IP-Vorratsdatenspeicherung: Netzgemeinde empört über Gesetzentwurf

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat ihren lange angekündigten Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zugeleitet. Kern des Papiers, das der Tageszeitung Die Welt vorliegt(öffnet im neuen Fenster) , ist das umstrittene Quick-Freeze-Verfahren mit siebentägiger Vorratsdatenspeicherung. Der Entwurf trägt den Titel: "Gesetz zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet" .
In dem 35 Seiten umfassenden Papier wird betont, dass ein Einfrieren der Daten aus konkretem Anlass der massenhaften Vorratsdatenspeicherung vorzuziehen sei. Quick-Freeze werde angewandt, um die "Erforschung eines Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten" zu ermöglichen. Der Entwurf trage "wesentlichen Bedürfnissen der Strafverfolgungsbehörden angemessen Rechnung" , heißt es in der Begründung des Gesetzestextes, begrenze aber "die Menge der zu speichernden Daten auf das notwendige Maß" .
"Die FDP lehnt es ab, dass Daten von 82 Millionen Bürgern auf Halde gelegt werden - ob das jetzt drei Monate sind oder sechs" , sagte Leutheusser-Schnarrenberger der Welt. "Erst alles auf Vorrat speichern und dann den Datenberg durchforsten, das ist kein sinnvoller Weg." Es könne allein um eine anlassbezogene Speicherung für einen überschaubaren Personenkreis gehen. Nur unter dieser Prämisse sei die FDP bereit zum Kompromiss.
Vertreter der Internet-Community haben dagegen kritisiert, dass Leutheusser-Schnarrenberger Internet-Zugangsanbieter verpflichten will, flächendeckend und ohne Anlass für die Dauer von sieben Tagen auf Vorrat zu speichern, wer wann unter welcher IP-Adresse mit dem Internet verbunden war. In einem offenen Brief (PDF)(öffnet im neuen Fenster) heißt es: "Solche Protokolle sollen es Staatsbeamten ermöglichen, schon bei dem Verdacht einer Bagatellstraftat die Identität des Nutzers einer IP-Adresse ohne richterliche Anordnung offenlegen zu lassen, voraussichtlich aber auch schon präventiv sowie für geheimdienstliche Ermittlungen. Alleine die Deutsche Telekom musste 2010 täglich über 50 Staatsanfragen nach der Identität des Nutzers einer IP-Adresse beantworten. Eine identifizierte IP-Adresse ermöglicht zwar für sich genommen noch keinen unmittelbaren Rückschluss auf Gesprächspartner. In Verbindung mit Internet-Nutzungsdaten, die staatliche Stellen ohne richterliche Anordnung bei Internetanbietern wie Google anfordern können, lässt sich mit einer identifizierten IP-Adresse aber sogar der Inhalt der Telekommunikation einer Person nachvollziehen, also wer wonach im Internet gesucht, sich wofür interessiert und welchen Beitrag veröffentlicht hat."
Derzeit speicherten nur einzelne Internet-Zugangsanbieter die Zuordnung von IP-Adressen einige Tage lang auf Vorrat. Die Zulässigkeit dieser Praxis ist Gegenstand laufender Gerichtsverfahren, heißt es in dem Offenen Brief.
Placebo noch übertrieben
Die Unterzeichner sind Christian Bahls von Mogis, Markus Beckedahl von der Digitalen Gesellschaft, Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Michael Konken vom Deutschen Journalisten-Verband, Constanze Kurz vom Chaos Computer Club, Annette Mühlberg von der europäischen ICANN und andere. Schon in der Vergangenheit lehnten Datenschützer und Vertreter der Internetbranche die Pläne der Ministerin ab.
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), lehnte den Gesetzentwurf ab. "Auf dieser Basis wird eine Verständigung nicht möglich sein" , sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Der Entwurf bleibt weit hinter der europäischen Richtlinie zurück. Er bleibt auch weit hinter den Erfordernissen der Verbrechensbekämpfung zurück. Das weiß sie selbst ganz genau." Zur Charakterisierung des Gesetzentwurfes, so Bosbach, "wäre selbst das Wort Placebo noch übertrieben" .



