Interview: Der PC-Spielemarkt ist gewachsen

Jörg Langer: Bitte ganz kurz: Wieso sollte jemand Supreme Commander(öffnet im neuen Fenster) kaufen, bietet es denn irgendwas Besonderes?
Chris Taylor: Aber klar! Unser Ziel ist es, etwas Neues und Aufregendes zu schaffen. Wir wollen die Strategie ins Echtzeitstrategie-Genre zurückbringen! Aktuelle Genrevertreter drehen sich um die Taktik, wie einzelne Einheiten gegeneinander kämpfen. Strategie jedoch findet statt, bevor es zum Kampf kommt. Bei uns ist die Welt größer, die Einheiten haben eine größere Reichweite. Wir haben diesen fantastischen Zoom von ganz nah auf ganz weit weg, bis die Truppen nur noch kleine farbige Symbole sind. Aber ich kann sie immer noch erkennen und präzise steuern! Das alles ergibt in der Summe echte Strategie. Und da ist noch der Simulationsaspekt: Jeder Schuss wird tatsächlich berechnet und richtet Schaden abhängig davon an, welche Stelle er trifft. Also nicht wie bei der Konkurrenz, wo erst gewürfelt wird, ob ein Schuss trifft und das dann grafisch dargestellt wird. Und ...
Chris Taylor: Falls es wirklich einen Rückschritt gibt, dann deshalb, weil es an neuen Ideen fehlt! Hier eine verbesserte Grafik, dort ein Interface-Detail anders gelöst – so was ist nicht spannend. Die Leute wollen nicht immer wieder dasselbe Spielkonzept kaufen. Ich empfinde das doch auch so!
Jörg Langer: Auch dem PC-Spielemarkt geht es nicht mehr so gut wie früher.
Chris Taylor: Moment, Sie meinen mit "PC-Spielemarkt" wahrscheinlich "Packungen, die im Laden stehen". Wenn Sie aber nun die Umsätze dazurechnen, die aus der elektronischen Distribution rühren, etwa STEAM von Valve oder Direct2Drive von IGN Entertainment, dann sieht es schon anders aus. Doch diese Zusatzumsätze fließen nicht in die Marktstudien ein! Denken Sie dann noch an die Abo-Gebühren der MMOs. Auch die fehlen in den Statistiken, und da reden wir von weit über 100 Millionen Dollar pro Monat! Wenn man all diese Umsätze sauber addieren würde, käme mit ziemlicher Sicherheit raus: Der PC-Spielemarkt ist gewachsen! Und eben nicht geschrumpft, die Leute geben ihr Geld einfach anders aus als früher. Wer aber immer noch – wie wir ja auch – auf das Modell Packung/Händler setzt, der muss einfach spannendere Spiele entwickeln.
Chris Taylor: Ich bin erstaunt, wie lange es manche Leute mit dem immer gleichen MMO aushalten. Wobei: Es gibt genug MMOs, die werden drei Monate gespielt und dann sagen die Leute: "Das war's, ich hab alles Wichtige gesehen." Und dann gehen sie zum nächsten Spiel. Solche MMOs gelten dann als Misserfolg. Zu Unrecht, denke ich: Die meisten Leute langweilen sich eben nach einiger Zeit, wenn sie immer das Gleiche machen. Schauen Sie sich EverQuest an. Das war viele Jahre lang extrem beliebt, man fragte sich schon, wird das ewig so bleiben? Aber als dann ein besseres Spiel kam, sind sie eben doch gewechselt. Ob nun jemand nach zwei Jahren Klausur mit World of WarCraft wieder zu den normalen PC-Titeln zurückfindet? Ich weiß es schlichtweg nicht.
Jörg Langer: Wenn sie es nicht tun, hat die Industrie ein Problem: Sie verliert Geld, weil MMOs pro Monat günstiger sind als Vollpreisspiele.
Chris Taylor: Sicher, MMOs haben ein tolles Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich finde es verständlich, dass die Kunden möglichst viel Unterhaltung für möglichst wenig Geld wollen. Doch dann müssen wir alle eben bessere Spiele produzieren, die die Preisdifferenz auch wert sind.
Chris Taylor: Genau das hat ja schon begonnen. Elektronisches Publishing macht den traditionellen Mittelsmann, also den Handel, überflüssig, und das senkt den Preis. Oder aber die Marge für den Entwickler erhöht sich, so dass er Spiele für kleinere Zielgruppen machen kann. Ich bin ziemlich sicher, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren der elektronische Vertrieb den herkömmlichen Handel überholen wird, zumindest bei PC-Software.
Jörg Langer: Aber die Publisher brauchen Sie dann schon noch?
Chris Taylor: Vielleicht, vielleicht auch nicht. Schließlich gibt es private Investoren. Wenn keine Distribution in der analogen Welt mehr nötig ist, hat der Publisher nur noch die Rolle einer Bank. Und dann kann ich gleich zu einer richtigen Bank gehen.
Jörg Langer: Mit anderen Worten: Wenn Gas Powered Games erstmal auf elektronische Distribution umstellt, brauchen Sie THQ nicht mehr?
Chris Taylor: Ich rede hier generell über die Branche. Ich persönlich werde mit jedem, zu dem ich eine gute Beziehung habe, auch in Zukunft zusammenarbeiten. Ich bin ein loyaler Typ, mir sind Beziehungen wichtig. Wenn Sie dem Journalismus den Rücken kehren, würde ich auch ein Haus von Ihnen kaufen, weil ich Sie schätze. Ich werde immer versuchen, eine gute Beziehung auch in einer veränderten Welt fortzusetzen. Aber zurück zur Industrie als Ganzem: Ich glaube, dass sich für viele Entwickler das Verhältnis zum Publisher massiv ändern wird.
Jörg Langer: Und Sie sind überzeugt, der Handel wird an Bedeutung verlieren?
Chris Taylor: Im PC-Bereich auf jeden Fall. Gehen Sie doch mal in eine Electronics-Boutique-Filiale. Da machen die PC-Spiele ein kleines Regal im hinteren Teil des Ladens aus. Wenn das wegfiele, würden die nur sagen: So what! Oder wenn Sie in einen Best Buy gehen oder in einen WalMart: Wie viel Geld macht wohl WalMart mit PC-Software, im Vergleich zum restlichen Sortiment? Das stört die nicht weiter.
Jörg Langer: Sie reden jetzt immer nur vom PC. Was hindert denn die großen Videospiele-Publisher, ebenfalls auf direkte Downloads zu setzen?
Chris Taylor: Bei der Konsole geht es grundsätzlich um Zugänglichkeit, das macht ihren Reiz aus. Elektronischer Vertrieb ist aber nicht genauso zugänglich, wie eine DVD einzulegen. Was passiert denn, wenn meine Festplatte kaputt geht? Wie komme ich wieder an meine Spiele? Der normale PC-Benutzer kann mit so was eher umgehen, er kauft eine neue Festplatte bei CompUSA und lädt sich die längst bezahlten Spiele einfach neu runter. Der typische Konsolenspieler kennt sich mit diesen Dingen weniger aus.
Jörg Langer: Ihre Firma Gas Powered Games ist eine der letzten bedeutenden unabhängigen Entwickler im Markt. Wie groß ist der Druck, wie lange halten Sie noch durch?
Chris Taylor: Man kann es Druck nennen - oder aber Herausforderung. Stellen Sie sich vor, Sie stellen sich der Wahl zum Mr. America, Entschuldigung, Mr. Germany, und am Anfang sind 100 Leute im Wettkampf. Im Laufe der Runden scheiden immer mehr davon aus, bis nur noch Sie und ganz wenige andere übrig sind. Und jetzt wird der Druck riesengroß: Wer von den letzten 10 wird sich durchsetzen, wer überlebt? Das ist doch wahnsinnig aufregend!
Jörg Langer: Sie finden es also aufregend, dass ein einziger Flop Ihre Firma ruinieren könnte, weil sie eben nicht über die Geldressourcen eines Major Players verfügen?
Chris Taylor: Nun, es käme doch zunächst mal darauf an, wie es zu dem Flop kommen konnte. War das Spiel verbuggt? Schlecht designt? Kam es zu spät? War es zu teuer in der Herstellung? Habe ich das Team überfordert? Wenn die Publisher sehen, dass da ein engagierter, kompetenter Versuch gescheitert ist, aus Gründen, die vielleicht gar nicht in unserer Macht lagen – dann geben sie uns eine weitere Chance. Ich werfe ja auch nicht einen verdienten Mitarbeiter raus, nur weil er mal eine Schwächephase von einem Monat hat. Aber klar: Zwei oder drei Flops hintereinander, das hieße Aus, Schicht im Schacht. Und dieses Wissen lässt einen unabhängigen Entwickler wie uns sicherlich brutalere Fragen stellen und härter arbeiten als andere.
Jörg Langer: Wie schätzen Sie die drei großen Konsolen ein?
Chris Taylor: Ich habe bislang weder mit der PS3 oder dem Wii selbst gespielt. Zu Hause habe ich eine Xbox 360, die mich sehr beeindruckt. Ich schaue sogar meine DVDs damit an. Ich spiele gerne die Xbox-Live-Arcade-Spiele. Aber ein Urteil erlaube ich mir erst, wenn ich auch PS3 und Wii wirklich umfassend kenne.
Jörg Langer: Wie hat sich der typische Spieler in den letzten zehn Jahren verändert?
Chris Taylor: Ich sehe da die fortgesetzte Evolution des Menschen. Wir wollen als Spezies einfach immer mehr, immer Besseres. Heutige Spieler haben eine sehr geringe Toleranz für Anfängerfehler auf Seiten der Entwickler. Wir haben heute eine viel anspruchsvollere Zielgruppe als vor zehn Jahren, und in zehn Jahren wird sie wiederum anspruchsvoller sein. Also müssen wir morgen einen besseren Job machen als heute, und übermorgen einen besseren als morgen, und das immer so weiter. [Jörg Langer, www.publishingoffice.de(öffnet im neuen Fenster) , verantwortet die Zeitschrift PDA&Smartphone und war Chefredakteur von GameStar sowie Stellv. Chefredakteur von PC Player.]



