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Interview: Wenig Unterschriften gegen Schweizer Urheberrecht

Golem.de im Gespräch mit Florian Bösch von "No Swiss DMCA". Im Herbst 2007 hat der Schweizer Gesetzgeber eine revidierte Fassung des Urheberrechts beschlossen. Dies stößt auf Kritik. Im Wege eines fakultativen Referendums soll das Gesetz zu Fall gebracht werden. Noch fehlt allerdings der Großteil der nötigen 50.000 Unterschriften. Florian Bösch erläutert im Gespräch mit Golem.de die Kritik der Initiative "No Swiss DMCA" am neuen Gesetz.
/ Jens Ihlenfeld
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Golem.de: Welche Rolle spielen Sie bei der Initiative "No Swiss DMCA"?

Florian Bösch: Ich bin der Initiator des angestrebten Referendums. Dabei beschäftige ich mich insbesondere mit vielen administrativen Fragen: Organisierung der Community, Bereitstellung von Community-Tools, Entgegennahme und Verwaltung der Unterschriftenbögen und versuche, die Diskussion am Laufen zu halten. Dabei verstehe ich mich als eine Art Katalysator der Debatte.

Golem.de: Was war der Ausgangspunkt? Wie sind Sie darauf gekommen, diese Initiative zu starten?

Bösch: Am 30. November 2007 gab es einen Artikel im Webzine BoingBoing, der die Gesetzesänderungen zum Thema hatte. Da bin ich darauf aufmerksam geworden. Durch meine Arbeit als Webentwickler war ich aber bereits davor schon sensibilisiert, insbesondere was das Thema DRM und Kopierschutz angeht. Diese Einschränkungen habe ich schon seit langem als kundenunfreundlich und monopolbildend wahrgenommen. Nach der Lektüre des Artikels stand für mich fest, dass ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, zu der Gesetzesänderung zu schweigen.

Golem.de: Welches sind Ihre Hauptkritikpunkte am neuen Schweizer Urheberrecht?

Bösch: Es gibt sowohl grundsätzliche als auch formale Bedenken. Grundsätzlich wird durch die Novelle einer erwiesenermaßen skrupellosen Industrie erheblich in die Hände gespielt. Die Schweizer Regierung sieht dieses Gesetz dabei zudem als Kompromiss. Es wird argumentiert, dass die Urheberindustrie im digitalen Zeitalter über Gebühr benachteiligt sei. Dieser Interpretation kann ich nicht folgen. Die Kritik richtet sich also gegen die prinzipielle Ausrichtung des Gesetzes. Nutzerinnen und Nutzer erhalten immer mehr Pflichten, demgegenüber werden der Industrie weitere Rechte eingeräumt.

Golem.de: Und aus inhaltlich-formaler Sicht?

Bösch: Dieses Gesetz ist in seiner verabschiedeten Form sehr widersprüchlich. In welcher Art und Weise die dort verankerten neuen Regelungen in der Praxis interpretiert werden, bleibt wieder den Gerichten vorbehalten. Zudem wird in dem Gesetz der rechtliche Rahmen für die Strafbarkeit der Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen festgelegt. Dies stellt dann auch die Privatkopie in Frage. Diese ist aber kein Recht, sondern eine Freiheit. Die Kritik richtet sich aber auch gegen die Regelungen bei der legalen Nutzung. Der Gesetzgeber hat es verpasst, die Hersteller und Anwender von Kopierschutzsystemen in die Pflicht zu nehmen, die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer eindeutig zu gewährleisten (z.B. bei Backups und der Archivkopie). Darüber hinaus finde ich viele weitere Regelungen kritikwürdig. Das Gesetz ist intransparent und führt zur Verwirrung der Konsumenten. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Unklarheiten gleichfalls der Industrie schaden.

Golem.de: Sie haben den Weg über ein fakultatives Referendum gewählt. Was versteht man darunter und warum wurde dieser Weg eingeschlagen?

Bösch: Um in der Schweiz ein verabschiedetes Gesetz noch zu verhindern, ist ein solches Referendum der beste Weg. Wenn 50.000 Personen unterschreiben, kann eine Volksabstimmung über das Gesetz verlangt werden. Das Volk kann dann aber immer noch für das Gesetz stimmen oder wir können das Gesetz umstoßen.

Golem.de: Wie viele Leute haben bis heute unterzeichnet?

Bösch: Wir haben bislang noch nicht so viele Unterschriften. Auf meinem Schreibtisch liegen gerade 36 Unterschriften. In der gesamten Schweiz werden es aber inzwischen ein paar Hundert sein. Ich bin aber trotzdem zufrieden, da durch die Initiative mehr als vorher über das Thema berichtet und gesprochen wird.

Golem.de: Also setzen Sie vor allem auf den Optimismus der letzten Tage?

Bösch: Wir setzen auf die Zuversicht, dass die Schweizer durch ihre direkte Demokratie die Chance haben, bessere Lösungen zu finden als beispielsweise in den USA.

Golem: In Deutschland gibt es in einschlägigen Foren inzwischen vermehrt Diskussionen über das angestrebte Referendum. Wie ist die Situation in der Schweiz? Wie wird das Anliegen in der Presse und Öffentlichkeit bewertet?

Bösch: Ich denke, die netzorientierte Presse hat inzwischen Notiz davon genommen. So gab es etliche gute Artikel auf verschiedenen Portalen. Beispielsweise waren wir auch einige Stunden auf der Startseite von Digg. Mit den klassischen Printjournalisten hat es zwar das eine oder andere Interview gegeben, in den wichtigen nationalen Publikationen wie der "Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)", dem "Blick" oder in "20 Minuten" waren wir aber noch nicht.

Golem.de: Ein Problem, das in den Diskussionen immer wieder thematisiert wird, ist, dass bislang noch kein größerer Interessenverband Ihre Bemühungen unterstützt. Woran liegt es?

Bösch: Die Interessenverbände haben den Gesetzgebungsprozess begleitet und durch ihre Lobbyarbeit dafür gesorgt, dass die im Vorfeld befürchteten noch gravierenderen Änderungen nicht im novellierten Urheberrecht zu finden sind. Ein Schweizer DMCA konnte dadurch verhindert werden. Die Verbände haben sich am Ende des Gesetzgebungsprozesses entschlossen, kein Referendum zu machen. Dieser Position möchten sie treu bleiben. Zudem gibt es dort Befürchtungen, dass durch die Verhinderung dieses Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wird, ein neues und schlimmeres Urheberrecht zu verabschieden. Aber nach meiner Meinung kann Widerstand leisten nicht nur eine Frage der Strategie sein, sondern muss auf Prinzipien beruhen.

[Das Interview führte Philipp Otto]


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