Es geht um eine gesellschaftliche Debatte über die Wichtigkeit und die Funktion von Erinnern und Vergessen

Zeit Online: Sind so komplexe Systeme überhaupt notwendig? Genügt es nicht, mich als Nutzer daran zu erinnern, dass ich bestimmte Sachen nicht ewig speichern sollte?

Mayer-Schönberger: Technisch geht es auch viel einfacher. Es genügt ja auch ein Symbol für Damen und eines für Herren, damit Frauen nicht aufs Herrenklo gehen und umgekehrt.

Zeit Online: Oder geht es gar nicht um technische Lösungen, müssen wir uns angesichts nahezu unbegrenzter Speicherkapazität nicht selbst beschränken?

Mayer-Schönberger: Mir geht es um eine gesellschaftliche Debatte über die Wichtigkeit und die Funktion von Erinnern und Vergessen. Aus dieser Debatte entwickelt sich hoffentlich, wie wir konkret mit dem digitalen Erinnern umgehen. Technik kann dabei helfen. Sie ist aber nur ein Element bei unserer Suche nach einer Lösung, wie wir mit dem digitalen Erinnern leben. Es wäre falsch zu glauben, dass wir uns diese gesellschaftliche Debatte durch ein technisches Werkzeug ersparen könnten.

Zeit Online: Angesichts der Möglichkeiten von technischen Werkzeugen und Gesetzen - was ist mit jenen, die nicht vergessen, die solche Systeme nicht nutzen wollen? Haben Sie ein Recht auf ewige Speicherung, auch wenn dies andere tangiert?

Mayer-Schönberger: Einmal abgesehen von gesellschaftlichen Erinnerns- und Vergessensnormen denke ich schon, dass jene, die Erinnern wollen, das auch können sollten. Wenn ich meine Landschaftsfotos, meine Tagebuchaufzeichnungen, meine pubertären Poetikversuche die folgenden Jahrzehnte aufheben möchte, dann soll ich das können und dürfen.

Schwierig wird es immer, wenn andere davon betroffen sind: bei einem Foto etwa, das nicht nur mich, sondern auch einen Freund in kompromittierender Situation zeigt. Für diese Fälle muss die Frage des Erinnerns beziehungsweise Vergessens zwischen den Betroffenen verhandelt werden. Dazu kann es auch notwendig sein, einen gesetzlichen Rahmen oder eine gesetzliche Default-Regel vorzugeben.

Ich könnte mir für alles digitale Erinnern, das wie ein Foto bei Flickr den unmittelbaren individuellen Kontrollbereich verlässt, ein gemeinsames Verfallsdatum vorstellen. Wenn die Betroffenen sich nicht einigen können, gilt eben das kürzere der beiden Verfallsdaten. Aber das ist eine Frage, die jede Gesellschaft für sich beantworten muss.

Das mag kompliziert klingen, aber es ist eben keine leichte Frage. Wir sollten uns im digitalen Zeitalter aber auf keinen Fall davor drücken, sie zu diskutieren, denn sonst entscheiden andere und unabhängig von unseren Wünschen.

Viktor Mayer-Schönberger studierte Jura in Salzburg, Cambridge und Harvard. Während seines Studiums gründete er eine Firma für Datensicherheit und Antivirussoftware, blieb letztlich aber in der Wissenschaft, unter anderem an der John F. Kennedy School of Government in Harvard und als Director of the Information Policy Research Center an der National University in Singapur. Derzeit ist er am Oxford Internet Institute Professor für Internet Governance and Regulation. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt Delete - die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten. [Das Interview führte Kai Biermann / Zeit Online]

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 Digitales Vergessen: "Ein digitaler Radiergummi ist nur ein Teil der Lösung"
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Himuralibima 12. Jan 2011

Noch besser: Es gibt auch gar keine Handlungsmöglichkeit. Kein Verfahren kann einen...

die eule 12. Jan 2011

Hoffentlich is die TTL für diese News nur bei 1 Stunde und löscht sich dann von selbst...

Anonymer Nutzer 12. Jan 2011

für diese wäre es doch wunderbar. Noch einfacher ließen sich olle Missetaten vertuschen...

Anonymer Nutzer 12. Jan 2011

vergessen wo das Problem ist? Letztens wollte ich nachschlagen wegen der Windows-XP...



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