Das Ende der Science-Fiction - auf der re:publica

"Science-Fiction ist der neue Western - genauso staubig und genauso tot" , sagt Gregor Sedlag(öffnet im neuen Fenster) . Wer solche Sätze auf einer Tagung wie der re:publica sagt, wo schon mal ein Star-Trek-Shirt oder -Sticker zu sehen ist, der weiß hoffentlich, wovon er spricht. Sedlag weiß es: Der gelernte Historiker ist nicht nur Sci-Fi-Kenner und -Fan. Er zeichnet auch - ganz ernsthaft und professionell - Illustrationen für Perry-Rhodan-Hefte. Außerdem ist Sedlag Mitglied des c-Base e.V.(öffnet im neuen Fenster) - der Verein hilft bei der Ausgrabung einer vermeintlich unter Berlin-Mitte vermuteten Raumstation.
Trotzdem: Sedlag ist nicht gut auf die Science-Fiction zu sprechen. Früher, da war Sci-Fi ein popkulturelles Massenphänomen, eine Art mentales Traniningsprogramm, das insbesondere die Jugend positiv auf die Zukunft vorbereitete. Beispiel Jules Verne: Der Autor hatte jede Menge wissenschaftliche Voraussagen mit in seine Romane einfließen lassen - kein Wunder, dass viele der beschriebenen Technologien bald realisiert wurden. Sogar die Raketen eines Wernher von Braun wären, meint Sedlag, ohne die Inspiration durch die damalige Science-Fiction nicht denkbar gewesen.
Nicht nur in der Technik und Naturwissenschaft spielte die Science-Fiction eine Rolle. Auch avantgardistische Ideologien sind eine Form von Fortschrittlichkeit. Genauso wie Anti-Utopien, kritische Utopien, Faschismus und Kommunismus - alles "Science-Fiction at Work" , so Sedlag. Die Menschen versuchten damals, ihre Gesellschaften nach utopischen Vorstellungen zu formen. Es gab im Dritten Reich ebenso wie in der Sowjetunion die Bereitschaft, größte Veränderungen zu planen und durchzuführen - mit verheerendsten Folgen; Science-Fiction übrigens nahm auch das auf und verarbeitete es in Werken wie 1984 oder Brave New World.
Der Wendepunkt für die Science-Fiction kam ausgerechnet im Jahrzehnt ihrer größten Erfolge: Die Mondfahrt, einst als undurchführbar belächelt, war plötzlich Realität. Der vermeintlich utopische Schritt war gelungen - aber irgendwie war das Ergebnis anders als erhofft. Gut, Armstrong durfte mit seinem "Schritt"-Satz in die Geschichte eingehen und auf dem Erdtrabanten rumspringen - aber irgendwie war das doch alles ganz schön profan und hatte nichts zu tun mit Laserkanonen, Reisen bei Lichtgeschwindigkeit oder Generationenschiffen. Ästhetisch passierte im Jahr 1968 Ähnliches: Auch im Film 2001 von Stanley Kubrick waren etwa die Raumschiffe nur öde Transportvehikel, in denen man nur wenig anderes tun konnte als vor Langeweile halbverrückt zu werden.
In den 70ern ging der Niedergang der Utopien nahtlos weiter, indem etwa der Club of Rome seine Thesen über die Grenzen des Wachstums(öffnet im neuen Fenster) veröffentlichte. "1977 wird Science-Fiction dann durch Star Wars endgültig zum Märchen" , sagt Sedlag. "Keines der Technik-Gadgets in den Filmen hat noch einen Bezug zur realen Welt. Das Zukunftsversprechen ist rein selbstreferenziell." Durch Star Wars wird die Science-Ficiton zum Massenphänomen.
Ab sofort setzen etwa Filme vor allem auf Schauwerte, auf Design statt auf Funktion. Inhaltliche Erlebnisse bleiben fast schon Zufall - siehe Blade Runner, der trotz der verstümmelten Handlung der Kinoversion ein kommerzieller Erfolg wurde; erst Ridley Scotts Director's Cut erzählt eine sinnvolle Story. Auf den darauffolgenden Final Cut - den Scott in einem Videokommentar als bevorzugte Version bezeichnet - ging Sedlag nicht ein. Dennoch war Blade Runner ein wichtiger Film: Mit ihm erlebte die Science-Fiction den Rücksturz auf die Erde, sie kam aus den weitesten Galaxien zurück nach Hause.
Für Sedlag kumuliert die Science-Fiction in der Matrix-Reihe - die enthalte einfach alles Wesentliche auf einmal. Mehr geht nicht: "Matrix war der große Spaghettiwestern der Science-Fiction - danach war das Genre erledigt."
Eine Frage bleibt offen: Wenn die Science-Fiction als Trainingsprogramm nicht mehr wirksam ist - wer oder was bereitet uns dann auf die Zukunft vor?



