzehnfachung der Handelspreise führte, änderten sich die Prioritäten in der Branche.
Endlich gibt es Geld von Investoren
Altris sah sich den gleichen Geldproblemen gegenüber wie alle anderen Entwickler von Natrium-Ionen-Akkus. So freute sich die Firma noch im April 2021 über eine Investition von umgerechnet 300.000 Euro.(öffnet im neuen Fenster) Aber dann stellte CATL im Juli 2021 die Pläne für Natrium-Ionen-Akkus vor und machte deutlich, dass Auswege aus der Lithium-Knappheit existieren. Seitdem haben Investoren sehr viel mehr Interesse an der Technologie.
Faradion konnte 2021 durch eine Kooperation mit dem britischen Akkuhersteller AMTE erste Prototypen in größeren Mengen bauen und die Technologie demonstrieren. Die Firma wurde im Dezember 2021 für 117 Millionen Euro von Reliance Industries aufgekauft. Der Bau der Ferrum-Fabrik von Altris brauchte nur eine Investition von 9,6 Millionen Euro. Das Geld dafür kommt hauptsächlich von der Investitionsfirma Monolindo(öffnet im neuen Fenster) , dem Akkuhersteller Northvolt und dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut EIT.
Die Geldbeträge erreichen zwar noch längst nicht das Ausmaß der Investitionen in Firmen wie Quantumscape , die Milliarden an Investitionsgeldern einwarb und allein von VW 150 Millionen Euro bekam, noch bevor die Firma auch nur eine funktionierende Akkuzelle vorzuweisen hatte. Aber für Natrium-Ionen-Akkus muss auch keine völlig neue Fertigungstechnik erfunden werden. Sie können wie herkömmliche Lithium-Ionen-Akkus gebaut werden und erfordern deshalb wesentlich weniger Investitionsgelder.
Eine europäische Industrie braucht weitere Investitionen
Es werden aber weitere Investitionen nach dem Bau der Pilotfabrik nötig sein, um ausreichend Material für die Massenfertigung von Akkus in Europa zur Verfügung zu haben. Die Grenzen werden nicht durch die Verfügbarkeit der Rohstoffe gesetzt, sondern durch die Produktionskapazität der Anlagen. Selbst wenn die Produktion der Kathoden gesichert ist, muss noch der harte Kohlenstoff als Anodenmaterial produziert werden. Stora Enso, eine schwedisch-finnische Firma für Holzprodukte, soll aber nach eigenen Angaben(öffnet im neuen Fenster) in der Lage sein, mehr als 300.000 Tonnen jährlich aus Lignin zu produzieren, ein Abfallstoff der im Normalfall verbrannt wird.
Ohne weitere Investitionen in Europa wird es auch bei Natrium-Ionen-Akkus zu einer Abhängigkeit von Asien kommen. Denn in China werden der Bau und die Entwicklung von Natrium-Ionen-Akkus im Rahmen der Strategie zur Sicherung strategischer Rohstoffe auf staatlicher Ebene und Provinzebene gefördert. In Europa konzentriert sich diese Strategie dagegen bislang nur auf die Sicherung der größtenteils ausländischen Quellen von Lithium, Nickel, Kobalt und Graphit, nicht auf die Entwicklung von Alternativen, die besser verfügbar sind.
Nachtrag vom 16. Mai 2022, 19:56 Uhr
Ein Leser machte Golem.de darauf aufmerksam, dass die Firma Stora Enso die Produktion von hartem Kohlenstoff plane, der auch für Natrium-Ionen-Akkus geeignet sei. Der Artikel wurde entsprechend ergänzt.



