LG Offenburg: Providerdaten auch ohne Gerichtsbeschluss
Es war ein Filesharing-Verfahren wie viele andere. Es ging um die Vorwürfe der unerlaubten Verwertung urheberrechtlicher Werke (§106 UrhG) und des unerlaubten Eingriffs in verwandte Schutzrechte (UrhG), wegen der die Staatsanwaltschaft Offenburg mit Antrag vom 25. Juni 2007 einen Gerichtsbeschluss zur Herausgabe von Providerdaten erwirken wollte. Zuvor hatte proMedia IP-Adressen eines Tauschbörsenteilnehmers an eine im Auftrag von Rechteinhabern agierende Anwaltskanzlei weitergeleitet, die bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet hatte.
Das zuständige Amtsgericht in Offenburg lehnte jedoch das Begehren der Staatsanwaltschaft am 20. Juli 2007 "wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit" ab. Die Begründung: Bei den identifizierenden Informationen zu einer dynamischen IP-Adresse handele es sich "um Verkehrsdaten, und nicht um Bestandsdaten" , und "infolgedessen unterliegen sie dem Fernmeldegeheimnis" . Die im Gesetz an die Herausgabe von Verkehrsdaten geknüpften, hohen Voraussetzungen sah das Gericht nicht erfüllt. Die in der Anzeige vorgeworfenen Straftaten seien nicht "von erheblicher Bedeutung" , es handele sich lediglich um "Bagatellkriminalität" .
Gegen die Entscheidung des Gerichts legte die Staatsanwaltschaft am 1. August 2007 Beschwerde beim Amtsgericht ein, das dieser am folgenden Tag jedoch nicht nachkam. Stattdessen legte das Gericht die Beschwerde zur Entscheidung der Beschwerdekammer vor. Daraufhin ergänzte die Staatsanwaltschaft die Beschwerde um das Argument, dass es sich bei den zu dynamischen IP-Adressen auf der Seite des Providers zugeordneten Nutzerdaten um Bestandsdaten gemäß Telekommunikationsgesetz handeln würde, deren Herausgabe unter den gegebenen Umständen nicht unverhältnismäßig sei. Eine solche Auffassung hatten auch die Rechteinhaber durch ihre Anwälte vertreten.
Die dritte große Strafkammer des Gerichts hat nun mit Beschluss vom 17. April 2008(öffnet im neuen Fenster) die Beschwerde der Staatsanwaltschaft "als unzulässig abgelehnt" . Zugleich hat die Beschwerdekammer allerdings festgestellt, dass nach der ab 1. Januar geltenden, neuen Rechtslage bei der Telekommunikationsüberwachung dynamische IP-Adressen in der Tat als Bestandsdaten zu behandeln sind. Staatsanwaltschaften und Polizei können deren Herausgabe durch den Provider auch ohne Gerichtsbeschluss verlangen.
Das Gericht argumentiert in seiner Entscheidung mit "der Gesetzesbegründung und der Entwicklung des Gesetzesentwurfes" . Zwar habe der Gesetzgeber im Gesetzestext selbst nicht klar geregelt, ob dynamische IP-Adressen den Bestandsdaten oder den strenger geschützten Verkehrsdaten zuzurechnen seien. Jedoch habe sich der Rechtsausschuss des Bundestages in seiner Beschlussempfehlung vom 7. November 2007 dafür ausgesprochen, "dass die nach § 113 a gespeicherten Daten, wie etwa eine (dynamische) IP-Adresse [...] auch für eine Auskunftserteilung über Bestandsdaten [...] verwendet werden dürfen. Damit wird in der Sache zugleich auch dem Anliegen [...] des Bundesrates Rechnung getragen und eine ausdrückliche gesetzliche Regelung geschaffen, die klarstellt, dass Auskünfte insbesondere über den Namen und die Anschrift eines mittels dynamischer IP-Adresse und Uhrzeit individualisierten Anschlussinhabers im manuellen Auskunftsverfahren nach § 113 TKG zu erteilen ist - und zwar gerade auch dann, wenn diese Auskunft vom Diensteanbieter nur unter Rückgriff auf [...] gespeicherte Verkehrsdaten möglich ist."
Das Gericht folgert dann weiter: "Da das Gesetz mit dieser Ergänzung sodann vom Bundestag beschlossen wurde, ist dieser Sinn der in § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG eingefügten Worte Wille des Gesetzgebers geworden und somit für die Rechtsauslegung zu berücksichtigen, auch wenn der Wortlaut selbst den beabsichtigten Regelungsgehalt nicht eindeutig wiedergibt."
Durch die Einstufung von IP-Adressen als Bestandsdaten entfaltet auch die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 zur "Vorratsdatenspeicherung" keine unmittelbare Wirkung im Hinblick auf die Herausgabe der Providerdaten. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seiner Entscheidung lediglich auf Verkehrsdaten bezogen. Sollten andere Gerichte der jetzt geäußerten Auffassung des LG Offenburg folgen, dürften die Provider bald mit Auskunftsersuchen nach Nutzerdaten überschwemmt werden.
Es stellt sich zudem die Frage, ob denn bei der Internetnutzung überhaupt noch Verkehrsdaten im Sinne des Telekommunikationsgesetzes anfallen können, wenn dynamische IP-Adressen schon als Bestandsdaten zu gelten haben. Wer sich über Provider eine dynamische IP-Adresse zuteilen lässt, um im Web zu surfen, hinterlässt in der Logik des LG Offenburg beim Provider praktisch nur noch Bestandsdaten, aber keine Verkehrsdaten außer - vielleicht - den als solche einzustufenden Zeitpunkten von Ein- und Auswahl. Name, Adresse und Kontoverbindung zählen ja per Gesetz ohnehin zu den Bestandsdaten, da sie für Abrechnungszwecke erhoben werden. Eine Unterscheidung zwischen Bestandsdaten und Verkehrsdaten wäre somit praktisch obsolet, einer beliebigen Verwendung der Providerdaten zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aller Art Tür und Tor geöffnet.
In seiner Eilentscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht es abgelehnt, die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung bis zur endgültigen Entscheidung außer Vollzug zu setzen. Das Gericht argumentierte(öffnet im neuen Fenster) : "Ein besonders schwerwiegender und irreparabler Nachteil, der es rechtfertigen könnte, den Vollzug der Norm ausnahmsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen, liegt in der Datenspeicherung allein nicht. Zwar kann die umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke, die sich zum Zeitpunkt der Speicherung der Daten nicht im Einzelnen absehen lassen, einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken. Der in der Vorratsdatenspeicherung für den Einzelnen liegende Nachteil für seine Freiheit und Privatheit verdichtet und konkretisiert sich jedoch erst durch einen Abruf seiner Daten zu einer möglicherweise irreparablen individuellen Beeinträchtigung."
Sollten in Zukunft die bei den Providern gespeicherten Nutzerdaten massenhaft zur Verfolgung von "Bagatellkriminalität" abgerufen werden, könnte sich die Bewertung der Situation durch das Bundesverfassungsgericht ändern. Ein neuer Eilantrag auf Aussetzung der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung könnte dann erfolgreich sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Beschluss des Landgerichts München von Mitte März 2008 , dass die Akteneinsicht zur Erlangung der Providerdaten in einem Filesharing-Fall wegen des damit verbundenen Eingriffs "in die Intimsphäre und damit sogar in den besonders geschützten Kernbereich der Persönlichkeitsrechte des Computerbesitzers" ablehnte.
In jedem Fall konterkariert das vom LG Offenburg rekonstruierte Gesetzgebungsverfahren die anlässlich der Novellierung der Telekommunikationsüberwachung von Politikern immer wieder öffentlich gemachten Äußerungen, dass es lediglich darum gehe, "den Terrorismus zu bekämpfen" , "die innere Sicherheit in diesem Land zu stärken" und "schwere Straftaten" zu verfolgen. So hatte noch Ende Dezember 2007 Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gegenüber dem Focus erklärt: "Verbindungsdaten dienen der Strafverfolgung, insbesondere der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, aber nicht der Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche der Musikindustrie. [..] Wenn wir anfangen, das zu erweitern, verliert der Staat an Glaubwürdigkeit." [von Robert A. Gehring]



