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Spieletest: Gothic 3 - Rollenspiel-Himmel und -Hölle

Action-Rollenspiel scheitert an großen Erwartungen. Eigentlich sollte Gothic 3 die Erfolgsgeschichte des PC-Spielejahres 2006 werden; kein anderer Titel war hier zu Lande von der Presse mit derart massiver und positiver Vorberichterstattung geradezu überschüttet worden. Der Verkaufsstart am 13. Oktober 2006 entwickelte sich dann allerdings zu einem Fiasko - von dem sich weder die Entwickler noch die meisten Spieler bis heute erholt haben. Eine Bestandsaufnahme.
/ Thorsten Wiesner
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Schon vor dem Verkaufsstart von Gothic 3 hatte es Anzeichen für massive Probleme gegeben; JoWooD zog sehr kurzfristig die an die Presse und das Presswerk bereits verschickte erste Gold-Master-Version noch zurück, weil sie zu gravierende Fehler enthielt, und schob eine ausgebesserte zweite Spielversion nach. Eben diese Version - die auch die Grundlage für diesen Test darstellt - schien aber mit ebenso heißer Nadel gestrickt zu sein, so dass bereits am Veröffentlichungstag ein gut 60 MByte großer Patch folgte. Die Probleme und Beschwerden seitens der Spielerschaft wurden dadurch allerdings nicht geringer, wie das von negativen Kommentaren überflutete JoWooD-Forum eindrucksvoll unter Beweis stellte. Eben dieses Forum(öffnet im neuen Fenster) war und ist übrigens immer noch zeitweise nicht mehr erreichbar – ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Bei solch gravierenden Problemen fällt es natürlich nicht leicht, sich auf das eigentliche Spiel zu konzentrieren; dabei gibt es durchaus auch Positives zu berichten. Vielleicht nicht unbedingt über das Intro in der Spielgrafik, das eher enttäuschend ausgefallen ist; dafür aber umso mehr über den direkten und gelungenen Einstieg, der den Spieler schon nach wenigen Minuten am ersten Gefecht teilnehmen lässt und dabei quasi nebenbei mit der grundsätzlichen Steuerung vertraut macht.

Um von Beginn an die Hintergrundgeschichte zu verstehen, ist es hilfreich, die vorangegangenen Gothic-Titel gespielt zu haben - Neueinsteiger werden nicht alles auf Anhieb begreifen und auch die teils aus dem Vorgänger bekannten KI-Kameraden eben nicht kennen. Überhaupt ist Gothic 3, ganz wie der Vorgänger, nicht unbedingt gut darin, den Spieler an der Hand zu nehmen und ihn mit Informationen zu überschütten: Die teils immensen spielerischen Möglichkeiten werden hier teilweise mit nur angedeuteten Spielhinweisen verknüpft; nicht selten ist nicht so wirklich klar, was überhaupt zu tun ist.

Die Hintergrundgeschichte knüpft mehr oder weniger nahtlos an das letzte Abenteuer der Reihe an: Die Orks haben mittlerweile die Herrschaft über das gesamte Reich übernommen, die Menschheit wird von ihnen brutal geknechtet. Die Motive für ihr brutales Vorgehen scheinen zunächst unklar - allerdings stellt sich schon bald heraus, dass ein alter Bekannter hinter der Verschwörung steckt. Natürlich lassen sich nicht alle Menschen unterdrücken; einige von ihnen haben sich in einer Art Widerstandsbewegung zusammengeschlossen. Wer jetzt denkt, dass der namenlose und vom Spieler gesteuerte Held zwangsläufig eben diese Rebellentruppe anführt, irrt - letztendlich ist es einem nämlich selbst überlassen, ob man die Orks bekämpft oder mit ihnen gemeinsame Sache macht. Immer wieder stellt sich einem die Möglichkeit, zwischen den Fronten hin- und herzuwechseln, erst zum Ende hin muss eine endgültige Entscheidung getroffen werden.

Überhaupt gibt fast jeder Quest dem Spieler die Möglichkeit, auf unterschiedliche Art und Weise vorzugehen. Leute verraten oder befreien, Schätze stehlen oder brav abliefern - der eigene Geschmack entscheidet. Allerdings wirken sich die meisten Aktionen direkt auf die eigene Reputation aus - und die kann entscheidend sein, wenn es etwa darum geht, lukrativere Aufträge zu bekommen oder Orks und Menschen von der eigenen Parteinahme zu überzeugen.

Vor Quests kann man sich übrigens schon bald nicht mehr retten; vor allem die zahlreichen Nebenaufgaben wie Waffen finden, Höhlen säubern, Truppen zurückschlagen und dergleichen mehr füllen das Questlog recht fix. Letzteres ist übrigens übersichtlicher als im ersten Teil, lässt trotzdem viele wertvolle Informationen vermissen und könnte daher durchaus noch ein ganzes Stück ausführlicher sein. Andere Übersichtsbildschirme wissen da schon besser zu gefallen: Das unendlich große Inventar ist nun thematisch geordnet und wirkt dadurch deutlich aufgeräumter, und der Charakter-Bildschirm schlüsselt die eigenen Fähigkeiten und Talente recht anschaulich auf; so lässt sich auch leicht erkennen, wo noch nachgebessert werden darf und sollte.

Beim Aufleveln des eigenen Charakters sind die Möglichkeiten recht vielseitig; typische Bereiche wie Lebenskraft, Stärke, aber auch Waffenumgang, Jagd und Diebesfähigkeiten bessern sich so Schritt für Schritt. Allerdings nicht unbedingt automatisch: Bestimmte Trainer müssen immer wieder aufgesucht und auch bezahlt werden, bevor es ans Ausbauen der Talente geht.

Neben den Haupt- und Nebenquests darf sich die Zeit auch in so genannten Arena-Kämpfen vertrieben werden, die an vielen Orten des riesigen Fantasy-Reiches möglich sind und dabei helfen, die eigene Reputation aufzubauen. Ärgerlich an diesen - und allen anderen - Kämpfen ist allerdings die ungenaue Steuerung.

Zwar ist die Waffenbedienung an sich simpel; mit der linken Maustaste wird beispielsweise mit dem Schwert zugeschlagen, mit der rechten geblockt. Nur landen längst nicht alle Treffer da, wo sie sollen. Im ungünstigsten Fall werden die eigenen KI-Kollegen verletzt, die sich infolgedessen natürlich wütend auf den Spieler stürzen.

Und das ist nur einer von vielen ärgerlichen Bugs; hinzu kommen massive Clipping-Fehler, logische Ungereimtheiten, fehlende Textpassagen, Abstürze, Schwierigkeiten beim Anlegen und Abrufen von Spielständen, abgehackter oder fehlender Sound, grobe KI-Schnitzer und einiges mehr. Besonders schlimm: An manchen Stellen sorgen die Fehler dafür, dass sich das Spiel nicht lösen lässt - das frustriert dann selbst den tolerantesten Gothic-Fan.

Leider wirkt die Technik insgesamt so, als wäre sie unter enormem Zeitdruck entstanden - was nützt die schönste Grafik, wenn sie selbst auf absoluten Highend-Rechnern noch ruckelt und die Ladezeiten mit zum Längsten gehören, das zuletzt am PC erduldet werden musste?

Natürlich waren die Vorschusslorbeeren für Gothic 3 trotz alledem nicht vollkommen unbegründet: Die beeindruckend weitläufigen Landschaften, die schöne Präsentation und vor allem die lebendige Szenerie wissen voll und ganz zu begeistern. In Gothic 3 macht es schon Spaß, einfach ein bisschen durch die lebensecht wirkenden Wiesen zu laufen, als Dieb in diverse Gebäude einzudringen oder sich an den zahlreichen animierten Details wie etwa zahlreichen kleineren und größeren Tierchen zu erfreuen.

Wie schon angesprochen setzt Gothic 3 einen hochgerüsteten PC voraus - jedenfalls dann, wenn die Grafik auch wirklich so beeindruckend und die Szenerien so weitläufig sein sollen, wie es die Entwickler vorgesehen haben. Ohne mindestens einen 3-GHz-Prozessor, eine neue Grafikkarte und wenigstens 1 GByte RAM (besser: 1,5 GByte) macht Gothic 3 nicht wirklich Spaß.

Gothic 3 ist bereits im Handel erhältlich und kostet etwa 50,- Euro. Für 70,- Euro ist auch eine Special Edition verfügbar; der liegen dann unter anderem noch eine Stoffkarte, eine Halskette, eine Making-Of-DVD und die Soundtrack-CD bei.

Fazit:
Vier Wochen Entwicklungszeit mehr hätten eventuell schon gereicht, um ein ähnliches Release-Desaster, wie es Gothic 3 jetzt widerfahren ist, zu verhindern - und trotzdem wäre das Spiel noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in den Handel gekommen. So aber müssen sich JoWooD und Deep Silver den Vorwurf gefallen lassen, ein unfertiges Produkt auf den Markt geworfen zu haben, das auch durch den ersten Patch nur unzureichend geflickt werden konnte. Schade um die an sich beeindruckend lebendige und abwechslungsreiche Spielwelt sowie die vielfältigen spielerischen Möglichkeiten; mit mehr Sorgfalt und Zeit wäre Gothic 3 sicherlich das erwartete Weihnachtshighlight geworden. So kommt auf jeden Grund zur Freude ein Anlass zum Frust.


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