Das Internet brachte die Mauer zu Fall
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine interessante Interpretation der Ereignisse im Herbst 1989 geliefert: Es sei, so sagte sie auf dem von Microsoft organisierten Government Leaders Forum Europe(öffnet im neuen Fenster) , die Informationstechnologie gewesen, die den Fall der Mauer herbeigeführt habe. Der sei nämlich das "Produkt der kulturellen Revolution durch die Informations- und Telekommunikationstechnologie" .
In ihrer Rede vor dem Forum unterstrich Merkel die Bedeutung von IT für die Demokratisierung. "Die diktatorischen Systeme dieser Welt bekommen allesamt prinzipielle Probleme" , so die Kanzlerin. Sie müssten "Informationen verfügbar machen, als Voraussetzung, um ökonomisch erfolgreich zu sein." Daraus resultiere dann der "Zielkonflikt" , dass die Bürger zwar bei der Arbeit IT nutzten, andererseits dürften die Arbeitnehmer jedoch nicht so mündig werden, "dass sie das System außerhalb der Arbeitszeit kritisieren" .
Den Organisator der Konferenz wird ein solches Statement gefreut haben: Das GLF wird vom Software-Giganten Microsoft ausgerichtet. Dessen Gründer Bill Gates war selbst nach Berlin gereist und hatte unter anderem zusammen mit der Kanzlerin den Wettbewerb "IT-Fitness macht Schule" ausgerufen. Merkel begrüßte den Wettbewerb. Er sei " genau das, was Deutschland braucht" . Insgesamt will Microsoft in den nächsten fünf Jahren rund 235 Millionen US-Dollar in Bildungsprogramme auf der ganzen Welt investieren.
Für ihr Eintreten für das Microsoft-Projekt erhielt die Kanzlerin Kritik von der bildungspolitischen Sprecherin der Linkspartei, Nele Hirsch(öffnet im neuen Fenster) . Merkel habe dabei wenig Fingerspitzengefühl bewiesen, zumal derzeit Verfahren gegen Microsoft wegen dessen Quasi-Monopol-Stellung liefen. "Microsoft will in erster Linie Computer verkaufen, und das am liebsten als Monopolist." Der Wettbewerb sei eine Verkaufsförderungsmaßnahme. "Und dabei hat eine Bundeskanzlerin als Promoterin nichts verloren" , kritisierte Hirsch.
Kritikwürdig sind Merkels Thesen zum Mauerfall. Zwar gab es das Internet(öffnet im neuen Fenster) schon. Es war damals jedoch hauptsächlich Wissenschaftlern vorbehalten und noch recht überschaubar: Laut Hobbes' Internet-Timeline(öffnet im neuen Fenster) übersprang die Anzahl der angeschlossenen Host-Rechner in jenem Jahr die 100.000er-Marke. EUnet(öffnet im neuen Fenster) verzeichnete in jenem Jahr gerade mal 200 Kunden(öffnet im neuen Fenster) . EUnet war einer der ersten deutschen Internet-Provider und angesiedelt an der Universität Dortmund.
Die Entwicklung schließlich, die erst entscheidend den Erfolg des Internets prägte, kam zwei Jahre später: Das World Wide Web wurde erst 1991(öffnet im neuen Fenster) vom englischen Informatiker Tim Berners-Lee eingeführt.



