30 Jahre Ultima 8 Pagan: Episches Rollenspiel trifft Super Avatar Bros

Seit etwa einem halben Jahrhundert haben wir Spaß mit Computerspielen. Das Medium hat sich in Rekordzeit von abstrakten Schwarz-Weiß-Blöcken zu fotorealistischen 3D-Spielwelten entwickelt. Es gibt Hunderte von Games, die das Medium zu dem gemacht haben, was es heute ist. Und nach meiner bescheidenen Ansicht hat keine Serie so viel dazu beigetragen wie Ultima.
Schon das erste Ultima von 1981 kombinierte eine 2D-Oberwelt mit 3D-Dungeons. Der Nachfolger schickte die Spieler durch verschiedene Epochen. Der dritte Teil bot eine offene Welt voller Geheimnisse.
Ultima 4 entfernte sich vom "Rette die Prinzessin/Töte den Bösewicht"-Ansatz und zwang die Spieler, über moralische Werte nachzudenken. Teil 5 führte einen komplexen Tag- und Nachtzyklus ein; jeder NPC ging einem geregelten Tagesablauf nach.
In Ultima 6 verabschiedete sich Serienschöpfer Richard "Lord British" Garriott von der abstrakten Schwarz-Weiß-Grafik und modellierte das Rollenspiel aus einem Guss, anstatt zwischen Oberwelt, Städten und Dungeons zu unterscheiden.
Der siebte Teil ermöglichte das Aufheben, Verschieben und Manipulieren von praktisch jedem zugänglichen Objekt, das man anklicken konnte. Nebenbei entstand mit Ultima Underworld (1992) ein großartiges Spin-off, hinter dem sich eine voll begehbare und voll texturierte 3D-Welt verbarg. Und mit Ultima Online etablierte der Entwickler Origin Systems das erste weltweit erfolgreiche MMORPG überhaupt.
Selbst der heftig umstrittene neunte Teil, der von unzähligen Bugs und einer sichtlich hastig zusammengeschusterten Story geplagt war, setzte neue Akzente und bot eine vollständig offene Spielwelt in 3D, in der es kaum spürbare Ladezeiten zwischen den Gebieten gab.
Tja ... und irgendwo dazwischen erschien Ultima 8: Pagan (1994).
Vom Hoffnungsträger zum schwarzen Schaf
Richard Garriott hatte einen gewagten Plan: Ultima 8 (Untertitel: Pagan) sollte die zunehmende Komplexität der Vorgänger bewusst zurückschrauben und die Serie für Neulinge zugänglicher machen. Damals wie heute halten viele Rollenspielexperten und Ultima-Fans den Versuch für gescheitert. Beklagt wurden zu actionlastige Kämpfe, dazu Plotlöcher und fiese Sprungpassagen.
Mein 17-jähriges Ich hingegen erinnert sich an Ultima 8: Pagan ganz anders. Geprägt von der euphorischen Berichterstattung des Spielemagazins PC Player, das immerhin 89 von 100 möglichen Punkten(öffnet im neuen Fenster) vergab und explizit die Neuausrichtung lobte, erlebte ich eines der atmosphärisch dichtesten Abenteuer meiner Jugend.
In der Tat bin ich ein sehr ungewöhnlicher Ultima-Fan: Schon in der Grundschule kam ich mit dem zweiten und dritten Teil in Berührung, während mich der vierte Teil vollends in seinen Bann zog. Danach fiel es mir allerdings immer schwerer, mich in die neuen Episoden hineinzufinden.
Während gefühlt jeder Rollenspielbegeisterte um mich herum die immer größer werdende Komplexität feierte, fühlte ich mich zunehmend überfordert. Es dauerte Jahre, bis ich endlich einen Draht zu Ultima 5 fand, bei Ultima 6 und Ultima 7 sogar Jahrzehnte. Insofern war Pagan genau das Richtige für mich: Endlich wieder ein Ultima, mit dem ich sofort warm wurde!

Es war Liebe auf den ersten Screenshot: Ich war fasziniert von der neuartigen isometrischen Grafik mit den großen Figuren, der satten Farbpalette und den ungewöhnlich dicken schwarzen Konturen. Außerdem reizte mich die Aussicht auf eine neue Spielwelt, die sich zum ersten Mal vom bekannten Britannia entfernte.
Als das Spiel dann endlich über meinen PC-Monitor flimmerte, war ich endgültig überzeugt: Die ganze Welt von Pagan wirkte so herrlich düster und unheimlich, dass ich jeden Winkel erkunden wollte. Die Animationen waren für die damalige Zeit außergewöhnlich fein ausgearbeitet.
Der fantastische Soundtrack von Nenad Vugrinec(öffnet im neuen Fenster) gab der Atmosphäre den entscheidenden Kick und klang dank meiner Soundblaster-AWE-32-Soundkarte wunderbar bedrohlich. Und sowohl die Handlung als auch die Dialoge fand ich sehr gut geschrieben, weshalb mich das Abenteuer bis zum Schluss nicht mehr losgelassen hat.
Natürlich gab es einige Ungereimtheiten, die ich aber durch meine rosarote Brille gnadenlos übersehen habe. Vor allem wirkten einige Handlungsstränge abrupt beendet und das Finale überhastet inszeniert.
Einfacher springen mit Update
Die berüchtigten Sprungpassagen waren tatsächlich brutal schwer zu meistern, da ich mit meinem Avatar nur eine vorgegebene Strecke springen konnte. Ohne die Möglichkeit, nach jedem Schritt zu speichern, hätte auch ich Pagan nach einigen Stunden frustriert in die Ecke gefeuert.
Zu Recht gepatcht
Die Kritik an der Hüpferei brachte dem Spiel den bösen Spitznamen Super Avatar Bros ein - ein sarkastischer Seitenhieb auf Nintendos Super Mario Bros. Origin reagierte mit einem Patch, der es ermöglichte, direkt dorthin zu springen, wo sich der Mauszeiger befand. Zwar waren nun alle Geschicklichkeitsprüfungen viel zu leicht, aber im Nachhinein halte ich diese Änderung für eine gute Idee.
Was mich störte, war die gleichzeitige Vereinfachung eines Rätsels, genauer gesagt, einer eigentlich großen Prüfung, die ich in der Mitte des Spiels ablegen musste. Sie bestand aus einer Reihe von Fragen, deren Antworten man durch das Studium verschiedener Bücher herausfinden musste.
Ursprünglich musste man hierfür Geschichten und Anekdoten korrekt interpretieren, was mir vor 30 Jahren großen Spaß gemacht hat. Leider hatte Origin mit dem Patch auch hier nachgebessert und alle Büchertexte so erweitert, dass sie unmittelbar die richtigen Antworten verrieten.
Trotzdem hat Ultima 8 einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Mit den Jahren tat es zunehmend weh, immer wieder die harte Kritik am Spiel zu hören: Im Gegensatz zu den Vorgängern steuere man keine Party, man könne den Avatar nicht mehr individualisieren, man könne keine Frau mehr sein, die Kämpfe seien zu stumpf, die Dungeons zu langweilig gestaltet, die Story sei unausgegoren und überhaupt habe das ganze Spiel kaum noch etwas mit Ultima zu tun!
30 Jahre später möchte ich mir Ultima 8: Pagan noch einmal ansehen und installiere dafür die Gog.com-Version(öffnet im neuen Fenster) , welche die digitale Vertriebsplattform für faire 5,49 Euro anbietet. Sie vereint das Hauptspiel mit dem sogenannten Speech Pack, das einige Zwischensequenzen mit Sprachausgabe enthält - sogar auf Deutsch!
Eine bunte Dystopie
Die Prämisse des Rollenspiels jedenfalls funktioniert in meinen Augen auch nach all der Zeit tadellos: Am Ende von Ultima 7 Part Two: Serpent Isle wurde der Avatar vom bösen Guardian gefangen genommen und in die zerstörte Welt von Pagan verschleppt.
Die Überlebenden sind desillusioniert und von Neid und Missgunst zerfressen. Der gewaltsame Tod gehört zum Alltag, während der Guardian als Gottheit verehrt wird. Kein Wunder, wenn niemand seine manipulativen Machenschaften durchschauen konnte ...
Schon in den ersten Spielminuten werde ich Zeuge einer grausamen Hinrichtung: Ein Mann, der es gewagt hat, die ruchlose Herrscherin Mordea öffentlich zu kritisieren, wird vor meinen Augen enthauptet. Während seine Frau weinend zusammenbricht, rollt der leblose Kopf ins Meer. Diese Szene ist nicht nur hervorragend geskriptet und animiert, sondern unterstreicht auch perfekt die Bösartigkeit Pagans.
Danach widme ich mich den Bewohnern der Stadt Tenebrae, die Ultima-typisch ihrem individuellen Tagesablauf nachgehen. Leider gibt es im Gegensatz zu den Vorgängern keinen optischen Tag-Nachtzyklus: Laut Story hat ein Vulkanausbruch den Himmel so verdunkelt, dass die Bewohner auf natürliches Sonnenlicht verzichten müssen und auf künstliche Lichtquellen angewiesen sind.















Deshalb kann ich leider nicht auf den ersten Blick erkennen, wie spät es ist. Aber ich kann mir irgendeine Uhr klauen und sie in meinen Rucksack packen, um mit einem Mausklick die Zeit zu erfahren.
Ebenfalls ungewohnt: Sollte ich sterben, wird mich anders als in den meisten anderen Ultima-Teilen kein Lord British wiederbeleben. Sollte ich sogar eine richtige Dummheit begehen und in Anwesenheit eines Einwohners einen Diebstahl begehen, werde ich von Beren, dem örtlichen Gesetzeshüter, in die Luft gesprengt. Eine Szene, die mir sehr missfällt, weil sie übertrieben brutal wirkt.
Auf meinen Streifzügen durch die Umgebung von Tenebrae treffe ich hauptsächlich auf Zombies und Gremlin-ähnliche Wesen, die sich verwandeln und sogar mich (!) kopieren können. Sie zu bekämpfen ist kein Problem und eigentlich ziemlich dämlich, da ich nur wild klickend mit meinem Schwert um mich schlage.
Umgekehrt sollte ich den fetten Ogern mit ihren dicken Keulen lieber aus dem Weg gehen, was aber zum Glück aufgrund ihrer Trägheit kein allzu großes Problem darstellt.
Vom Avatar zum Titan
In der Wildnis entdecke ich eine kleine Höhle und dahinter die Hütte des kauzigen Einsiedlers Mythran. Er ist mir wohlgesonnen und beantwortet freundlich meine Fragen, die alle auf ein Ziel hinauslaufen: diese trostlose Welt zu verlassen.
Ultima 8 Pagan: Neues Fazit nach 30 Jahren
Dazu, so Mythran, müsse ich die vier Titanen besiegen, die über Pagan herrschen. Das wiederum geht nur, wenn ich mich mit ihren Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft auseinandersetze und ihre magischen Künste erlerne. Sobald ich das geschafft habe, kann ich selbst ein Titan werden und habe die Macht, Pagan den Rücken zu kehren.
Parallel dazu werde ich mit einer zweiten Aufgabe konfrontiert, nämlich, die üblen Machenschaften von Mordea zu beenden. Sie entpuppt sich als hasserfüllte Cholerikerin, die liebend gerne nach der Henkerin fragt und die Exekution eines weiteren Untertanen befiehlt.
So gerne ich auch Mordeas Untergang einläute, heute fällt mir eine Ungereimtheit in der Geschichte auf: Ich muss in ihr Schlafgemach einbrechen, um einen wichtigen Dolch zu stehlen. Dazu benötige ich einen Schlüssel, den ich von ihrer Dienerin Aramina erhalte.
Die gibt ihn mir ohne Gegenleistung und einfach, weil ich danach frage. Der Dialog mit ihr wirkt in einer Welt wie Pagan sehr naiv, denn eigentlich müssten alle Bewohner von großen Ängsten und viel Misstrauen geprägt sein.
Geschicklichkeitsprüfung
Die Nekromanten lehren mich die Kunst der Erdmagie und gewähren mir eine Chance auf eine Audienz bei Lithos, dem Titanen der Erde. Doch zuvor muss ich eine sehr lange Prüfung bestehen, die mich durch einen riesigen Dungeon führt, in dem ich mich alle paar Meter verlaufe. Außerdem stoße ich spätestens hier auf das wohl größte Ärgernis von Pagan: die schon angesprochenen Jump-and-Run-Sequenzen.
Ich klettere Stufen hinauf, hechte über Gräben und springe von Plattform zu Plattform. Manche verschwinden alle paar Sekunden, andere schweben steif in der Luft. In der Originalversion von Ultima 8 bewegten sich einige sogar ständig hin und her, aber auch das fiel der Patch-Schere zum Opfer.
Die Prüfung macht mir auch heute noch Spaß, weil die Atmosphäre immer noch sehr gut ist. War ich zuvor nur Zeuge von Gräueltaten, darf ich jetzt selbst ein bisschen böse sein. Bestes Beispiel: Skelette können zwar bekämpft, aber auf den ersten Blick nicht endgültig beseitigt werden.
Nach kurzer Zeit stehen die Leichen wieder auf und greifen mich erneut an. Das kann ich aber verhindern, indem ich ihre leblosen Körper in eines der umliegenden Gewässer werfe - und sie so der heimtückischen Titanin des Wassers zum Fraß vorwerfe.















Wenn mich heute etwas an Ultima 8 stört, dann ist es die lächerliche deutsche Sprachausgabe. Damals kam ich mangels Speech-Pack nicht dazu, sie zu hören, heute ist sie fester Bestandteil der Gog.com-Version. Zum Glück wurden nur der Guardian und die Titanen vertont, und auch die beschränken sich jeweils auf ein paar Sätze.
Fazit: Eine Chance für Pagan!
Ich kann den Unmut vieler Ultima-Fans nachvollziehen, weshalb in meinen Augen der Name des Spiels das größte Problem darstellt. Schon damals hatte ich die Idee: Hätte Origin einfach Pagan auf die Verpackung gedruckt und auf den Titel Ultima verzichtet, hätte das Spiel heute einen viel besseren Ruf.
Deshalb sollte man den zugkräftigen Titel so gut wie möglich verstecken und Pagan als etwas Eigenständiges und ganz Besonderes feiern. Meine Befürchtung, enttäuscht zu werden und mir eine schöne Erinnerung aus der Vergangenheit zu verderben, hat sich beim erneuten Anspielen nicht bewahrheitet.
Denn ja: Pagan ist bei Weitem kein perfektes Spiel und ich kann heute die Kritik der "Unfertigkeit" nachvollziehen, die selbst Ultima-Erfinder Richard Garriott im Nachhinein in diversen Interviews eingeräumt hat.
Aber ich bleibe dabei: Ultima 8 ist kein schlechtes Spiel. Es hat seine ganz eigenen Qualitäten, die ich auch nach all der Zeit noch spüre und schätze. Vor allem die Präsentation hat immer noch ein ganz besonderes Flair, das ich mit keinem anderen Spiel vergleichen kann, das ich kenne.
Übrigens habe ich das Spiel zeitweise für ein paar Bekannte gestreamt, während ich mich mit ihnen auf einem gemeinsamen Discord-Server unterhielt. Einer verglich das Spiel mit Diablo, wegen der isometrischen Grafik und dem ständigen Klicken während der Kämpfe. Wohlgemerkt, der Blizzard-Klassiker erschien zweieinhalb Jahre später (!). Und so ist Ultima 8 vielleicht doch mehr Pionier, als die meisten Videospielexperten denken ...
Mitarbeit: Benedikt Plass-Fleßenkämper



