Vielleicht gäbe es ohne Facebook auch kein Google+
Sicher, man könnte die digitale Selbstbeweihräucherung einfach als ein Zeichen der vernetzten Gesellschaft nehmen. Für andere Entwicklungen gibt es keine Entschuldigung. Für Farmville zum Beispiel. Mit bis zu 80 Millionen Spielern zählte Farmville zwischen 2009 und 2011 zu den erfolgreichsten Facebook-Games und ließ berechtigte Zweifel an der Menschheit aufkommen. Denn anstatt ein Ziel zu verfolgen, ging es in Farmville nur darum, die Freunde mit möglichst vielen Statusmeldungen vollzudröhnen und für "nachbarschaftliche" Dienste zu gewinnen.
Dank Facebook konnte man aber nicht nur bei Farmville, sondern auch im echten Leben die Sau rauslassen. Fragen Sie mal Thessa aus Hamburg, die im Sommer 2011 unabsichtlich eine der größten Facebook-Partys ins Leben rief. Eigentlich wollte die damals 16-Jährige nur mit einigen Freunden feiern. Doch weil sie die Feier nicht als privat markierte, kamen knapp 1.600 ungebetene Gäste. Am Ende waren über 100 Polizisten im Einsatz, Mülltonnen brannten und Steine flogen. Eine Gefahrenzone wurde damals nicht eingerichtet. Allerdings bauschten die Medien das Phänomen so auf, dass schon die Erwähnung von "Facebook" und "Party" in einem Satz bei einigen Politikern den Wunsch nach einer ordentlichen Internetzensur auslöste. Außer bei Horst Seehofer. Zu dessen offizieller Facebook-Party im Münchner Nobelschuppen P1 kam nämlich fast niemand.
Von Shitstorms und Google+
Schon zu einer Zeit, in der Petitionen noch als ernstes Mittel galten und nicht als Aufruf zur Absetzung öffentlich-rechtlicher Moderatoren, gab es auf Facebook stets die Möglichkeit eines Shitstorms. Ob es um die erhöhten Cheeseburger-Preise bei McDonald's ging oder ob Dirk Nowitzki in einem Werbespot einen Happen Wurst verputzte - Facebook lehrte uns, dass es für wirklich alles ausreichend Empörungspotenzial gibt. Was schließlich dazu führte, dass sich täglich Millionen Menschen mit ihrem Klarnamen um Kopf und Kragen schreiben.
Dabei gibt es ganz andere Dinge, über die man sich wirklich aufregen könnte. Zum Beispiel Google+, das es ohne Facebook vielleicht nie gegeben hätte. Vor Facebook war Google kaum mehr als eine Suchmaschine. Dann schickte sich Facebook an, die Datenhoheit im Netz zu erlangen. Jahrelang tüftelten die Google-Ingenieure an fragwürdigen Produkten herum, bevor sie 2011 ihr eigenes soziales Netzwerk präsentierten. Für die Google-Mitarbeiter war Google+ freilich nie als Facebook-Konkurrenz gedacht. Für alle anderen ist es so überflüssig wie ein Kropf, der mit jedem Jahr mehr schmerzt. Schließlich setzt Google alles daran, das Netzwerk in möglichst viele Dienste zu integrieren, zuletzt Youtube. Gewissermaßen ist Google+ der Cousin dritten Grades, der auf Familienfeiern in jede Unterhaltung platzt und trotzdem nichts zu erzählen hat.
Facebook wäre in diesem Szenario der ungeliebte Patriarch. Er ist schon ziemlich alt und reichlich konservativ. Er hat kein Problem mit Nazi-Geschichten und hält Mobbing für ein Synonym von Putzen. Aber wenn eine Frau ihren nackten Ellenbogen zeigt, ist das Geschrei groß. Onkel Facebook kennt fast jeden und weiß um viele kleine Geheimnisse, die er aber niemandem verrät. Eigentlich findet ihn jeder aus der Familie etwas befremdlich, aber den Tod wünscht ihm auch keiner. Denn ab und zu hat er echt witzige Geschichten zu erzählen. Und die möchte ja auch niemand verpassen. Am Ende gilt deshalb wohl auch für die nächsten zehn Jahre: Es bleibt kompliziert.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
- ohne Werbung
- mit ausgeschaltetem Javascript
- mit RSS-Volltext-Feed
10 Jahre Facebook: Was wäre uns ohne Facebook alles erspart geblieben! |
- 1
- 2
Der Mensch ist eben keine Maschine und muss auch mal zwischen drin abschalten. Viele Jobs...
Findest du den Satz nicht etwas lächerlich, wenns hier gerade um etwas geht, das es...
So wie in den 50ern als am Bahnhof 99% der Menschen in ihre Zeitung gestarrt haben, statt...
Also Delta Machine würd ich sogar klar als das mit Abstand beste DM-Album seit 93 bezeichnen.