Die Kaputtmacher

David Carey knibbelt mit sanfter Gewalt in dem kleinen Konferenzraum auf der Mobilfunkmesse in Barcelona an einer Abdeckung herum. Endlich gibt das Plastik nach und den Blick frei auf das Innenleben des Toshiba-TG01-Smartphones. Wo andere jetzt auf dem großen Videobild an der Wand ein Gewirr aus Elektronik und Kunststoff erkennen, denkt der Vice President Technical Intelligence von Techinsights nur in Chancen, Fehlern, Potenzialen, Sackgassen und Kosten. Die Mitarbeiter von Firmen wie Techinsights(öffnet im neuen Fenster) oder iSuppli(öffnet im neuen Fenster) haben das zum Beruf gemacht, was sie schon als kleine Jungs immer gerne getan haben. Sie zerlegen ihr Spielzeug.
Aber heute zerlegen sie es viel gründlicher als damals und bekommen sogar Geld dafür. Um genau zu wissen, wo ihre Wettbewerber im Markt stehen, sind viele Unternehmen gerne bereit, tausend US-Dollar und mehr für einen lieblos zusammengetackerten Stapel von Fotokopien mit Zahlenkolonnen und Grafiken auszugeben. Denn es kann Millionen sparen.
Da werden Teile durchleuchtet, geröntgt, zersägt. Alles wird katalogisiert und manchmal überhaupt erst aus der Anonymität gezerrt. So manchem Chip fehlt heute jegliche Beschriftung, es ist nicht mal klar, was das Bauteil macht. Denn das könnte der Konkurrenz wichtige Hinweise geben. Eben! Und genau das weckt den Ehrgeiz von Carey und seinen Kollegen.
Um das Ziel zu erreichen, bleibt kein Stein auf dem anderen. Jede Lage Folie wird vom Touchscreen gekratzt, jedes Detail festgehalten, fotografiert, analysiert. Wo sitzt die Antenne für das GSM-Modul, wo die für WLAN? Wie viele Schrauben halten das Mainboard? Die Batterie wird durch ein Spezialexemplar mit Kabeln und Software ersetzt, das ganz genau festhält, wie viel Milliwatt Strom wann von welcher Funktion wie lange abgerufen werden. Da gibt es gewaltige Unterschiede, weiß der Berufszerleger, die die Spreu vom Weizen trennen.
Das TG01 bekommt ein gutes Zeugnis. Das aufgesägte Mainboard zeigt unter dem Rasterelektronenmikroskop einen durchdachten Aufbau der Leiterplatte. Das Urteil: "State of the Art" . Dazu eine effektive Produktionsmethode und sinnvolle Bestückung mit Einsparpotenzial.
Zu den Kosten. Batterie: 3 US-Dollar. Teile fürs Gehäuse: 4 US-Dollar. Kamera: 10 US-Dollar. Elektronik: 75 US-Dollar. Es läppert sich zusammen. In den Datenbanken von Techinsights sind die Einkaufspreise zigtausender Teile gespeichert, vom Prozessor bis zur Mikroschraube. Am Schluss errechnet sich für das TG01 in der japanischen Version ein Teilepreis plus Montagekosten von 142,65 US-Dollar. "Das iPhone 3 GS kommt auf gut 156 US-Dollar" , sagt Carey. "Alle High-End-Geräte liegen derzeit in dieser Range" .
Wer seine Kunden sind? Große Hersteller, aber auch Patentinhaber. "Die Hersteller wollen sich gegen Klagen absichern und lassen uns suchen, wo sie was übersehen haben könnten. Patentinhaber lassen uns nach schwarzen Schafen suchen."
Ob er Angst hat, dass ihm mal die Arbeit ausgeht? Vielleicht irgendwann mal in ferner Zukunft. "Durch Touchscreens wird der mechanische Aufbau immer einfacher. Tastaturen waren eine Herausforderung für viele. Außerdem verschwindet die Elektronik immer mehr. Was früher auf zehn Chips war, ist heute auf fünf, bei Billiggeräten schon auf einem."
Aber noch macht er sich keine Gedanken. Im Gegenteil. Aus Barcelona reist er wieder mit einer langen Liste von neuen Smartphones ab. Alles zum Kaputtmachen. Wie herrlich. [ von Axel Postinett / Handelsblatt(öffnet im neuen Fenster) ]



