Das Leben geht weiter wie zuvor
Zeit Online: Wie wird die Gegenseite auf Phänomene wie Wikileaks reagieren, die Mächtigen der Welt? Jeff Jarvis hat ja die These aufgestellt, dass Institutionen wie das US-Militär dazu übergehen könnten, ihre Korrespondenzen nicht mehr schriftlich zu dokumentieren. Ist das realistisch?
Rosen: Ja, das ist sehr gut möglich! Wir wissen ja noch überhaupt nicht, wie die Reaktionen ausfallen werden. Es ist schon sehr seltsam, wie die Institutionen sich bislang verhalten. Die US-Regierung zum Beispiel scheint auf der einen Seite nach Julian Assange zu fahnden. Und auf der anderen Seite beschwert sie sich, dass Wikileaks nicht mit ihnen gesprochen hat, bevor sie die Dokumente veröffentlichten. Anscheinend weiß die eine Seite nicht, was die andere tut.
Zeit Online: Sie haben in Ihrem Blog eine interessante These aufgestellt: Es gebe Storys, die zu groß sind, um eine entsprechende Reaktion zu erhalten. Deshalb fürchten Sie, dass auch die Afghanistan-Dokumente nicht zu den Konsequenzen führen werden, die sie eigentlich verdient hätten.
Rosen: Ich will Ihnen ein Beispiel geben: das jüngste Open-Data-Dossier der Washington Post. Die Post hat zwei Jahre lang recherchiert und ein gewaltiges Dossier über alle Geheimdienst-Machenschaften des militärisch-industriellen Komplexes zusammengestellt. Sie hat eine Woche lang auf den ersten Seiten darüber geschrieben. Mehr Aufmerksamkeit ist fast nicht vorstellbar. Die Journalisten haben eine gewaltige Schattenwirtschaft aufgedeckt, die Milliarden Dollar verschlingt, völlig sinnlos, an der sich viele Menschen bereichern. Und was ist die Reaktion? Man sagt nur: Oh, dann müssen wir noch mehr Studien machen, und noch mehr Geld ausgeben, um herauszufinden, was genau da passiert ist. Der Kongress sagt nicht: Oh mein Gott, wir müssen hier dringend einen Schlussstrich ziehen, wir müssen das Ganze sofort neu regeln, wir sind zu weit gegangen. Nein, es passiert im Grunde nichts. Alles geht so weiter wie zuvor. Nicht, weil es unwichtig wäre, sondern weil man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.
Zeit Online: Man würde ja denken: Je größer ein Problem, desto größer die Reaktion.
Rosen: Ja, und ich sage nun: ab einer gewissen Größenordnung passiert genau das Gegenteil. Das Leben geht einfach weiter wie zuvor. Ich fürchte, das wird auch mit den Afghanistan-Dokumenten so passieren.
Und ich glaube, Journalisten haben das Ausmaß der aktuellen Veränderungen noch nicht einmal ansatzweise begriffen. Sie denken, wie sie es traditionell gelernt haben: wenn man darüber schreibt und recherchiert, und seinem Job wie gewohnt nachgeht, wird sich auch die Welt langsam zum Besseren wandeln. Es gibt aber Probleme, die viel vertrackter sind. Hier anzusetzen, wäre eine gewaltige Aufgabe für den seriösen Journalismus.
Wenn Sie mich jetzt fragen: Wie?, dann muss ich Ihnen leider sagen: Ich weiß es selbst nicht. Ich kann das Phänomen bislang nur beschreiben.
Der Journalistik-Professor Jay Rosen lehrt an der New York University. Er ist Autor des Buchs: What Are Journalists For?, in dem er sich mit dem Phänomen des Bürgerjournalismus beschäftigt. Schon seit 2003 schreibt er im Blog Pressthink über die Medienlandschaft und untersucht ihren Wandel. In seinem jüngsten Blogpost hat er kontroverse Thesen über Wikileaks aufgestellt, das er als "World's First Stateless News Organization" bezeichnet - die "erste staatenlose Nachrichtenorganisation der Welt".
[von Tina Klopp, Zeit Online]
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