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30 Jahre Linux 1.0: Zwischen Kommerz, Weltherrschaft und Antihaltung

Ohne kommerziellen Einsatz von Linux wäre die aktuelle Welt der IT-Industrie undenkbar. Die Kernel -Community entzieht sich aber beharrlich üblicher Verwertungslogik - dank Gründer Linus Torvalds.
/ Sebastian Grüner
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Linux 1.0 ist vor 30 Jahren erschienen. (Bild: Wikipedia, Montage: Golem.de)
Linux 1.0 ist vor 30 Jahren erschienen. Bild: Wikipedia, Montage: Golem.de / CC-BY 3.0

In einem kleinen Vorort von Portland, im US-Bundesstaat Oregon, steuert ein Mann Mitte 50 von seinem Homeoffice aus eines der wohl wichtigsten kommerziell genutzten Softwareprojekte der Welt. Ohne die Arbeit von Linus Torvalds an dem von ihm gegründeten Linux-Kernel wäre die IT-Industrie weltweit nicht mehr vorstellbar. Dass es dazu kommen würde, dachte der damalige Informatikstudent bei der Vorstellung seines Hobbyprojekts im Jahr 1991 sicher nicht. Doch schon mit der Veröffentlichung von Linux 1.0(öffnet im neuen Fenster) vor genau 30 Jahren begann der kommerzielle Siegeszug von Linux - und damit auch eine ganz eigene Art der Kommerzialisierung.

Denn anders als bei vielen anderen großen Softwareprojekten gibt es für den Linux-Kernel kein einzelnes Unternehmen, das als Hauptsponsor auftritt und die Mehrheit der Entwickler bezahlt, um die Richtung des Projekts vorzugeben. Stattdessen setzt sich die Kernel-Community weiter aus zahlreichen einzelnen Entwicklern zusammen, die für jeweils eigene Bereiche zuständig sind und gemeinsam an einem Gesamtprodukt arbeiten.

Dennoch werden auch diese Entwickler inzwischen mehrheitlich bezahlt und sind oft bei milliardenschweren Unternehmen für eben diese Arbeit angestellt. Der Linux-Kernel erfüllt also einen Zweck, der der gesamten IT-Industrie sehr viel Geld wert ist, und läuft auf Milliarden unterschiedlicher Geräte von Embedded-Einsätzen in Waschmaschinen über Autos, Flugzeuge und die klassischen Internet-Infrastruktur bis hin zu Supercomputern. Torvalds und damit auch das Linux-Kernel-Projekt bleiben dabei aber eine neutrale Instanz, die sich oft Marktmechanismen und dem Druck einzelner Hersteller widersetzt.

Torvalds und die Community gegen den Rest der Welt

Berühmt berüchtigt in diesem Zusammenhang ist der weltweit bekannt gewordene Stinkefinger von Torvalds, der gegen GPU-Hersteller Nvidia gerichtet war . Der Grafikkartenhersteller sei die schlimmste Firma überhaupt, was die Zusammenarbeit mit den Kernel-Entwicklern angehe, sagte Torvalds vor mehr als zehn Jahren und bezog sich damit unter anderen auf deren proprietären Treiber. Inzwischen hat aber auch Nvidia den Weg für freie Linux-Treiber geebnet.

Doch auch abseits dieser großen und bekannten Ausfälle gibt es immer wieder klare Standpunkte der Community, die selbst positiv gestimmten Unternehmen und ihren Entwicklern mitunter das Leben schwer machen können. Für Diskussionen sorgen dabei nicht nur immer wieder Streitigkeiten über die Unterstützung proprietärer Module . In der jüngeren Zeit des fortschreitenden KI-Hypes gab es jahrelang andauernde Auseinandersetzungen zur Frage , ob und wie die Treiber dafür in den Linux-Kernel aufgenommen werden.

Die Kritik ist dabei teilweise harsch und für Außenstehende oft unverständlich. Entwickler berichteten , dass diese sich zermalmt fühlten. Der interne Umgang miteinander und die Behandlung durch Torvalds führte zu fundamentaler Kritik an der Community , zum Rücktritt langjähriger Entwickler oder auch heute noch zu unüberbrückbar scheinenden Streiten mit Security-Entwicklern . Auch die erst kürzlich begonnene Vergabepraxis für CVE-Nummern für Sicherheitslücken durch die Kernel-Community birgt Potenzial für Streit.

Bezeichnend an all diesen zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, die vor etwa fünf Jahren in einer Pause von Torvalds und neuen Verhaltensregeln für die Community gipfelten , ist, dass diese öffentlich ausgetragen werden und keinem einzelnen Unternehmen zum Vorteil dienen. Oft beschleicht Beobachter wie den Autor dieses Textes das Gefühl, dass es dabei auf Seiten der Unternehmen und ihrer Entwickler keine Gewinner und nur Verlierer gibt - zum Wohle des Erhalts der organisch gewachsenen Community.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich

Würden derartige Diskussionen, dazu noch über Jahrzehnte, von einem einzelnen Unternehmen nach außen dringen, würde dieses wohl auch noch das letzte bisschen Restvertrauen der IT-Industrie verlieren, vermutlich schon bald keine Kunden mehr haben und schlicht von der Bildfläche verschwinden. Paradoxerweise geht die Linux-Community immer gestärkt aus diesen Streiten hervor.

Und auch die Streite der unzähligen Linux-Unternehmen untereinander und mit der Konkurrenz haben der von Torvalds geführten Linux-Community nicht spürbar nachhaltig geschadet. Exemplarisch dafür dienen die SCO-Klagen, von denen Red Hat und Suse ebenso betroffen waren wie IBM oder Novell . Auch gibt es seit Jahrzehnten immer wieder verschiedene Patent - und Urheberrechtsstreitigkeiten und nicht zuletzt knallharte wirtschaftliche Konkurrenz. Das zeigt sich aktuell bei Red Hats Umgang mit Quellcode und einer Gegeninitiative von Suse, Oracle und CIQ (Rocky Linux) , wovon auch Community-Projekte betroffen sind .

Trotz all dieser Streite finden immer wieder alte und neuen Unternehmen ihren Weg zu Linux, das inzwischen eine der wichtigen Grundlage moderner IT ist. Oder anders ausgedrückt: An Linux führt eigentlich kaum noch ein Weg vorbei. Spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Linux 1.0 muss Torvalds klar gewesen sein, dass aus seinem Hobby, das in den Augen des damals noch jungen Entwicklers niemals etwas so Großes und Professionelles wie das GNU-Projekt werden sollte, doch diese riesige kommerzielle Community werden könnte. Und Torvalds richtete sich und die Community auf eben diese Gegebenheiten frühzeitig ein.

Linux 1.0 beginnt professionell mit einer Pressekonferenz

Torvalds selbst organisierte mit der Unterstützung von Mitstreitern eine Art Pressekonferenz zur Vorstellung von Linux 1.0(öffnet im neuen Fenster) an der Universität von Helsinki in Finnland, wo er inzwischen als Tutor neben seinem Studium jobbte. Lars Wirzenius, früher Wegbegleiter und Kommilitone von Torvalds, beschreibt dies in einer Erinnerung so(öffnet im neuen Fenster) :

"Im Frühjahr 1994 hatten wir das Gefühl, dass Linux abgeschlossen war. Fertig. Es gab nichts mehr hinzuzufügen. (...) Wir beschlossen, die Version 1.0 freizugeben, und organisierten eine Veranstaltung zur Veröffentlichung. Die finnische Computerpresse wurde eingeladen und ein Fernsehsender schickte sogar ein Team." Viel Aufmerksamkeit für das Hobbyprojekt eines Studenten. Doch auf dem Weg dahin hatte Torvalds bereits Unterstützung aus Universitäten weltweit und von Entwicklern bei großen Softwareunternehmen erhalten, sogar von Microsoft-Angestellten.

Laut Wirzenius beschrieb Torvalds schon damals das, was Linux letztlich aus wirtschaftlicher Perspektive zum Erfolg verhalf. Denn die Nutzung einer der damals zahlreich vorhandenen kommerziellen Unix-Varianten war meist prohibitiv teuer. Torvalds scherzte damals demnach, dass es schlicht günstiger gewesen sei, sein eigenes System zu schreiben - eine vergleichsweise banale, aber dennoch revolutionäre Erkenntnis.

Schon zum Ende seines Studiums bewies Torvalds damit eine beeindruckende Weitsicht und eine Haltung zu Unternehmensinteressen sowie zu seinem Projekt, die nicht nur Linux, sondern die gesamte Internetwirtschaft bis heute als Vorbild prägen.

Kommerzielles Linux ohne Torvalds

Schon kurz nach dem Start von Linux als Open-Source-Projekt gründeten sich mit SLS, das in Slackware aufging, und Debian bereits 1992 und 1993 große Linux-Distributionen, die die von Torvalds geschaffene und hauptverantwortlich betreute Software einer breiteren Masse zugänglich machen wollten.

Auf die Idee, mit Linux ein günstiges Unix-artiges System kommerziell anzubieten, sprangen im Jahr 1994 damals kleine und noch völlig unbekannte Unternehmen auf, die bis heute als Inbegriff des Linux-Distributors gelten: Red Hat und Suse. Beide Unternehmen verfolgen seit inzwischen rund 30 Jahren ein offensichtlich weiterhin erfolgreiches Geschäftsmodell. Damals gab es aber auch noch weitere Unternehmen wie VA Research(öffnet im neuen Fenster) , die versuchten, Server-Hardware mit vorinstalliertem Linux auf den Markt zu bringen, aber längst wieder verschwunden sind.

Auch wenn der Markt dafür zunächst noch klein war, zeichneten sich schnell das Potenzial und auch die Machbarkeit dieser Idee ab. So portierte Torvalds selbst sein Linux-System auf die Alpha-Architektur von DEC. Das Unternehmen bot Unix-Workstations ( Digital Unix(öffnet im neuen Fenster) ) mit seiner eigenen CPU-Architektur an, was das wohl dominante Server- und Workstation-Geschäftsmodell in den 1990er Jahren abseits von Windows auf Intel-PCs war .

Zusätzlich zu DEC waren in diesem Bereich folgende Unternehmen ähnlich aufgestellt: Sun mit Solaris(öffnet im neuen Fenster) auf Sparc-CPUs, HP mit HP-UX(öffnet im neuen Fenster) auf PA-RISC-CPUs, IBM mit AIX(öffnet im neuen Fenster) unter anderem auf Power- und PowerPC-CPUs oder SGI mit IRIX(öffnet im neuen Fenster) auf zugekauften MIPS-CPUs. Hinzu kommen weitere kommerzielle und als proprietäre Software vertriebene Unix-Systeme, allen voran Unixware(öffnet im neuen Fenster) und der SCO Openserver(öffnet im neuen Fenster) . Letzterer fand extrem weite Verbreitung auch bei großen US-amerikanischen Unternehmen.

Das frei verfügbare Linux von Torvalds, das mithilfe einer Community auf verschiedene Architekturen portiert werden konnte und anders als die aufgezählten Unix-Varianten bei einer ähnlichen Funktionalität kostenfrei ist, ist ein klarer Angriff auf das Geschäftsmodell der aufgeführten Unternehmen.

Das wiederum schuf aber das Potenzial für andere Milliardenunternehmen überhaupt erst; das gilt was nicht nur für Distributoren wie Red Hat. So entstand der Vorläufer von Google schon 1997 auf Linux-Systemen, was auch später nie geändert wurde. Als Hardware nutzte das Google-Team anfangs günstige Standardware(öffnet im neuen Fenster) . Ähnlich setzte Facebook von Anfang an auf Linux-Server mit freier Software, ebenso Amazon oder Netflix.

Heute wissen Beobachter und Kenner, dass Torvalds alles andere als diplomatisch agiert und sich auch weiterhin lieber auf technische Probleme stürzt als zwischen Unternehmen und deren Befindlichkeiten zu vermitteln. Das dürfte als Student kurz vor seinem Abschluss mit einer wachsenden Berühmtheit in interessierten Kreisen nicht anders gewesen sein und führte zu einem wegweisenden Entschluss.

Linux als neutrale Instanz

Trotz mehrerer Angebote, für große Unternehmen zu arbeiten, suchte Torvalds etwas Aufregendes für den ersten Job nach seinem Masterabschluss 1997. Dies fand er bei Transmeta(öffnet im neuen Fenster) , das eine von Grund auf neuartige CPU-Architektur erstellte . Der Clou dabei war eine Kompatibilitätsschicht für x86-Instruktionen, die für neuartige Optimierungen sorgen sollte und dadurch für eine für damalige Verhältnisse sehr energieeffiziente CPU.

Zusätzlich zu dem technischen Reiz hatte die Entscheidung für Transmeta mehrere Vorteile für Torvalds. Der Entwickler und junge Familienvater tauchte mit seiner Arbeit aus der breiten Öffentlichkeit ab, da Transmeta mehrere Jahre im sogenannten Stealth Mode(öffnet im neuen Fenster) agierte. Eine mögliche wirtschaftliche Konkurrenz zu anderen Unternehmen und eine Bevorzugung einzelner Unternehmen durch Torvalds in der Linux-Community war damit nicht erkennbar. Auch eine Beeinflussung der strategischen Weiterentwicklung von Linux war dadurch praktisch ausgeschlossen.

Hätte Torvalds aber bei einem der etablierten Software- oder Hardwarekonzerne angeheuert, wäre das Linux-Projekt wohl nicht mehr als neutrale Instanz wahrgenommen worden. Darüber hinaus durfte Torvalds bei dem Start-up Transmeta auch einen Teil seiner Arbeitszeit auf die Weiterentwicklung und Betreuung des Linux-Kernels verwenden - ein zur damaligen Zeit höchst ungewöhnliches Angebot.

Dabei sahen sich die Unternehmen, die rund um den Linux-Kernel Geld verdienten, aber auch gezwungen, miteinander zu kooperieren und sich notgedrungen den Entscheidungen von Torvalds sowie dessen persönlicher Weiterentwicklung zu unterwerfen. Doch war schon spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, dass keines der Unternehmen allein die künftige Weiterentwicklung des Linux-Kernels würde beeinflussen können.

Konsortien und Kooperation als neuer Standard

Wohl auch diese Erkenntnis führte zur Gründung des Open Source Development Lab (OSDL) im Jahr 2000, einem Konsortium mit vielen Unterstützern, das Linux in Enterprise-Einsätzen verbessern sollte. Dafür wurden Entwickler angestellt oder mit der notwendigen Hardware versorgt. 2003 konnte das OSDL, das später in der Linux Foundation aufging , auch Linus Torvalds als Angestellten gewinnen . In dieser Position betreut Torvalds auch heute noch den Linux-Kernel als Chefentwickler.

Inzwischen gibt es zahlreiche dieser Open-Source-Organisationen, die als neutrale Instanz von mehreren Unternehmen getragen werden und meist einer bestimmten Software oder einer Sammlung nah miteinander verwandter Werkzeuge verbunden sind. Wie der Linux-Kernel, der dabei selbst nie als alleinstehendes, kommerziell vermarktbares Produkt genutzt worden ist, dient auch die Software der anderen Konsortien lediglich als Basisbaustein für die eigentlichen Produkte und Dienstleistungen, mit denen die Unternehmen Geld verdienen.

Inzwischen wird neue Software oft frühzeitig in solch einer neutralen Instanz verankert, um deren weitere Durchdringung der Industrie überhaupt erst anzustoßen. Diese moderne Welt wäre dem Studenten Torvalds von vor 30 Jahren wohl sehr fremd vorgekommen. Letztlich geht es dabei aber immer um die Weiterentwicklung des Projekts, nicht um ein größeres, hehres Ziel. Und dafür stehen Torvalds und die Linux-Community auch weiterhin.


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