Interview: 'Videos im Internet sind auf dem falschen Weg'

"Videos im Internet sind auf dem falschen Weg" - diese These stellte Jesse Patel von der Participatory Culture Foundation in seinem Vortrag auf der re:publica 2008 auf. Die meisten Videos würden von Angeboten wie YouTube vorgehalten, die Inhalte und Nutzer kontrollierten. So könnten die Produzenten von Videos beispielsweise wenig dagegen tun, wenn die Portalbetreiber Videos von ihren Servern entfernen .
Seit November 2007 steht die Version 1.0 des Internet-Video-Players Miro im Internet zur Verfügung. Im Jahr 2007 wurden laut Patel bereits 2 Millionen Videos damit heruntergeladen. Im Jahr 2008 soll die Zahl auf 6 Millionen steigen. Die Nutzung der Software sei nicht nur auf die USA beschränkt: Nicht einmal 30 Prozent der Miro-Nutzer sind laut Patel Amerikaner. Etwa 22 Prozent der Nutzer kämen aus den deutschsprachigen Ländern, in den rund 4.000 Videokanälen würden auch rund 300 deutschsprachige Videos angeboten. Nun plane Miro auch die Einrichtung einer deutschen Startseite, sagte Patel abschließend und rief Nutzer auf, sich daran zu beteiligen.
Jesse Patel ist der Director of Business Development bei der gemeinnützigen Stiftung Participatory Culuture Foundation, die die Open-Source-Software Miro entwickelt hat. Im Anschluss an seinen Vortrag hatte Golem.de die Gelegenheit, Patel einige Fragen zu stellen.
Golem.de: Warum Miro? Es gibt doch schon viele Videoangebote wie Joost oder YouTube.
Jesse Patel: Wir sind nicht gegen YouTube. Sie machen eine Menge guter Sachen. Wir hätten gern, dass die Nutzer ihre Videos hauptsächlich mit Miro herunterladen, dann könnten wir Einfluss auf YouTube ausüben. Wir ermöglichen es Videoproduzenten, mit ihren Inhalten Geld zu verdienen. Oder wenn jemand sein YouTube-Video auch in HD-Qualität anbieten möchte, ginge das auch über unseren Dienst.
Unsere Idee ist, mit einem offenen, nichtkommerziellen Videoplayer andere Angebote zurückzudrängen. Man kann das Verhalten beeinflussen. Inzwischen hält sich der Internet Explorer an die Webstandards, weil Firefox aufgetaucht ist und sich einen Anteil von 30 Prozent am Browsermarkt gesichert hat.
Golem.de: Warum haben Sie eine eigene Software entwickelt und nicht einfach auch ein Videoportal aufgebaut?
Jesse Patel: Wir wollen nicht als Gatekeeper auftreten. Wir haben lieber eine Technik entwickelt, die es Nutzern ermöglicht, direkt auf Inhalte zuzugreifen. Wir erwägen auch Funktionen für den Browser, etwa ein Plug-in, mit dem ein Nutzer seine bevorzugten Inhalte sammeln oder herunterladen kann. Praktisch alle Funktionen von Miro ließen sich auch in einen Browser integrieren. In gewisser Weise haben wir einen Browser, mit dem Nutzer Videos direkt von den Produzenten herunterladen können. Aber eben ein Browser nur für Videos.
Auf unseren Servern liegen nur die Content-Guides. Die Videos liegen auf den Servern der Produzenten oder, wenn sie YouTube nutzen, bei YouTube. Wir halten keine Inhalte vor, und das ist das Schöne an unserem System.
Unsere Nutzer bekommen viele Inhalte von den unterschiedlichsten Orten, ohne dass wir die Möglichkeit haben, irgendetwas zu zensieren. Wenn der Nutzer etwas mit Miro abonniert, haben wir keine Einflussmöglichkeit darauf. Letztlich ist Miro nichts anderes als ein BitTorrent-fähiger RSS-Aggregator.
Golem.de: Und wie finden Nutzer Inhalte, die sie interessieren?
Jesse Patel: Wir haben etwa 400 thematisch geordnete Kanäle, von denen sich allerdings einige nur sehr schwer in Kategorien fassen lassen. Es ist eine riesige Auswahl: Es gibt zum Beispiel sehr viele Videos über Wissenschaft und Technik. Natur, Sport und Musik sind auch gut vertreten. Die Kategorien Kochen und Heimwerken sind sehr umfangreich. Es gibt viel Kultur und Sprachlern-Videos. Es gibt wirklich sehr viele Themen.
Golem.de: Produzenten können ihre Videos mit dem System einfach in einem der vielen Kanäle veröffentlichen. Was ist mit den Zuschauern? Können sie Videos, die sie interessant finden, in einen bestimmten Kanal einbinden?
Jesse Patel: Dafür haben wir vor einiger Zeit eine Anwendung namens Videobomb entwickelt, die es Nutzern erlaubt, einen Kanal für ihre eigenen Links einzurichten. Sie aggregieren dann den Feed selbst. Im Moment wendet sich Miro noch eher an Videoproduzenten, die ihre Videos in den Content-Guide einstellen, und die Nutzer schauen die Videos dann an. Aber was wir letztlich mit Miro wollen, ist, Nutzern die Möglichkeit zu geben, andere an ihren bevorzugten Inhalten teilhaben zu lassen.
Golem.de: Sie sagten, Sie treten nicht als Gatekeeper auf. Gibt es denn trotzdem jemanden, der das Angebot im Auge behält?
Jesse Patel: Wir haben eine Community aus etwa 100 freiwilligen Moderatoren. Die überprüfen die Kanäle und achten darauf, dass dort keine urheberrechtsgeschützten Inhalte oder Pornografie auftauchen. Außerdem haben sie die Möglichkeit, Kanäle, die ihnen sehr gut gefallen, auf der Startseite zu präsentieren.
Golem.de: Geben Sie Videoproduzenten auch die Möglichkeit, Geld mit ihren Inhalten zu verdienen?
Jesse Patel: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Produzenten verdienen normalerweise Geld mit Sponsoring. Ich würde dann also mein Video anmoderieren mit: "Hallo, willkommen zu Jesses Videopodcast, der präsentiert wird von Unternehmen X" , und Unternehmen X zahlt mir dafür sagen wir 20,- US-Dollar.
Golem.de: Was ist mit Pay-per-View-Angeboten?
Jesse Patel: Wir denken, es ist wichtig, das zu ermöglichen, aber wir wollen das sehr offen handhaben. Es gibt ja schon viele Sites, die Pay-per-Download anbieten.
Wir könnten das entsprechend präsentieren: "Schau Dir dieses Video an, Du kannst es für 5,- US-Dollar von Site X herunterladen." Aber wir sind nicht dafür verantwortlich, denn sonst wären wir so wie iTunes.
Golem.de: Wie wird die Entwicklung Miro finanziert?
Jesse Patel: Wir werden von einer gemeinnützigen Organisation finanziert, die unsere Mission für wichtig hält.
Golem.de: Wie würden Sie Ihre Mission beschreiben?
Jesse Patel: Wir streben eine Zukunft an, in der jeder den gleichen Zugang zu Videos hat und Geld keine Rolle spielt. Natürlich kann man einwenden, das gibt es schon jetzt bei YouTube. Dort kann ja jeder seine Videos einstellen. Aber dort hat man keine Kontrolle über die Inhalte.
Wir wollen ein System, über das jeder seine Videos verbreiten kann, ein System, das so einfach ist wie YouTube, aber bei dem man seine Inhalte nicht an ein Angebot wie YouTube zu dessen Bedingungen abgibt. Wir wollen, dass die Produzenten die Kontrolle über ihre Videos behalten, wie sie produziert und genutzt werden. Und wir wollen, dass der Nutzer im Mittelpunkt steht, dass so wenige Stellen zwischen den Nutzern und den Anbietern stehen wie möglich. Wir sind gegen ein Monopol auf Onlinevideos, wir wollen lieber Wettbewerb.



