User-generierter Spiele-Content: Zu 90 Prozent Mist?
Längst entscheidet über den wahren Hitstatus vieler Spiele, ob die Community sie annimmt und auch über den Solomodus hinaus durch eigengenerierte Inhalte am Leben erhält. Und Massively-Multiplayer-Onlinegames sind per se von der Kreativität abhängig - in World of WarCraft finden eben nicht nur Raids und Bossgegner-Kämpfe statt, sondern auch Hochzeiten, Gay-Paraden und Massentänze. Die Diskussionsrunde "Sharing Control" bestand dann auch aus einschlägig mit dem Thema "Community" Vertrauten: Moderator David Edery ist Portfolio Planner Worldwide Games by Xbox Live Arcade, Matt Brown fungiert als Technical Director und Design Director bei Maxis (Die Sims 2), Ray Muzyka richtet die Bioware-Spiele seit Neverwinter Nights stark auf Fan-Erweiterungen aus und Kim Pallister ist bei Microsofts Casual-Games-Gruppe beschäftigt.
Koster ist aber prinzipiell Community-freundlich, so wies er auf das Tanzphänomen in Star Wars Galaxies mit teils über 100 koordinierten Tänzern hin: "Als wir das sahen, dachten wir: Wir hätten das nur als Tanzspiel veröffentlichen und den Rest weglassen sollen!" Ray Muzyka erklärte, dass User-Content für Bioware einen ganz wichtigen Stellenwert habe. Das vermutlich 2008 kommende Dragon Age werde dabei Neverwinter Nights noch in den Schatten stellen.
Bald kam der Moderator auf die Faustformel "90 Prozent des User-Content sind Mist" zu sprechen, in Abwandlung des so genannten "Sturgeon's Law" (Science-Fiction-Autor Theodore Sturgeon meinte einmal, 95 Prozent von allem sei immer Schrott). Dieser Behauptung widersprach keiner der Beteiligten wirklich, bis auf Kim Pallister, der meinte, "der Mist des einen kann ja das Gold des nächsten sein."
Muzyka ging inhaltlich auf das implizierte Verhältnis ein: Es sei ein Fehler gewesen, bei Neverwinter Nights die Tools für "die 90 Prozent" zu machen. Denn anstatt Module komplett von einzelnen Personen erstellt worden wären, hätten sich Teams aus Spezialisten zusammengefunden: Der eine habe nur die Grafiken gemacht, der nächste das Levellayout usw. "Doch für die Spezialisten gingen unsere Tools nicht weit genug, sie konnten nicht das damit machen, was unsere Designer gemacht haben." In Zukunft wolle man die Tools komplexer gestalten, damit "die 10 Prozent" richtig gute Erweiterungen schaffen können.
Matt Brown führte aus, dass man keine Angst vor User-generiertem Content zu haben brauche, da sich die Community fast immer selbst reguliere. Als Beispiel führte er den "Angel Chair" und "Devil Chair" für Sims 2 an, anatomisch korrekte, "erregte" Skulpturen, auf denen man sitzen kann. Doch der Mod-Programmierer habe verhindert, dass im Spiel Kinder darauf Platz nehmen können. "Die Community reglementiert sich selbst, sogar in solchen seltsamen, beängstigenden Randbereichen." Außerdem erläuterte Brown, was nach Aussage eines englischen Community-Mitglieds der wahre Grund für die Beliebtheit der FIFA-Serie sei: "In England gehen die Jungs freitagabends in die Kneipen, um Mädchen abzuschleppen. Die, die leer ausgehen, betrinken sich und spielen dann zu Hause FIFA" . Seitdem gebe es den inoffiziellen Funktions-Check: "Funktioniert dieses Feature auch für Betrunkene?"
Kim Pallister warnte davor, zu sehr auf die Community zu hören: "Es gibt eine Tendenz, dass sich vor allem die absoluten Insider zu Wort melden." Daran sei das Flugsimulationsgenre kaputtgegangen: "Die Programmierer und die Hardcore-Fans haben sich immer weiter aufeinander zu bewegt, doch irgendwann waren die Features so freakig, dass das normale Publikum keinen Spaß mehr hatte." Auch bei Sims gebe es Anfragen, so Matt Brown, die in Richtung "automatischer Abgleich meines Sims-Tagesablaufs mit meinem Outlook-Kalender" gingen - und damit am Großteil der Spieler vorbei.
Den mit Abstand engagiertesten Redebeitrag lieferte Raph Koster: "Wir wollen alle nicht als Nummern behandelt werden! Wer eine gute Beziehung zu seinen Kunden haben möchte, muss sie als seine Frau, als Freundin, als Familie behandeln. Wir dürfen nicht von 'uns' und 'denen' reden!" So machte er noch eine Weile sehr engagiert und lautstark weiter: "You want people come back to you, you have to fucking get along!" Dann folgte der immer sehr beherrscht auftretende Ray Muzyka: "Schwer, das noch zu toppen. Wir bei Bioware finden, man muss seine Kunden respektvoll behandeln, dann behandeln auch die Kunden uns respektvoll." Woraufhin Moderator Edery lakonisch meinte: "Das ist jetzt die kanadische Art, dasselbe auszudrücken" - gefolgt von lautem Gelächter im Publikum.
Matt Brown fasste zum Schluss nochmal zusammen, wie aus seiner Sicht gutes Community-Management funktioniere: Maxis arbeite sehr eng mit Fansites zusammen und tausche sich regelmäßig mit ihnen aus. Manchen Webmastern würde man mit der Zeit mehr vertrauen als anderen und mehr Informationen geben. Zwar würde sich Maxis selbstverständlich NDAs (Stillschweige-Verpflichtungen) unterzeichnen lassen, bevor die Fansite-Vertreter vertrauliches Material zu Gesicht bekämen. Der eigentliche Anreiz, dichtzuhalten, sei aber ein anderer: "Diese Leute achten selbst peinlich darauf, dass sie nur an ihre Leser weitergeben, was sie dürfen. Denn wenn sie das nicht tun, schneiden wir sie von zukünftigen Informationen ab. Und das wollen sie nicht, zumal viele von ihnen Geld mit ihren Fansites verdienen, und manche sogar von ihren Fansites leben." [von Jörg Langer(öffnet im neuen Fenster) ]



