20 Jahre Youtube: Vom Kuriosum zur Monetarisierungsmaschine

Webvideo-Streaming - das wird es im großen Stil nie geben. Das zumindest war Konsens um die Jahrtausendwende: Technologien wie Realplayer und Flash waren zu schlecht, Bandbreiten zu gering, Serverkapazität zu teuer. Bis auf wenige aufwendige Experimente wie das Live-Aid-Konzert 1999(öffnet im neuen Fenster) oder vereinzelte Videoschnipsel auf News- und Medien-Webseiten war das Netz seinerzeit vor allem eines: textlastig.
Bis am 23. April 2005 ein junger Mann namens Jawed Karim ein Video aus dem San Diego Zoo auf seiner neuen Plattform Youtube hochlädt: Das Besondere an Elefanten sei, "dass sie wirklich, wirklich, wirklich, wirklich lange Rüssel haben, und das ist cool." Damit endet der 19-sekündige, recht banale Clip in 240p-Auflösung namens me at the zoo(öffnet im neuen Fenster) auch schon - und löste nichts Geringeres als eine Videorevolution im Web aus. Heute ist Youtube nach Google die am zweithäufigsten besuchte Webseite der Welt.
Eigentlich war Youtube eine Datingplattform
Dabei ist das Videoportal Youtube im Grunde ein Recyclingprodukt: Ursprünglich hatten die Gründer Jawed Karim, Chad Hurley und Steve Chen, die sich bei Paypal kennengelernt hatten, eine moderne Datingplattform im Sinn. Sie besaß eine Videofunktion, bei der sich User auch per Video bei potenziellen Partnern vorstellen konnten.
Chen, Hurley und Karim, selbst auf der Suche nach Videomaterial des Nipplegate-Vorfalls beim Superbowl 2004(öffnet im neuen Fenster) , erkannten jedoch, dass es im Netz - anders als bei Datingportalen - eine riesige Marktlücke gab: eine Plattform für Videoschnipsel.



Also bauten die drei Gründer Youtube kurzerhand zur Videoplattform um. Schon im Juni 2005 waren alle Spuren des Datingangebots beseitigt und der Schwerpunkt lag auf Webvideos. Youtube wurde Your digital Video Repository(öffnet im neuen Fenster) .
Problem gelöst, Marktlücke geschlossen
Youtube löste damit ein Problem: Videomaterial gab es reichlich - Digitalkameras hatten ihre Blütezeit -, doch die Möglichkeiten der Übertragung waren gering. Wer nicht SD-Karten oder gebrannte DVDs mit der Post verschicken wollte, hatte vorher keine sinnvolle Möglichkeit, Videos zu versenden oder gar einem großen Publikum zur Verfügung zu stellen.
E-Mail-Postfächer waren winzig, Bandbreiten beschränkt und Messenger- oder Clouddienste mit Videofunktion noch in weiter Ferne. Youtube erlaubte nach einmaligem Hochladen das Verteilen an ein unbegrenztes Publikum, nicht nur auf der Webseite selbst, sondern per Embed-Funktion auch in Blogs und Onlinemagazinen - und das alles zum Nulltarif.
Dementsprechend wurde Youtube zunächst mit Home-Videos geflutet, die natürlich auch öffentlich abrufbar waren. Neben Banalitäten - Urlaubsfilmchen, Familien auf Ausflügen, Jugendlichen, die Quatsch mit der Kamera machen - tauchten aber immer öfter auch Memes auf, die schon vorher ihre Runde im Netz gemacht hatten: Dancing Baby(öffnet im neuen Fenster) etwa, das The Lion Sleeps Tonight singende Nilpferd(öffnet im neuen Fenster) aus der französischen Trickserie Pat & Stanley oder Napoleon Dynamites Tanzszene(öffnet im neuen Fenster) . Für Betroffene eher unangenehm: Auch fragwürdige Klassiker wie Star Wars Kid und Angry German Kid tauchten plötzlich wieder auf der Plattform auf.
Einfach Videos hochladen und teilen
Das einfache Sharing per Link führte zudem schon früh dazu, dass Inhalte binnen kürzester Zeit viral gehen konnten. Mussten Videos zuvor umständlich als physische Datei herumgeschickt werden, die Bandbreite fraß und die zeitgenössisch lahmen Internetverbindungen bremste, kümmerte sich Youtube nun um den Vertrieb - Nutzer mussten nur noch generieren und teilen.
Und wer besonders gut geklickt wurde, erschien auch in der Most-Viewed-Liste auf der Youtube-Startseite. Spätestens an diesem Punkt war klar: Wer ein Video produziert, das viral geht, kann den Dienst auch als Werbe- und Karrieremedium sowie als Plattform für Musikvideos nutzen.
Erste Erfolge dieser Art verbuchte etwa Nike 2006 mit dem Clip Ronaldinho: Touch of Gold: Das im Stil eines Amateurvideos gehaltene Video zeigt den brasilianischen Fußballer, wie er goldene Nike-Schuhe anzieht und anschließend den Ball kickt und balanciert.



Der Spot knackte als erstes Video bei Youtube die magische Grenze von einer Million Views. In der Folge wurde die Plattform mit einer wahren Flut solcher Vermarktungsversuche überschwemmt.
User-generated Content als Schlüssel zum Erfolg
Deutlich erfolgreicher waren aber nutzergenerierte Videos wie etwa myspace: the movie(öffnet im neuen Fenster) . Häufig gingen Videoschnipsel auch unbeabsichtigt viral: Charlie bit my finger - again(öffnet im neuen Fenster) von 2007 etwa - das Original ist inzwischen ein NFT und nicht mehr auf Youtube verfügbar - ist ein typisches Beispiel dieser frühen Youtube-Ära, in der Clips völlig unerwartet riesige Erfolge verbuchten. Plötzlich war klar: Es gibt keine Gatekeeper wie Verlage oder Produktionsfirmen mehr. Mit der richtigen Idee kann bei Youtube jeder einen Hit landen.
Solche Videos zogen nicht nur enorme Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch reihenweise Trittbrettfahrer an: User - zumeist mitten in der Pubertät -, die ähnlich erfolgreiche Videos produzieren wollten und das Original kurzum mit fragwürdiger Qualität parodierten. Binnen kürzester Zeit entstanden so um virale Videos kleine und große Universen von Reaktions- und Parodieclips. Andere Nutzer zeigten sich selbst beim Videospielen oder veröffentlichten eigene Werke, wodurch sich nach und nach ein ganz eigener Youtube-Stil entwickelte.
Goldgräberstimmung
Die Frühzeit der Plattform war noch ein wenig wilder Westen: Trotz schon damals sehr klarer Urheberrechtslage hatten die Betreiber anfangs Probleme, dem Strom an illegalem Content in Form von Musik und Videos Einhalt zu gebieten. Auch Google, das die Plattform Ende 2006 für über 1,67 Milliarden US-Dollar übernahm, tat sich anfangs schwer damit, Urheberrechtsverletzungen zu verfolgen und kämpfte mit einer von Land zu Land unterschiedlichen Rechtslage. Trotzdem setzte eine regelrechte Goldgräberstimmung ein: Nutzer versuchten, irgendwie viralen Content auf der Plattform zu platzieren, um berühmt zu werden.
Leider bleibt bei so viel Erfolg die Kritik nicht aus: Die Plattform kämpft bis heute mit Cybermobbing, Content-Piraterie, Gewaltverherrlichung und fragwürdigen politischen Botschaften; nicht selten wurde Youtube der Vorwurf gemacht, zur allgemeinen Verdummung der Jugend beizutragen. Ein Vorwurf, dem sich wohl jedes Medium zu jeder Zeit stellen musste.
Doch was schert es die Eiche, wenn die Sau sich an ihr reibt: Seit Ende 2007 können Youtuber - bis heute als Creators bezeichnet - ihren Content mit Google Ads monetarisieren. Zu dieser Zeit war absehbar, dass sich die Plattform bei genügend Reichweite als Karriereoption anbot: Heutige Youtube-Stars - etwa PewDiePie(öffnet im neuen Fenster) begannen schon früh mit eher banalem Content, den sie nach und nach professionalisierten.
Der heute wohl einflussreichste Youtuber ist Mr. Beast(öffnet im neuen Fenster) mit über 386 Millionen Abonnenten, der auf seinem Erfolg inzwischen ein ganzes Medien- und Merchandise-Imperium aufgebaut hat. Andere sind wieder in der Versenkung verschwunden, etwa Michael Stevens, der seit 2010 den Wissenschaftskanal Vsauce(öffnet im neuen Fenster) präsentierte.



Durch die hohe Popularität der Plattform konnten auch weniger bekannte Indie-Musiker und Comedians - idealerweise in Personalunion, wie etwa Jon Lajoie(öffnet im neuen Fenster) oder Garfunkel And Oates(öffnet im neuen Fenster) - signifikante Erfolge verbuchen. Schmerzhafte Ohrwürmer wie Psys Gangnam Style(öffnet im neuen Fenster) von 2012 oder Crazy Frog(öffnet im neuen Fenster) hätten ohne Youtube und die damit verbundene Nichtlinearität des Contents wohl kaum ihre lästige Nachhaltigkeit erzielt.
Auch im deutschen Sprachraum bildete sich eine ebenso erfolgreiche wie einnahmenstarke Youtube-Szene heraus, aus der Stars wie die Lifestyle-Youtuberin Bianca Heinicke mit BibisBeautyPalace(öffnet im neuen Fenster) (5,76 Millionen Abonnenten), Luca Schalenberg mit laserluca(öffnet im neuen Fenster) (5,48 Millionen Abonnenten) oder Gamingblogger Erik Range alias Gronkh(öffnet im neuen Fenster) (5 Millionen Abonnenten) erwachsen sind. Was viele nicht wissen: Auch der international erfolgreiche Wissenschaftskanal Kurzgesagt - In a Nutshell(öffnet im neuen Fenster) mit über 24 Millionen Abonnenten ist eine deutsche Produktion.
Eine gute Idee, gut umgesetzt - und bis heute erfolgreich
Der Erfolg des Videoportals rief etliche Nachahmer auf den Plan: Vor allem Ende der 2000er Jahre schossen alternative Plattformen wie Pilze aus dem Boden - und verschwanden auch genauso schnell wieder. Die Überlebenden, etwa Vimeo(öffnet im neuen Fenster) oder Vevo(öffnet im neuen Fenster) , haben sich eigene kleine Nischen gesucht. Auch den Druck durch Social-Media-Kanäle wie Instagram und Tiktok hat Youtube weggesteckt - und einfach selbst ein Kurzvideo-Format in Form der Shorts etabliert.
Neben den Social-Media-Plattformen sind Youtube und seine Creator-Szene heute jedoch am meisten durch den zunehmenden AI Slob bedroht: Die Plattform droht, in KI-generierten Inhalten zu versinken. Gleichzeitig stellen diese oft erfolgreichen, aber minderwertigen Inhalte die Geschäftsmodelle vieler Youtube-Profis auf die Probe - ein Problem, mit dem aber nicht nur der Videodienst zu kämpfen hat.
Trotz alledem belegt Youtube bis heute eindrucksvoll, was eine gute Start-up-Idee im Netz bewirken kann: Die Gründer Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim haben ein eigenes, völlig neues Medium geschaffen, das allseits von Vorteil ist: Während sich die Gründer selbst eine goldene Nase verdienten, finden Nutzer hier alles, was das Herz begehrt. Gleichzeitig hat jeder Creator völlig unabhängig von seinem soziokulturellen Hintergrund die Chance, zu einer kleinen oder sogar großen Berühmtheit zu werden.
Alles, was er oder sie dazu braucht, sind Kamera, Internetzugang - und eine gute Idee: Wohl kein Medium vor oder nach Youtube hat einen derart wichtigen Beitrag zur Demokratisierung von Inhalten im Netz geleistet und ist sich dabei 20 Jahre lang treu geblieben. Herzlichen Glückwunsch, Youtube!



